Nach dem Planungsstopp im Gängeviertel sollen die Verhandlungen mit der Stadt nun wieder aufgenommen werden. Hunderte Kulturschaffende zeigen mit einer Solidaritätserklärung ihre Unterstützung für die Selbstbestimmung des Viertels.
Der Streit um die Zukunft des Gängeviertels geht in die nächste Runde. Kurz bevor die Initiative „Komm in die Gänge“ in neue Verhandlungen mit der Stadt tritt, legen die Aktivisten nun eine Solidaritätserklärung auf den Tisch. Hunderte Menschen haben darin ihre Unterstützung für das Künstlerviertel ausgedrückt – darunter namhafte Größen aus Kunst und (Sub)-Kultur: Fatih Akin, Fettes Brot, Rocko Schamoni oder die Schauspieler Nina Petri und Peter Lohmeyer haben ebenso unterschrieben wie diverse Stadtteilinitativen, Kulturschaffende und Musiklabels wie Audiolith Records und Buback.
„Kunst und Kultur brauchen Freiheit und Selbstbestimmung“, heißt es gleich zu Beginn in dem Schreiben. Zwei Begriffe, die wohl der Knackpunkt im Streit zwischen Gängeviertel-Initative, dem Bezirk und der Stadtentwicklungsgesellschft (Steg) sind. Denn wie schon kurz nach der Besetzung des Viertels im Herbst 2009 stehen derzeit wieder altbekannte Fragen im Raum: Wer darf im Gängeviertel wohnen? Wie soll das Leben dort aussehen – und wie kann die Vision des autonomen Künstlerviertels auch in Zukunft gesichert werden?
Selbstverwaltung ermöglichen
Zur Erinnerung: Kurz nachdem Anfang des Jahres die ersten Wohnungen im sanierten „Kupferdiebehaus“ bezugsfertig waren, erfuhren die Aktivisten, dass mit dem Einzug keine Verpflichtung zum Kauf von Anteilen an der Gängeviertel-Genossenschaft besteht (Mittendrin berichtete). Ein Modernisierungsvertrag, den die Steg offenbar hinter dem Rücken der Initiative mit der Investitions- und Förderbank unterzeichnet hatte, schließt die Pflicht zur Genossenschaftsbindung nämlich aus. Für die Aktivisten ein Affront: Schließlich sollte gerade die Genossenschaft zur Grundlage des Zusammenlebens im Gängeviertel werden, Eigenkapital schaffen und so eine Selbstverwaltung des Viertels ermöglichen.
Durch den Modernisierungsvertrag sehen die Aktivisten die Kooperationsvereinbarung zwischen Stadt, Gängeviertel-Verein und Genossenschaft verletzt. Darin war bereits im September 2011 die „inhaltliche Ausrichtung und Entwicklung“ des Viertels festgelegt worden, zu der die Übernahme der sanierten Gebäude und deren Selbstverwaltung durch die Genossenschaft zählt.
Freiraum statt Standardlösungen
Mit dem Rückzug aus dem Vorstand des Sanierungsbeirats und einer Baustellenbesetzung schuf das Gängeviertel Ende Februar Tatsachen. Jetzt liegen die Planungen für weitere Sanierungsarbeiten auf Eis, bereits angelaufene Bauarbeiten sind von dem Planungsstopp allerdings nicht betroffen.
Dass die Visionen von Freiraum und Selbstbestimmung auseinanderdriften, deutete sich laut der Gängeviertel-Initiative schon während der Sanierungsarbeiten an. Immer wieder seien „Standardlösungen und gängige Wege“ gewählt worden, statt sich an den Eigenarten der historischen Gebäude zu orientieren.
Die Stadt verweist indes auf baurechtliche Zwänge. Dass die Genossenschaft zur Grundlage einer Selbstverwaltung des Viertels wird , wäre aus rechtlichen Gründen gar nicht machbar: Da das Gängeviertel öffentlich geförderter Wohnraum sei, wäre eine weitere Förderung in Form einer Genossenschaftsbindung unmöglich. Außerdem könne der Gängeviertel-Verein nicht wie eine Wohnungsbaugenossenschaft agieren, da sie nicht über Wohnungseigentum verfügt.
Die Grenzen des bürokratischen Systems
Argumente, die in den Augen der Gängeviertel-Aktivisten nur wenig gelten. Man müsse „darüber sprechen, ob diese Verträge noch zeitgemäß sind und wie Selbstverwaltung ermöglicht werden kann“, sagte Gängeviertel-Sprecher Michael Ziehl vor dem Sanierungsbeirat. In drei Arbeitsgruppen wagen die Aktivisten nun ganz neue Gedankenspiele, wie einen Kauf des Viertels durch die Genossenschaft oder die Überführung in eine Stiftung.
Der Bekanntheitsgrad und der Symbolcharakter des Viertels werden in der Solidaritätserklärung besonders betont. Dem „einzigartigen Möglichkeitsraum“ stünden die „Zwänge der Bürokratie“ und die „Logik der Verwertbarkeit“ gegenüber, heißt es da. Wie 2009 kratzt die Vision vom freien Künstlerviertel also immer noch an den Grenzen des bürokratischen Systems – wie dieser Interessenkonflikt am Ende ausgehen wird, bleibt abzuwarten.
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