Jan Freitag hat sich durch den Fernsehdschungel dieser Woche gekämpft und dabei neben dem Untergang der Medienbranche auch noch preisverdächtiges Fernsehen gefunden.
So irreal die Messung der Einschaltquote auch sein mag – manchmal hilft ihre Gegenüberstellung beim Begreifen des Fernsehens ein Stück weiter. Wenn etwa der vorige „Tatort“ Münster fünfzehnmal mehr Zuschauer hatte als der letzte Einsatz von Reinhold Beckmann, der sich am Donnerstag muchsmäuschenstill von seiner Talkshow verabschiedet hat, dann wird deutlich: Was laut ist, schrill und ulkig, scheißt im Zweifel, was dezent, leise und ernst ist so zu mit Effekthascherei, dass es schnell mal ignoriert wird.
Andere Formate dagegen hallen halbe Ewigkeiten nach ihrem Ende nach, als seien sie noch auf Sendung. Vorige Woche zum Beispiel wurde ein Jahrzehnt nach dem Abschied von „Friends“ das berühmte Wohnzimmer der noch berühmteren Sitcom in New York aufgebaut und tausende von Fans setzten sich zum Selfie in die Kulissen, was zuvor schon mit dem Original-Sofa in Berlin der Fall war, wo man sein Gesicht in Pappkameraden wie Jennifer Aniston stecken konnte. Das ist schon einen kleinen Medienhype wert. Von dem die alten Druckmedien nur träumen.
Preislos und preisverdächtig
Dass G+J den Henri-Nannen-Preis 2015 aus Spargründen absagt, interessierte da im Grunde nur Anhänger des Qualitätsjournalismus. Dass der gleiche Großverlag seinem „Stern“ vorige Woche eine rein männliche Chefredaktion verpasste, interessierte dagegen vornehmlich den Gleichberechtigungsverein ProQuote, der das frauenfreie Fünferteam völlig zu Recht als „Schritt zurück in die redaktionelle Steinzeit statt in eine moderne Medienzukunft“ geißelte. Und dass die „Wirtschaftswoche“ künftig von Miriam Meckel geführt wird, war im Vorfeld sogar nur für die Branche ein Anlass zum Aufmerken.
Überhaupt – die Branche. Seit jeher beweihräuchert sie sich selbst mit internen Trophäen wie dem Deutschen Fernsehpreis. Bis jetzt. Die Verleihung am Donnerstag, von der ARD tags drauf nach der Degeto-Schnulze gezeigt, ist die letzte ihrer Art. Und somit auch die letzte Chance für RTL, für sein Anti- bis Nichtprogramm ausgezeichnet zu werden. Um zu zeigen, wie absurd das ist, wird an dieser Stelle abermals kein einziges Format der Privatsender empfohlen, was nichts mit Trotz zu tun hat, sondern mit purer Sachlichkeit.
Exemplarisch sei daher nur mal auf „Die Schlikker-Frauen“ verwiesen. Mit denen verwurstet Sat1 Dienstag die Schlecker-Pleite, in dem Sky Du Mont als elitärer Drogerie-Boss von vier entlassenen Verkäuferinnen gekidnappt wird, was leider nur ulkige Hausmannskost zum Schenkelklopfen ist und fix vergessen. Humor sollte Sat1 lieber seinem Partner Pro7 überlassen. Und gutes Fernsehen den Öffentlich-Rechtlichen. Mittwoch zum Beispiel läuft in der ARD „Die Auserwählten“. Ein Film über die berüchtigte Odenwaldschule, der am Originalschauplatz ebenfalls die Realität eines Missbrauchssystems verarbeitet, allerdings seriös und unterhaltsam. Vor allem dank Ulrich Tukur, der den Direktor mit verstörendem Charisma spielt.
Tipp der Woche
Im ZDF dagegen klingt „Die Fremde und das Dorf“ am Donnerstagabend zwar wie eine Pilcher-Schnulze, ist aber ein durchdachtes Drama über Abschottungsmechanismen im ländlichen Raum. Mit der famosen Henriette Confurius als italienische Lehrerin, die eine Gruppe junger Erdbebenopfer in Österreich regenerieren soll und dabei Teil eines Familienthrillers wird. Unbedingt empfehlenswert ist auch Vladimir Kotts vielfach preisgekröntes Regiedebüt Mukha“ (Mittwoch, 20.15 Uhr, Arte) um den russischen Fernfahrer Fjodor, der sich zwischen seiner Freiheit und einer unbekannten Tochter entscheiden muss.
Es sind gute Filme. Flankiert von guten Schwerpunkten wie „30 Jahre Mauerfall“, mit dem Arte ab Dienstag allerlei Sehenswertes zur Wende zeigt. Flankiert auch von kritischen Dokumentationen wie „Projekt Hühnerhof“, wo Dirk Steffens zwei Dienstage zur besten Sendezeit im ZDF dem Irrsinn industrieller Geflügelproduktion auf den Grund geht. Flankiert sogar von ordentlicher Satire wie „Ein Fall fürs All“, in das sich Urban Priol und Alfons bildlich schießen lassen, um von oben den Aberwitz der Weltpolitik zu analysieren. Dass das Geburtstagsständchen des gestandenen Journalisten Hanns-Bruno Kammertöns für „Der Mann, der Udo Jürgens ist“ am Montag im Ersten etwas arg lobhudelig ausfällt – geschenkt.
War noch was? Ach ja – „Wetten, dass…?“ kehrt zurück aus der Winterpause, was irgendwie zum „Tipp der Woche“ passt, der auch mit Horror zu tun hat: „Black Sheep“ (Dienstag, 22 Uhr, Tele5), ein famoses Splatter-Movie über biotechmutierte Killerschafe in Neuseeland.
Facebook
Twitter
Flattr
Google+
YouTube
Soundcloud
Paypal
Anmelden