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Junge AutorInnen beim Kaltstart Festival: Die können was!

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Kristin Brueggemann

Geboren am 31.01.1985 in Hannover, Magister Politikwissenschaft, Journalistik und Osteuropastudien an der Uni Hamburg, diverse journalistische Praktika u.a. bei NDR Info

Im Rahmen des fünften Hamburger Theaterfestivals „Kaltstart“ fand am Samstag die Autorenlounge statt. Fünf NachwuchsautorInnen hatten die Gelegenheit, Auszüge aus ihren aktuellen Stücken vorzustellen und mit dem Publikum darüber zu diskutieren. Das Besondere: Die Stücke sind noch nicht fertig – die AutorInnen können die Anregungen aus der Veranstaltung in ihre Arbeit einfließen lassen.

Während es sich die meisten Menschen am Samstag auf dem Schulterblatt bei fast 30 Grad mit einem kühlen Eiskaffee gut gehen ließen, versammelte sich im Haus 73 eine eingeschworene Fangemeinde zu einem ganz besonderen Literatur-Event: Rund 60 Menschen waren an diesem Abend gekommen – ein ausverkaufter Saal, trotz Sommerhitze.

Regie-Arbeit im Express: Acht Stunden Zeit für die Inszenierung

SchauspielerInnen sitzen an einem Tisch und haben die Texte der Autoren vor sich liegen, blättern gemeinsam um, rezitieren wie bei einer Leseprobe. Das Unfertige, das Werkstatthafte prägt nicht nur die literarischen Werke selbst, sondern auch die schnell zusammengeschusterte Inszenierung: Acht Stunden Zeit hatten die professionellen SchauspielerInnen, um gemeinsam mit den AutorInnen eine „szenische Lesung“ zum jeweiligen Textauszug auf die Beine zu stellen. Das merkt man, wenn ein Einsatz zu spät kommt oder ein Stimmchor nicht ganz synchron läuft. Doch die SchauspielerInnen nehmen das genauso locker wie das Publikum – ganz ohne Leistungsdruck entsteht bei der Inszenierung gute Laune und eine positive Energie, die man förmlich in der Luft greifen kann.

Es gibt nicht DIE eine Gegenwartsliteratur

Auch wenn von den 15-minütigen Inszenierungen niemand Perfektion erwartet, hatten sich die OrganisatorInnen für ihre Veranstaltung viel vorgenommen: „Einen Querschnitt durch die Gegenwartsdramatik“ wollten sie dem Hamburger Publikum bieten. Im Interview relativieren sie diesen hohen Anspruch etwas: „Wir können die Gegenwartsdramatik nur aus der Vielfalt heraus zeigen“, sagt Laura Kiehne. Sie ist eine von fünf StudentInnen der Hochschule für Musik und Theater Hamburg, die das Organisationsteam bilden. Die Autorenlounge sei ein Kaleidoskop für verschiedene Schlagrichtungen und wollte den AutorInnen möglichst viel Freiraum für eigene Gedanken bieten. Daher habe man auch kein gemeinsames Oberthema ausgewählt sondern alles bewusst offen gelassen.

Aus 40 Einsendungen wurden fünf Stücke ausgewählt

Seit Oktober letzten Jahres liefen die Planungen und Auswahlprozess der Stücke. Aus insgesamt 40 Einsendungen hat das Team schließlich fünf Stücke ausgewählt. Worauf haben sie bei der Auswahl geachtet? „Mir waren die dialogischen Momente wichtig“, sagt Isabelle. Für die Inszenierung auf der Bühne sei die Interaktion der SchauspielerInnen untereinander wichtig, es müsse „etwas verhandelt werden“. Stücke mit langen Monologen hätten daher nicht so gut zu dieser Vorstellung gepasst. Erste Anregungen sind bereits im Arbeitsprozess mit den SchauspielerInnen entstanden: „Wir haben bereits Rückmeldungen von den Autoren bekommen, dass ihnen die Arbeit mit den Schauspielern sehr geholfen hat“, so Becker.

Suche nach Sinn und Identität ist ein häufiges Thema

Auch wenn es anfangs kein gemeinsames Thema gab – hat sich im Laufe des langen Auswahlprozesses dennoch etwas Gemeinsames ergeben? Etwas, das die deutschsprachige Gegenwartslitertur im Vergleich zu anderen Epochen ausmacht? Was ist anders, was ist ähnlich, was ist charakteristisch? Bei dieser Frage werden die jungen Frauen vorsichtig – zu heterogen seien die Formate und die Ansätze, als dass man sie über einen Kamm scheren wolle. Die Suche nach Sinn und Identität sei vielleicht so etwas wie ein gemeinsames Thema, sagt Isabelle Becker. So wie im Stück von „Kow Loon“ von Jan Geiger. Der 27-jährige Poetry-Slammer schreibt ein mitreißendes Stück über den Wettkampf dreier Männer um Geld und Macht. Gewinnmaximierung ist hier scheinbar zur einzigen Richtschnur geworden – andere Sinnfragen werden gar nicht mehr gestellt. Die beiläufige Selbstverständlichkeit, mit der die Hauptfiguren ihre Raubzüge planen, hinterlässt ein Schaudern.

Scharfe Dialoge und eiskalte Egozentriker bei Saskia Nitsche

Am stärksten beeindruckt hat jedoch der in der Veranstaltungsankündigung etwas blass wirkende Text von Saskia Nitsche mit dem Titel „Wir haben kalte Haut“. Den vier SchauspielerInnen gelingt das Kunststück, nur vom Schreibtisch aus die Härte des Textes zur Geltung zu bringen – ohne Bühnenbild, ohne Bewegung, ohne Körperlichkeit, nur mit der Kraft der Stimme. Es ist ganz still im Publikum, als die beiden Protagonisten Echo und Narziss am Anfang der Lesung seufzen und atmen. Wenn Narziss zum Ende kommt und seine Partnerin runterputzt, halten alle gespannt den Atem an. Bei Sätzen wie „Deine Haut ist zu dünn, da kommt zu viel durch“ offenbaren die Charaktere ihr Problem: ihre pathologische Beziehungslosigkeit. Vielleicht sind sie zu sehr auf der Suche nach Liebe und gerade deshalb nicht offen dafür. Vielleicht sind sie aber auch nur verliebt in sich selbst, wie der kettenrauchende Narziss. Er beendet eine Affäre lieber, bevor sie zu vertraut wird. Nitsches Text hat an diesem Abend nicht nur durch die Schärfe seiner Dialoge beeindruckt, sondern auch durch die treffsichere Themenwahl.

Wenn schon Inszenierung, dann bitte lieber richtig

Sicher hat die Art und Weise der Rezitation noch einmal den Werkstatt-Charakter der Veranstaltung hervorgehoben – doch nicht in allen szenischen Lesungen gelingt es, den Text nur mittels der Stimme zur Geltung zu bringen. So wirkte es nur noch komisch, als sich die skrupellosen Unternehmer in Kow Loon durch Schläge auf die Tischplatte geohrfeigt haben. Hier hätte ein – wenn auch noch so improvisierter – Bewegungsablauf den Text besser unterstützt.

Die können was! Und die können noch viel mehr davon!

Das Fazit des Abends bleibt jedoch positiv: Die fünf vorgetragenen Auszüge aus den Texten haben mit ihrer Wortgewalt beeindruckt und Lust auf mehr gemacht. Das Beispiel von Jan Geiger zeigt auch, wie Stilrichtungen wie Poetry Slam und Dramatik heute wie selbstverständlich ineinander übergehen können.

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