Jan Freitag hat sich durch den Fernsehdschungel dieser Woche gekämpft und dabei Leichenfledderei statt zeitgenössischem Entertainment gefunden.
Es ist das Wesen vieler TV-Trophäen, dass Auszeichnende und Ausgezeichnete kaum zu unterscheiden sind. Beim Deutschen Fernsehpreis etwa feiern die vier großen Sender ihr Angebot nach Proporzkriterien. Die Goldene Kamera prämiert seit jeher, wer der Springer-Presse gewogen ist. Und der heimische Comedypreis, nun, ist eben der deutsche Comedypreis.
Da er seit 1997 von der Köln Comedy Festival GmbH veranstaltet wird, haben Dienstag wie immer überwiegend Komiker aus dem Domstadtdunstkreis gewonnen: Von Barth bis Yanar, Frier bis Herbst, dazu Carolin Kebekus, deren Moderation der Verleihung wenigstens zeitweise so etwas wie Humor verlieh. Und weil auch RTL am Rhein sitzt, war ein Sendeplatz beim Zotenkanal fast eine Garantie auf den Titel, was zu so abstrusen Siegern wie der hauseigenen Langweilerserie „Der Lehrer“ führte oder Sascha Grammels witzloser, aber erfolgreicher Soloshow.
Öffentlich-rechtliche Leichenfledderer
Witzlos, erfolgreich – das ist zugleich eine ganz gute Umschreibung dessen, was sich die Öffentlich-Rechtlichen so unter zeitgenössischem Entertainment vorstellen. Nach „Dalli, Dalli“, „Einer wird gewinnen“ und „Am laufenden Band“ zerren sie nämlich bald auch noch das „Spiel ohne Grenzen“ aus der Gruft. Der putzmuntere, aber irrelevante Wettstreit europäischer Kleinstädte war dem Ersten zwar schon vor 25 Jahren zu banal. In Zeiten von Wok-WM, RTL2 und Markus Lanz aber entfaltet offenbar noch die staubigste Kindergeburtstagssause Zugkraft für öffentlich-rechtliche Programmgestalter. Mal sehen, was die Leichenfledderer als nächstes ausbuddeln: Ein Kessel Buntes? Der Goldene Schuss? Die deutsche Wochenschau?
Und vorher darf Jürgen von der Lippe sogar noch sein Hawaiihemd aus der Mottenkiste kramen. 13 Jahre nach dem Beziehungsende fragt er ab Mittwoch im WDR abermals „Geld oder Liebe?“. Als hinge das Fernsehen in der Zeitschleife fest. Ohne Unterbrechung wiederholt sich indes „Aktenzeichen XY … ungelöst“, mit dem das ZDF seit 1967 vorm schwarzen Mann warnt. Parallel zu Lippes Kuppelshow geht Rudi Cernes jährlicher Zivilcouragepreis 2014 zwar ausnahmsweise mal nicht an Bürger, die Kinderschänder dingfest gemacht haben; das ist dann aber auch schon das einzig Neue an der bürgerlichen Denunziationssause.
St. Pauli statt Las Vegas
Aber so richtig neu ist ja auch die heutige ZDF-Komödie „Wir machen durch bis morgen früh“ nicht. Dafür ist es aber meist ziemlich witzig, wenn Fahri Yardim als bieder gewordener Fliesenleger mit Partyvergangenheit von einem Chaos ins nächste rutscht, als er seine Frau (Heike Makatsch) für ein Männerwochenende mit Kind in den Ibiza-Urlaub schickt. Das gleicht zwar einer Art deutschem „Hangover“ in St. Pauli statt Las Vegas. Doch es ist ja nicht grundsätzlich schlecht, wenn irgendwas an irgendwas erinnert. Die fabelhafte norwegisch-amerikanische Serie „Lillyhammer“ um einen Mafioso im Zeugenschutz etwa erinnert leicht an „Die Sopranos“. Das liegt aber vor allem an Steven van Zandt, der schon 1999 einen Mobster spielte. Bei Arte kriegt er es nun nicht mit der US-Polizei zu tun, sondern dem Alltag in der Olympiastadt von 1994, wohin er vor verpfiffenen Verbrecherkollegen flieht.
Mit mafiösen Strukturen der legalen Art beschäftigen sich hingegen ein paar spannende Dokumentationen. In „Akte D“ entlarvt das Erste am Montag „Die Macht der Stromkonzerne“ wie Siemens, dessen heutige Macht auch darauf beruht, dass die Energieversorger vor gut 100 Jahren den Markt unter sich aufgeteilt haben und Staat wie Verbraucher bis heute zur Beute machten. Etwas Ähnliches vollzieht sich auch bei Nahrungsmitteln, mit denen die Konzerne ihre Kunden lieber ausbeuten als ernähren. Im Arte-Schwerpunkt „Der große Hunger – der große Durst“, begibt sich Claus Kleber daher Mittwoch auf die Spur des Essens von morgen.
Verblöden statt unterhalten
Ihre Kunden lieber verblöden als unterhalten, das tut zeitgleich RTL2 – und zwar am Beispiel der Fortpflanzung und ihrer Folgen. Mit „Kleines Wunder, großes Glück“ fingiert der, äh, Sender zunächst die Realität des Kinderkriegens, um derlei Neugeborene sodann in „Teenie-Mütter – Wenn Kinder Kinder kriegen“ verächtlich zu machen und im Anschluss auch ihren Nachwuchs vor lachender Kamera abspecken zu lassen („Durch dick und dünn!“). Wäre zynisches Fernsehen Mafia-Sache, RTL2 hieße Camorra.
Um diesen Würgereiz zu mildern, hilft fast nur: besseres Fernsehen, also die „Tipps der Woche“ wie das legendäre Knastkonzert „Johnny Cash at Folsom Prison“ von 1968 (Dienstag, 22.45 Uhr, BR). Oder noch schöner, Freitag auf EinsFestival: Greta Gerwig als „Frances H.“. Zeitgemäßer war schwarzweiß noch nie.
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