Jan Freitag hat sich durch den Fernsehdschungel dieser Woche gekämpft und dabei tränennasses Emotainment und Verlogenheit gefunden.
Die Verlogenheit des Menschen zeigt sich bekanntlich nie deutlicher als zur Weihnachtszeit. Abermillionenfach missbraucht er das Kirchenfest zum Konsumrausch, gibt sich vermeintlich andächtig und holt ein paar Dezembertage nach, was im Rest des Jahres oft an Menschlichkeit fehlt. Wenn dann aber auch noch ausgerechnet die „Bild“ den Taktstock des Mitgefühls schwingt, ist das Maß voll. Fast. Denn überlaufen tut es erst dann nachhaltig, wenn das Ballermannblatt wie vor acht Tagen ihr angebliches „Herz für Kinder“ stundenlang im ZDF preisen kann.
Dauerwerbung statt Gemeinnützigkeit
Als wäre das nicht genug, durften bei der Live-Show aber obendrein gewissensfreie Profitriesen wie Coke (angeblich) kostenlos dauerwerben, was einem Sender-Sprecher auf Nachfrage – nein, keine Demut entlockte, sondern folgende Selbstverteidigung. „Der gemeinnützige Zweck wurde im Vorfeld der Sendung geprüft und positiv beantwortet worden“, sagte ein gewisser Peter Gruhne und verwies auf eingehaltene Werberichtlinien. Leider verdrängte er dabei sehenden Auges, dass es diese Art opportunistischer „Bild“-Hofierung ist, die dem Bösen seit jeher höflich die Steigbügel hält.
So wie es Abermillionen täglich auf Facebook tun, wenn sie dem Profitriesen willfährig mit gehobenen Daumen die Konten füllen. Damit das noch profitabler wird, plant Konzernchef Zuckerberg nun endlich den gesenkten Daumen einzuführen. Dass der nicht zulasten seiner Werbekunden geklickt wird, dagegen findet der Multimilliardär sicher ein Mittel, aber gewiss nicht dagegen, dass Klara Blums Bodensee-„Tatort“ künftig mit „Dislikes“ eingedeckt wird. Zum Glück für die arme Eva Matthes passiert das aber nur noch bis 2016. Dann tritt das ödeste aller Ermittlerteams endlich ab. Apropos – war da nicht noch was mit Abritten, in der vorigen Woche. Nein, nichts besonderes. Abgesehen vom Ende der Ära „Wetten, dass…?“, der Markus Lanz am Samstag ein letztes Mal mit nostalgischen Rückblicken auf bessere Zeiten gewürzt auf die ausgetretene Schleimspur geholfen hat, ohne noch ein allzu tiefes Loch zu hinterlassen.
Kuppler Carpendale
In dem wähnte sich drei Jahre lang auch das Publikum tränennassen Emotainments, seit der Fernsehkuppelvater schlechthin „Nur die Liebe zählt“ verlassen hat. Am Dienstag nun wird Kai Pflaume ersetzt, und nicht nur der Nachfolger Wayne Carpendale lässt Scheußliches befürchten. Auch der Sendeplatz. Sat1 sorgt schließlich seit Jahren für die besonders süffigen Momente des Mediums. Na, immerhin Humor gibt’s dort ab und an. Freitag zum Beispiel mit „Zwei Weihnachtsmänner“, vielleicht die lustigste Komödie zum Christfest mit den famosen Christoph Maria Herbst und Bastian Pastewka, der im Anschluss dann auch noch als Teil des saukomischen „Weihnachtsgeschichte“ mit Wolfgang & Anneliese brilliert.
Wenn das Erste mal witzig sein will, wird es dagegen meist satirisch. Dieter Nuhrs kabarettistischer Jahresrückblick am Donnerstag um 22.55 Uhr dürfte also nicht grad den humoristischen Nerv des Privatpublikums treffen und von dem daher ebenso ignoriert werden wie Caren Miosgas und Thomas Roths politische Rückschau drei Tage zuvor. Sachlichkeit können die öffentlich-rechtlich halt mehr als Unterhaltung. Deshalb wollen wir an dieser Stelle auch nicht den zweiten „Tatort“ aus Erfurt empfehlen, dessen Thema gewohnt bieder suggeriert, es gebe in Thüringens Hauptstadt allen Ernstes ein Rotlichtviertel. Und schon gar nicht den „Bergdoktor“, mit dem der heillos unterforderte Kabarettist Hans Sigl parallel dazu in neuer Staffel auf ZDF-Seife ausglitscht.
Angst vor Whistleblowern
Wir wenden uns lieber Arte zu. Dienstag um 20.15 Uhr läuft dort passend zur aktuellen Entwicklung im Fall Edward Snowdon die tolle Dokumentation „Schweig, Verräter!“, in der das Phänomen der Whistleblower unter die Lupe genommen wird und warum vor allem die USA so große Angst vor ihnen haben. Oder 3sat, wo Wolfgang Beltracchi am Samstag (22 Uhr) den unvergleichlichen Christoph Waltz vorstellt. Nach fünf Folgen ist die Porträtreihe damit beendet. Dabei hätte sie mindestens die Zehnfache Zahl verdient. Wie Stefan Raab, der sich Samstag auf ProSieben zum 50. Mal (nicht) schlagen lassen will, dafür aber hoffentlich weniger als die sechs Stunden, neun Minuten vom 49. Versuch benötigt.
Bloß knappe zwei Stunden dauert indes der schwarzweiße „Tipp der Woche“ am Montag zur besten Sendezeit auf Arte: Das Familiendrama „Endstation Sehnsucht“ von 1951 mit dem blutjungen Marlon Brando im T-Shirt. Beim Farbtipp wünscht man sich noch mehr als 85 Minuten: „Pappa ante Portas“, Samstag im NDR, Erklärung unnötig.
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