Am Dienstag ziehen die ersten 120 Flüchtlinge in die neue Unterkunft in der Berzeliusstraße. Insgesamt können hier 600 Flüchtlinge untergebracht werden. Nicht nur aufgrund der Lage im Gewerbegebiet in Billstedt steht die Einrichtung in der Kritik.
In Billstedt sorgt man sich nun wegen einer geplanten Unterkunft in der Berzeliusstraße – eine Flüchtlingsunterbringung an der gleichen Stelle war vor 15 Jahren durch katastrophale Lebensbedingungen bekannt geworden. Der Grüne Bezirksabgeordnete Lothar Knode war von 1979 bis 1988 Sozialarbeiter in der Berzeliusstraße. Mittendrin sprach mit dem Politiker darüber, ob die Sorgen der Billstedter berechtigt sind.
Mittendrin: Es gab schon einmal eine öffentliche Unterbringung in der Berzeliusstraße. Heute sollen dort 650 Menschen untergebracht werden, welche Dimensionen hatte die alte Unterkunft?
Lothar Knode: Die Unterkunft in der Berzeliusstraße wurde Ende der 50er Jahre konzipiert, 1962 wurde sie fertiggestellt. Zunächst wurde die Einrichtung als Obdachlosenunterkunft für Familien genutzt, um die Flutopfer der Flutkatastrophe aus Wilhelmsburg dort vorübergehend unterzubringen. Danach wurde sie die größte Einrichtung für obdachlose Familien in Hamburg. Hier wurden Menschen untergebracht, die entweder ihre Mieten nicht zahlten oder ihre Wohnungen wegen Lärmbelästigung, Vermüllung, Konflikten mit Nachbarn oder anderen Gründen verloren haben. Zeitweilig haben dort 1.500 Personen gewohnt. Darunter waren Haftentlassene und Asylbewerber aus anderen Bundesländern, es war praktisch ein Dorf mitten im Industriegebiet.
Der Senat spricht aber von einer Notlage, dennoch ist die geplante Unterbringung deutlich kleiner als damals.
Wir hatten früher für die Versorgung der Flüchtlinge und Obdachlosen das Amt für Heime. Das war als Bestandteil der Sozialbehörde verantwortlich für die Unterbringung. Die haben es geschafft, dass in den 90er Jahren 22.000 Menschen in Hamburg untergebracht werden konnten. Es gab damals mehr Einrichtungen als heute. 10.000 Plätze für wohnungslose Menschen hatte Hamburg bis ungefähr 2002 dauerhaft verfügbar. Diese wurden nach dem Schengen-Abkommen abgebaut, weil kaum noch Asylbewerber direkt nach Deutschland kamen. Außerdem war der Wohnraummarkt entspannter. Deswegen ging die Stadt auf 4.000 oder 5.000 Plätze herunter, das rächt sich jetzt natürlich. Aus diesem Grund werden nun wieder schnell neue Einrichtungen geschaffen. Aber wir erreichen lange nicht an die Zahlen wie Anfang der 1990er.
In Billstedt hat die Berzeliusstraße keinen guten Ruf, was unterscheidet die damalige Einrichtung von anderen?
Die Wohnunterkunft wurde extra dafür geschaffen, um Menschen abzuschrecken. Der größte Teil der Menschen dort, hatten ihre Miete nicht bezahlt oder wegen Lärmbelästigung ihre Wohnung verloren. Wir hatten etwa zehn Einrichtungen für Familien in Hamburg und die Berzeliusstraße war die Endstation. Hier kamen alle hin, bei denen Besserung nicht in Aussicht stand. Hinzu kam noch, dass Ende der 70er Jahre am Billstieg keine hundert Meter weiter noch eine Unterkunft für Flüchtlinge eingerichtet wurde. Diese gibt es auch heute noch. Dazu kommt, dass in der Parallelstraße eine große Unterkunft für Männer ist. Es sind also drei Einrichtungen, die in Billbrook konzentriert waren.
Wie waren dann die Lebensbedingungen dort?
Weil die Berzeliusstraße europaweit eines der größten Elendsquatiere war, liefen schon jahrelang Bestrebungen sie zu verkleinern oder sie abzuschaffen. Ende der 90er gab es dazu die ersten Konzepte und 2002 wurde die gesamte Unterkunft abgerissen. Es gab verschiedene Blöcke in der Berzeliusstraße. In manchen lebten Menschen schon in der fünften Generation. Die Wohnungen unterschieden sich extrem. Da gab es Wohnungen, die total sauber waren oder das andere Extrem: Wo Menschen nur noch vor sich hin vegetierten. Da konnte man nur mit Gummistiefeln in die Häuser, weil Jauche in den Fluren stand. Das kann ich nicht beschreiben, dort sind die Leute auch reihenweise gestorben. Da war wirklich Endstation.
Und das alles hat man in Billstedt mitbekommen?
Die Billstedter sind dort gar nicht hingegangen. Die meisten Geschichten sind Hörensagen oder stammen aus der Presse. Wer Ahnung hatte, das waren soziale Agenturen, die dort zeitweilig als Unterstützer eingestellt waren.
Trotzdem haben die Menschen Bedenken wegen den neuen Planungen.
