Die Hamburgerin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) verlässt nach sechs Jahren Amtszeit das Europaparlament und freut sich auf den Ruhestand. Ein Gespräch über „das demokratischste Parlament überhaupt“, die Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ und ihre Zukunftspläne.
Das Gespräch führte Anja-Katharina Riesterer
Mittendrin: Frau Schnieber-Jastram, fünf Jahre EU-Parlament sind zuende. Ihr Fazit?
Es waren tolle und interessante Jahre, die meinen Horizont wahnsinnig erweitert haben. EU – das bedeutet natürlich ganz andere Größenverhältnisse. Das Parlament ist ein sehr bedeutendes, hier passieren viele Dinge, die auch Hamburg betreffen.
Sie saßen schon in der Hamburger Bürgerschaft und im Bundestag. Was war anders im EU-Parlament?
Da waren nur die deutschen und nordischen Abgeordneten immer pünktlich. Aber Spaß beiseite – ich war überrascht, wie schnell Beschlüsse auf EU-Ebene durchgebracht werden. Das dauerte in Hamburg oft länger.
Sie habe mit 766 Abgeordneten zusammengearbeitet – wie war die Stimmung untereinander?
Alle waren ausgesprochen freundlich – man bedankte sich sogar beim Vorredner. Das habe ich vorher nie erlebt. Aber das ist eben Europa – man möchte sich den Dialog offen halten. Das gilt sogar zwischen den Parteien: ich habe stets Rücksprache mit Knut Fleckenstein (SPD) gehalten, obwohl wir natürlich oft unterschiedlicher Meinung waren. Das EU-Parlament ist das demokratischste, das es gibt. Die Abgeordneten dürfen alles tun, was sie verantworten können, da ist kein Fraktionszwang. In der Bürgerschaft in Hamburg war das deutlich schwerer.
Nun geht es für Sie in den Ruhestand – gibt es neue Pläne?
Vor allem eins: erst mal keine Pläne zu haben. Ein Leben ohne exakt geplante Termine im Dreißigminutentakt. Es stehen ein paar Reisen an – das bin ich auch meinem Mann schuldig, der sich sehr freut, dass wir wieder mehr zusammen unternehmen können. Und ich möchte die Stadt Hamburg privat genießen, ganz fernab der Politik.
Haben Sie als Hamburgerin auch von Brüssel aus verfolgt, was in der Heimat passiert?
Natürlich habe ich auch als EU-Abgeordnete immer mitgelesen, was national und regional passiert. Zu meinem Frühstück gehört eine Hamburger Zeitung!
Welche Themen waren da besonders präsent?
Natürlich war der Konflikt um die „Rote Flora“ sehr präsent, eigentlich ein altes Thema. Zu Beginn des Jahres natürlich auch die Hamburger Gefahrengebiete nach dem Angriff auf die Davidwache.
Dieser Angriff ist ja bis heute umstritten, die damit verbundenen Auseinandersetzungen wurden international in den Medien thematisiert. Auch im EU-Parlament?
Die Gefahrengebiete haben politisch in Europa keine Rolle gespielt. Dennoch war und ist es eine für Hamburg sehr schwierige Diskussion. Die Stadt hat einen großen Imageschaden erlitten. Solche Gewalttaten in dieser eigentlich so liberalen Metropole! Alle Politiker, egal welcher Couleur, müssen nun alles tun, damit diese Gewaltproteste nicht mehr stattfinden.
Ein weiterer Hamburger Krisenherd war und ist der Umgang mit den Lampedusa-Flüchtlingen, die wegen des libyschen Bürgerkriegs seit 2013 in Hamburg leben. Ihr EU-Politisches Statement?
Wir machen uns viele Probleme selbst. Wir nehmen den Fischern in der Dritten Welt die Lebensgrundlage – und dann müssen sie ihr Boot anderweitig zum Geldverdienen nutzen. Zum Beispiel mit dem Flüchtlingstransport. Das ist weder im Sinne der EU noch im Sinne der Afrikaner. Die flüchten nicht freiwillig sondern aus einem großen Elend heraus. Wir bekommen Probleme, wenn wir zu viele Leute aus anderen Ländern hereinlassen. Darum müssen wir mithelfen, dass die Menschen in der Dritten Welt sich selbst versorgen können. Wir können nicht nur den Lampedusa-Flüchtlingen etwas Gutes tun. Viele andere sind genau so in Sorge, wenn sie illegal hierher kommen. Wir leben aber in einem Rechtsstaat mit einer Rechtsordnung, die genau das besagt, was der Hamburger Senat tut.
„Kein Mensch ist illegal“ sagen die Unterstützer der Flüchtlinge. Stimmt das?
