Mit der Inszenierung von George Orwells düsterer Zukunftsvision „1984“ bringt das Sprechwerk ein Szenario auf die Bühne, das heute näher an der Realität ist, als der Autor des Originals es sich je hätte vorstellen können.
„Wenn die Daten im Internet mehr über mich sagen, als ich selber weiß, bin ich rechtlos“, beschreibt Protagonist Winston Smith das Dilemma der totalen Überwachungsgesellschaft, in der er lebt. Wir schreiben das Jahr 2014, eine übermächtige, alleinregierende Partei unter dem „Großen Bruder“ überwacht alles und jeden durch ein dichtes Netz digitaler Kontrollgeräte. Schon der Verdacht die Doktrinen der Partei nicht zu befolgen, oder eine eigene Meinung zu haben reicht aus, um wegen eines Gedankenverbrechens verhaftet, gefoltert und getötet zu werden. Für Winston ist es die Liebe zu Julia, die sein Schicksal bestimmt, denn auch hier gilt das Wort des „Großen Bruders“. 30 Jahre nach der Zukunftsvision, die Orwell 1948 entworfen hat, entsteht auf der Bühne des Sprechwerks in Borgfelde eine beklemmende Realität, die dem Publikum manchmal vertrauter scheint, als ihm lieb ist.
Immer wieder Gänsehaut
Das Bühnenbild im Sprechwerk ist schlicht gehalten. Die Darsteller benötigen nur wenige Requisiten, um die Vorstellung der totalen Überwachung lebendig werden zu lassen. Besonders die oft fließend ineinander übergehenden Emotionen der Charaktere werden durch die Schauspieler so eindringlich vermittelt, dass sich beim Zuschauer immer wieder eine Gänsehaut bildet. Die Gefühlspalette schwankt dabei laufend zwischen Hass, Liebe, Hoffnung und völliger Verzweiflung. Besonders aber die stets präsente Angst entdeckt und eines Gedankenverbrechens angeklagt zu werden, lässt sich deutlich an den Gesichtern der Darsteller ablesen. Unterstützt wird die Illusion vom Überwachungsstaat Ozeanien durch Video- und Tonaufzeichnungen, die stellenweise so plötzlich eingespielt werden, dass der Zuschauer in seinem Sitz zusammenzuckt.
Nur Theater?
Es ist aber nicht allein die überzeugende Darbietung auf der Bühne, die das Publikum in seinen Bann schlägt. Die geschickte Verknüpfung von Orwells Werk und aktuellen gesellschaftlichen Debatten zusammen mit den Möglichkeiten moderner Technik, lassen die Frage aufkommen ob wir 2014 nicht schon längst in der Welt von 1984 leben. Da werden Flüchtlingsboote erwähnt, die man im Meer versenkt oder Datensammlungen, die zunächst gezielte Werbung ermöglichen und später politische Entscheidungen steuern. Später werden auf der Bühne sehr direkt Folterszenen nachgestellt, die eindringlich an Geschichten aus dem US-Lager in Guantanamo erinnern. Das Geschehen auf der Bühne rückt so immer mehr an die Realität heran. „Sie nennen es das Internet der Dinge, es wird uns tagtäglich begleiten, ohne, dass wir es merken“, prophezeit Winston in einem seiner Monologe.
Ganz zum Schluss fällt schließlich in einem überraschendem Finale endgültig die immer dünner gewordene Grenze zwischen Fiktion und Realität. Winston und die schlimmsten Befürchtungen von George Orwell sind endgültig im 21. Jahrhundert angekommen. Der Schlusspunkt einer beklemmenden aber herausragenden Aufführung, die wichtige Fragen stellt. Wer die Gefahren der wachsenden Überwachung noch immer nicht erkannt hat, sollte unbedingt ins Sprechwerk gehen.
„1984“ wird noch an folgenden Terminen im Sprechwerk, Klaus-Groth-Straße 23, aufgeführt:
29.8. und 30.8. jeweils um 20 Uhr
31.8. um 18 Uhr
23.09., 24.09., 25.09. jeweils um 20 Uhr
05.12., 06.12. jeweils um 20 Uhr
Kartenpreise:
Vorverkauf: 18,30 Euro, ermäßigt 11,70 Euro
Abendkasse: 19 Euro, ermäßigt 12,50 Euro
Markus
2. September 2014 at 12:31
„20 Jahre nach der Zukunftsvision, die…“
Ich fühle mich plötzlich 10 Jahre jünger.
😉
Dominik Brueck
2. September 2014 at 12:33
Dass es so lange gedauert hat, bis es jemandem auffällt zeigt aber auch, dass nicht nur ich schlecht in Mathe bin^^ Ist korrigiert. Danke für den Hinweis!