Jan Freitag hat sich durch den Fernsehdschungel dieser Woche gekämpft und dabei eine Netzrevolte für die Seifenoper und Dokumentarfilme mit Tiefgang gefunden.
Von wegen – eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus: Zwei der übelsten Rabenvögel des Fernsehens überbieten sich seit jeher in der Unterbietung jeder Art von Niveau. Nun hat der kleinere so oft gehackt, dass beide im August gleichauf waren bei der Versorgung anspruchsreduzierter Zuschauer. In Quoten ausgedrückt: Bei der Zielgruppe 14- bis 49-Jähriger trennten RTL und Pro7 zuletzt ganze 0,2 Prozent. Während der Emporkömmling in seiner programmatischen Dummheit wenigstens ab und an lustig ist, bleibt der Platzhirsch schließlich bierernst blödsinnig.
Solide Fansbase für TV-Schmalz
Doch aufmerksam schaut auch das niemand aus der jüngeren Generation, ohne sich nebenbei auf anderen Kanälen unterhalten zu lassen. Crossmediale Nutzung heißt es, wenn neben der Glotze noch Computer, Smartphone, Tablet laufen, wo individuell gestaltbares Programm wie Youtube läuft. Von dort gab es nun erstaunliche Neuigkeiten: Laut der hauseigenen Global Audience Study wird das Portal vor allem von gebildeten, einkommensstarken, vornehmlich männlichen Nutzern über 30 genutzt. Und abgesehen davon, dass die angebliche Kernklientel verdächtig gut aufs Werbeinteresse des Konzerns passt, sind solche Jahrgänge in der Tat fürs Fernsehregelprogramm längst verloren.
Die Ankündigung der Ufa zum Beispiel, im Auftrag des BR eine große Dokumentation über einen gewissen Franz Beckenbauer zu drehen, dürfte also eher jene interessieren, die ihn noch als Libero erlebt haben. Selbst Formate wie „Verbotene Liebe“, 1995 für den öffentlich-rechtlichen Nachwuchs konzipiert, wurden zuletzt ja von so wenig – jungen wie alten – Zuschauern verfolgt, dass die Daily Soap abgesetzt wurde. Bis, ja bis das Netz revoltierte, wo einschlägige Mediatheken zeitlich flexibel zeigen, was auf Schloss Königsbrunn so vor sich geht. Die Serie soll nun doch fortgesetzt werden. Wöchentlich. Seifenfans werden sich freuen.
So wie über die Jubiläumsstaffel „Sturm der Liebe“, mit der die ARD-Telenovela ab Donnerstag das zehnte Liebespaar seit 2005 zusammenführt. Und bislang deutet wenig darauf hin, dass die „herzliche, aufrichtige Thailand-Aussteigerin“ Julia und der „leidenschaftliche, erfolgreiche Sternekoch“ Niklas 2015 nicht in weiß heiraten werden. Das mag man als Ästhet verachten; verhindern lässt es sich nicht mal durch stattgegebenen Abschaltimpuls, solange billiger TV-Schmalz wie dieser seine solide Fanbase hat.
Weniger ist mehr
Die würde man auch unaufdringlichen Dokumentarfilmen mit Tiefgang und Informationsgehalt wünschen. Etwa der trimedialen Arte-Reihe „Refugees“, in dem 16 Künstler künftig samstags gegen 17 Uhr Flüchtlingslager in aller Welt vorstellen. Oder „Weniger ist mehr“, mit der Franziska Mayr-Keber und Constanze Griessler dem „Trend mit Nichts glücklich zu sein“ nachspüren. Dummerweise beschäftigt sich der Film mit dem Thema Abstinenz in der Überflussgesellschaft, was zu Entertainmentzwecken eher ungeeignet ist. Und dann läuft es auch noch auf 3sat, dessen Platz auf der Fernbedienung große Teile des Publikums gar nicht kennen. Der Tradition österreichischer Dokumentationen über unser Konsumverhalten wird der Sender nach dieser zunächst allerdings keine weitere hinzufügen: „Weniger ist mehr“ soll die letzte Eigenproduktionen von 3Sat Österreich sein. Schade.
Wie die Tatsache, dass RTL immer noch nicht mehr einfällt, als aufgewärmtes aufzukochen. Weshalb der Restauranttester ab Montag (21.15 Uhr) eben einfach nicht mehr Rach heißt, sondern Henssler, der zwar zuletzt „hinter Gittern“ furchtbare Kritiken (und Quoten) eingefahren hat, aber eben einfach zu populär ist, um ihn nicht dauernd im TV-Kochtopf zu verwursten. Verwurstet werden im Grunde auch die Ermittler am Münchner „Tatort“, allerdings kann selbst der sagenhaft untalentiert Antischauspieler Wilson Gonzalez Ochsenknecht nicht verhindern, dass ihr neuer Fall am Sonntag überzeugt. So wie der ARD-Mittwochsfilm. „Ein offener Käfig“ thematisiert zwar den populistischen Dauerbrenner Serientäter, allerdings nicht aus Sicht der Opfer, sondern des Täters im Würgegriff seines Umfeldes, das sich seinerseits schuldig macht an einem freigelassenen Vergewaltiger, den Martin Feifel mit großer Hingabe spielt.
Das kann man auch von Kai Schumann behaupten, der dem „Tipp der Woche“ die nötige Leidenschaft verpasst. Als „Der Minister“ Franz Ferdinand von und zu Donnersberg gibt er Dienstag auf Sat1 einen famos schmierigen Karl Theodor zu Guttenberg und stellt damit fast den zweiten Wochentipp in den Schatten: Ari Folmans (aus)gezeichnetes Dokumentarcomic „Waltz with Bashir“ (Montag, 0.45 Uhr, NDR) über den Libanonkrieg 1982.
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