Eine Szenerie, wie sie kein Drehbuchautor besser hätte schreiben können, erwartet mich, als ich am Montag das Büro verlasse. Ist das alles nur ein böser Traum? Was ist hier geschehen? Ein Erlebnisbericht vom 16. Juni 2014.
Veröffentlicht am 16. Juni 2014
Montag, 16. Juni. Ich verlasse das Büro als letzter, es ist kurz nach 18 Uhr. Als die Tür hinter mir ins Schloss fällt, fühle ich mich wie Cillian Murphy in den ersten Szenen von „28 Days Later“. Wie der Hauptdarsteller in Danny Boyles Zombie-Thriller laufe ich durch menschenleere Straßen, gesäumt von zersplitterten Glasflaschen und umherfliegenden Papierfetzen.
Auf meinem Heimweg treffe ich nicht einmal die alte Frau, die immer um diese Zeit mit ihrem kleinen Hund spazieren geht und mir jedes Mal nett zulächelt. Auch die Trinker in der Nähe des Bahnhofs sind nirgendwo zu sehen, die Jalousien von Kiosk, Bäckerei und Imbissbude sind heruntergelassen. Als ich meine Kopfhörer abnehme, höre ich – nichts. Nur der Wind raschelt leise in den Bäumen.
Die Hände zur Faust geballt
Ich ertappe mich dabei, wie ich mich immer wieder nervös umsehe. Jede Bewegung um mich herum lässt mich aufschrecken. Meine Hände sind in den Hosentaschen zur Faust geballt, ich rechne damit, jeden Moment von einem Infizierten angefallen zu werden. Je länger ich kein Zeichen für menschliches oder tierisches Leben sehe, desto mehr reift in mir der Gedanke, dass etwas Schreckliches passiert sein muss.
Ich halte nach alten Zeitungen Ausschau, vielleicht steht dort, was passiert ist. Doch ich habe kein Glück. „Ich kann auf keinen Fall nach Hause“, schießt es mir durch den Kopf. Falls es sich wirklich um die Zombie-Apokalypse handeln sollte, wie ich vermute, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich auch meine Mitbewohner infiziert haben und nun voller Hunger auf mein Gehirn oder zumindest mein Fleisch Zuhause auf mich warten. So irre ich durch verlassene Straßen, vorbei an geschlossenen Geschäften und dunklen Wohnungen, als mir plötzlich eine Idee kommt.
„Hallo Mama, alles in Ordnung?“
Ich schaue auf mein Handy. Netz! Fast schon vorsichtig tippe ich die Nummer meiner Mutter in mein Telefon und drücke auf „Anrufen“. Ein kurzen Moment herrscht Stille in der Leitung, dann ertönt ein Freizeichen. Ob alles in Ordnung sei, frage ich als meine Mutter ans Telefon geht. „Ja, bei uns ist alles gut.“ Ich atme auf. „Schaust du gar nicht das Spiel?“, fragt meine Mutter. „Welches Spiel? Hier ist Zombie-Apokalypse“, schreie ich, auch wenn ich noch keine Zombies gesehen habe.
Die Antwort meiner Mutter verstehe ich nicht mehr, denn plötzlich bricht ein unglaublicher Lärm los, von allen Seiten ergiessen sich Leiber auf die Straßen. Die Gesichter hochrot oder merkwürdig bunt-verschmiert, die Münder weit aufgerissen kommen sie von überall auf mich zu. Ich bin mir sicher, dass dies das Ende ist. Ich versuche nicht wegzulaufen, sondern ergebe mich meinem Schicksal. Da erreichen mich aus dem Gebrüll der Masse, zwischen Hupen, Knallen und Gekreische, ein paar bekannte Laute. Rhythmisch, ganz anders als das wilde Stimmengewirr zuvor. „Schlaaaaaaaaaaand!“ Und dann bin ich sicher, dass etwas Furchtbares passiert. Und zwar noch zwei Wochen lang.
Oh je! Oh je! Oh je! Oh je! Es ist wieder WM – Zeit für Nationalstolz und Patriotismus in Deutschland. Endlich darf die so geschundene deutsche Seele wieder die Fahne raushängen, ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen.
Foto: Arne Müseler : arne-mueseler.de
Unknown
17. Juni 2014 at 12:58
Spielverderber!
Martin
17. Juni 2014 at 14:55
Ein bemerkenswert einseitiger Text des „Ressortleiters Stadtgespräch“. Ein jeder Andersdenkender wird pauschal als hirnloser Zombie bezeichnet. Respekt! Der Wunsch sich selbst als Teil einer Elite zu sehen scheint bei dem Autor sehr ausgeprägt zu sein.
Maren
17. Juni 2014 at 15:06
Haha! Sehr guter Text, auch wenn wohl wieder einige Leser Satire nicht verstehen
Maren
17. Juni 2014 at 15:15
Und ein Extra-Lacher für den Kommentar von „Martin“
jo
17. Juni 2014 at 16:15
@ Maren:
Satire wäre es gewesen, wenn der letze Absatz weggelassen werden würde. So ist es nur ein abkotzen.
Ich steh auch nicht auf Fanfest-Patriotismus. Aber der Artikel hätte von seiner Qualität her auch bei den Kommentaren stehen können. Sorry
Friedenstaube
23. Juni 2014 at 10:14
Hihihihi, ich fand den Artikel lustig und zugleich satirisch.
Auch mich erschreckt der plötzliche Nationalstolz bei Fußball.
Zumal man dort immer häufiger bekannte Grußhände sehen muß.
Wo sind diese Leute, wenn es um wichtige Themen ihrer Stadt, ihres Landes geht?
Warum bekommen sie den Hintern nicht für Recht und Freiheit vom Sofa hoch?