Natürlich sind diese Menschen illegal. Aber wenn man mit ihnen ins Gespräch kommt, wird es viel schwieriger, sie nach Hause zu schicken. Das sind oft Menschen mit einem unglaublich schweren Schicksal – und oftmals wahnsinnig klug. Aber sie sind illegal – das ist ja ihr Problem.
Das sehen viele Leute anders – es wird aber immer nur übereinander, nicht miteinander gesprochen. Warum?
Da tragen die Verantwortlichen der Lampedusabewegung eine große Mitverantwortung. Ich habe bis jetzt nirgends gehört, dass sie bereit zum Dialog gewesen wären. Aber natürlich will ich nicht ausschließen, dass da beide Seiten beteiligt sind.
Der Dialog ist auch EU-politisch bedeutsam. Im Wahlkampf spalten sich derzeit nationale Parteien wie die AfD ab und fordern auf, die Nachteile der EU für Deutschland zu betrachten. Welche sehen Sie?
Ich kann keine Nachteile erkennen. Die Idee der EU halte ich für eine der genialsten, die es gibt. Und ich finde es fatal, wenn man hier nur der Kostenaspekt betrachtet. Europa ist ein politisches Modell, das gerade den Deutschen nicht nur viel Geld sondern auch ein neues Selbstbewusstsein gegeben hat. Wer die Bedeutung der EU für Deutschland vergisst, hat nie ein Kriegsgrab besucht.
War die Währungsunion, trotz fortwährender Euro-Krise, auch eine „geniale Idee“?
Da kann ich nur wiedergeben, was Finanzexperten mir sagen. Natürlich sind mit dem Euro Fehler gemacht worden, das ist ja ein ganz neues Modell. Aber kann man das noch rückgängig machen? Der Euro wird nicht mehr nur national angelegt, das Geld fliegt gewissermaßen durch die Welt und kann nicht mehr eingezogen werden. Auch mit der Währungsunion wurde das Selbstwertgefühl der Deutschen gestärkt, jetzt gibt es noch mehr gemeinsame Ideen und Pläne mit den anderen Ländern.
Trotz dieser gemeinsamen Pläne und Ideen ist die EU für viele Staatsbürger nicht mehr als eine Währungsunion. Warum?
Die EU wird in ihrer Bedeutung als politisches Modell nicht verstanden. Dabei kann europapolitisch soviel bewegt werden – und das tun wir auch. Darüber berichtet aber niemand. Auch für die Hamburger Politik wäre das bedeutend – als große Außenhandelsstadt ist es wichtig, zu wissen, wie es beispielsweise den Entwicklungsländern geht.
Warum entsteht keine politische europäische Öffentlichkeit?
Maßgeblich deshalb, weil die Länder noch ihre eigenen Rechtsordnungen und Gesetze haben. Die EU-Öffentlichkeitsarbeit ist stark, ihre Angebote werden aber nicht angenommen. Brüsseler Journalisten können die Themen oft nicht in ihren Heimatredaktionen unterbringen.
Zudem ist das alles eine Frage der Sprache – es gibt zwar Modelle für einen EU-Rundfunk, aber selbst im Parlament wird ja heute noch gedolmetscht, in rund 25 Sprachen.
Am Sonntag wird das neue Parlament gewählt – wählen Sie mit?
Selbstverständlich. Und ich hoffe, dass alle Hamburgerinnen und Hamburger das ebenso tun.
Vielen Dank für das Gespräch!
Andreas
31. Mai 2014 at 08:29
Die Wahl von frau Schnieber-Jastram war die schlechteste Wahl die ich je getroffen habe,
Sie hat sich für einen Beitritt der Türkei in die EU eingesetzt obwohl Sie nach eigenen Worten keine Ahnung von dem Land hat. In einer dikussion mit ihr konnte ich mich davon überzeugen, daß es wirklich so ist. Gut, daß sie endlich in den Ruhestand geht.
Andreas Müller
bernd
2. Juni 2014 at 18:56
War das nicht die Sozialsenatorin, die Bürgerschaftspension bezog, ob wohl sie im EU-Parlament saß? Wurde unter ihr nicht jene rechtswidrige 318 EUR Höchstgrenze für NKM-Kosten für Hartz IV-Bezieher in Hamburg eingeführt? Sie hat also Mitleid mit den Afrikanern, die hierher kommen, sofern sie nicht im Mittelmeer absaufen, weil es in ihren Ländern keine Zukunft für sie gibt? Dann sollte sie in ihrer Christenpartei mal daraufhin wirken, dass diese ihre neokoloniale, imperialistische Politik überdenkt!