Die Menschen in Billstedt brauchen heutzutage keine Angst haben. Die Berzeliusstraße ist viel zu weit weg, da werden die Grundstückswerte nicht geringer. Auch wird erfahrungsgemäß die Kriminalität nicht nennenswert zunehmen. Ich mache mir viel mehr Sorgen um die Menschen, die in die neue Unterkunft kommen. Die werden mitten im Industriegebiet sein. Es ist eine ganz schlechte verkehrstechnische Anbindung und die Belastung der Umwelt durch Abgase ist hoch. Eine weiter große Sorge von mir ist, dass der Betreiber Fördern und Wohnen nicht mehr genügend qualifizierte und erfahrene Mitarbeiter hat. Jede Woche werden zehn neue Leute eingestellt, die keine Ahnung haben. Die sind der Gesamtsituation nicht gewachsen. Ein Mitarbeiter kann höchstens 150 Personen persönlich kennen. Danach wird es anonym. Bei 650 einquartieren Menschen kann kein Mitarbeiter mehr den Überblick behalten, wer hier eigentlich wohnt.
Also wäre es besser hier keine Flüchtlinge unterzubringen?
Vielleicht gibt es auf die schnelle keine Alternative. Aber die einzige Erwartung, die ich habe ist, dass man sich ganz klar von dem Billstieg nebenan abgrenzt. Das diese Menschen mit der Berzeliusstraße so wenig Kontakt wie möglich haben. Das erfahrenste Personal von Fördern und Wohnen sollte dort beschäftigt werden und keine neuen Leute. Zudem braucht man eine Busverbindung nach Billstedt zum Einkaufszentrum, damit die Menschen einkaufen können.
Es gibt demnach keine Alternative obwohl die Bedingungen nicht optimal sind, gleichzeitig herrscht in Billstedt unbegründete Angst. Wie geht man als Politiker mit ihren Erfahrungen damit um?
Bevor die Menschen dort einziehen, müssen Runde Tische eingerichtet werden, die die Anwohner informieren. Die Befürchtungen müssen beseitigt werden. Die Bevölkerung aus Billstedt muss die Gelegenheit haben, dort einbezogen zu werden. Außerdem brauchen wir auch einen Runden Tisch, der die Sozialen Agenturen zusammenbringt, etwa mit Menschen, die Erfahrung im Umgang mit traumatisierten Personen haben. Es sollten auch die Angehörigen der Billstedter Kirche mit an den Tisch, die sich bereits um Flüchtlinge im Stadtteil kümmern.
Vielen Dank für das Gespräch.
Michael
7. Dezember 2014 at 12:01
Genau so ist es ich wohne Luftlinie vielleicht 3 Kilometer entfernt – und ich muß hier mal folgendes sagen, Es gibt dort weder Einkaufsmöglichkeiten noch gibt es eine vernünftige Busanbindung – vorallem Abends fahren dann keine Busse mehr. Ich glaube die nächste Einkaufsmöglichkeit ist mindestens 5 KM entfernt – für 500 und mehr Leute ? Das Billstedt-Center wird sich freuen, wenn dort dann die Kunden noch mehr ausbleiben, weil sich tagsüber gewisse Leute dort aufhalten, denn arbeiten dürfen sie ja nicht in Deutschland. Ich möchte auch nicht wissen, ob die Flächen dort in Billbrook nicht doch kontaminiert sind, und damit meine ich nicht Blindgänger, für die ja gerade eine Sondierung vorgenommen werden soll. Ach ja wir bekommen ja dann in der Nähe (Weddestraße – Luftlinie 5 KM) noch eine Notunterkunft – die ja eigentlich für Obdachlose vorgesehen ist – dort ziehen dann wohl auch noch Flüchtlinge ein. Und noch etwas, ich habe nichts gegen diese Leute und werde wohl auch unterstützend tätig werden – nur habe ich was gegen Bündelungen von problematischen Lebenssituationen (soziale Schwäche, Armut, Kriminalität). Ausserdem ist in Billbrook die Infrastruktur sowas von schlecht,
Erich
14. Januar 2015 at 23:48
Lothar Knode hat gar nicht unrecht, die Billstedter haben auch keine Angat !! Wir haben fast 2000 untergebrachte Menschen in diesem Bezirk,und leben schon fast 50 Jahre da mit !! Wenn man uns braucht, sind wir da, und das ist auch gut so !! Denn jeder sollte jeden helfen,wir sind auch nur Menschen !! Jeden falls werden viele dort ein Auge drauf haben, und so fort da gegen steuern, falls etwas aus dem Ruder läuft !! Mattkamp ist bei vielen auch gut auf gehoben, da wird auch geholfen und unterstüzt !! Jetzt müssen sich neu finden für die Berzeliusstraße, denn Frau-Mann kann eben nicht alles abdecken und machen !! Da hat die Politik diesen Bezirk einen ganz schönen Brocken hin gesetzt !! Der Bürgerschaft kümmert das auch gar nicht, wie dieser Bezirk (der die größte Anzahl von untergebrachten Menschen hat) da mit klar kommen soll !! Wir sind so wie so schon ein sozial schwacher Stadtteil,und dann bürden die uns das auch noch auf !! Bin mal gespannt wie sich das entwickeln wird !!
E.Heeder – Sitz im Sozialen Entwicklungsraum Billstedt – Horn