Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) hat das von der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) entwickelte neue Konzept zur Stadtentwicklung bis 2030 vorgestellt. Der ganzheitlichen Ansatz bekamen seitens der Experten Zuspruch, doch müsse an manchen Ecken „mehr Farbe“ bekannt werden.
„Grüne, gerechte, wachsende Stadt am Wasser“ – so heißt das Konzept, welches Bürgermeister Olaf Scholz im Audimax der Bucerius Law School vorstellte. Die Quintessenz: Alles soll vereinbart und gemischt werden. Das gilt für die Quartiere, auch außerhalb des innerstädtischen Bereichs, wo eine Mischung aus Wohnraum, Freizeit- und Grünflächen, wie auch Gewerbe und industriellen Elementen realisiert werden soll ohne dabei das historisch gewachsene Stadtbild aufzulösen. Aber auch für die Menschen, die dort wohnen, leben und arbeiten werden: Singles und Familien, Alt und Jung, sozial oder finanziell schwächer Gestellte und Menschen mit höherem Einkommen, Mieter und Eigenheimbesitzer.
Viele kleine und große Projekte versuchen bereits heute mit innovativem Geist diesen Ansprüchen nachzukommen. Beispiele und zukunftsträchtige Zahlen werden in der zugehörigen Broschüre zur Genüge genannt. 30.000 Menschen könnten zukünftig auf Basis heute geplanter Projekte am Wasser leben. Vor allem die Gebiete an der Bille böten hier viel Potenzial. Nachbarschaftsgärten fördern nachhaltiges Zusammenwohnen, der geplante Bau von jährlich 6000 Wohnungen, davon ein Drittel als geförderter Wohnungsbau, soll soziale Gerechtigkeit am „dynamischen“ Hamburger Wohnungsmarkt garantieren. Projekte wie das Quartier 21 in Barmbek, fördern das Prinzip der „Stadt in der Stadt“ und im HVV soll unter anderem der Bau der S4 für mehr Mobilität in Richtung der östlichen Stadtteile sorgen. Dass es dabei zwangsläufig zur „Verdichtung“ kommen wird, stellt auch das Stadtentwicklungskonzept klar. Bauliche Lücken seien zu schließen und neuer Raum, beispielsweise durch den Ausbau von Dachgeschossen, zu schaffen. Konflikte, die dadurch mit den Bürgern entstehen könnten, bezeichnete Scholz als „Teil des Prozesses“. Verschiedene Ansichten seien Ausdruck einer Demokratie, sagte er.
Konflikt zwischen Verdichtung und Mobilität konkret angehen
Dass das Stadtentwicklungskonzept Hamburgs all diese Dimensionen zusammen denkt, wird auch von vielen Experten als weitgehend positiv erachtet. Doch auch Diskussionsbedarf ist da. So gab Marco Lohmann, Vorstandsvorsitzender der Baugenossenschaft Bergedorf-Bille, am Abend der Vorstellung des Konzepts zu bedenken, dass die Einbindung von Industrie in Wohngebiete aufgrund ihrer Emission Grenzen habe. Prof. Dr. Jürgen Oßenbrügge von der Universität Hamburg war bei der Vorstellung des neuen Konzeptes nicht dabei, vermisst aber seit Längerem konkrete Ansätze zur Herangehensweise des Senats an die Herausforderungen der Mobilität in einer verdichteten Stadt. „Das Gewerbe und der wachsende Online-Handel benötigen viel Verkehr. Das steht im Konflikt mit einer Verdichtung“, so Oßenbrügge. Es brauche über kurz oder lang handfeste Konzepte, beispielsweise das einer „Autofreien Stadt“, einem „Abschied von fossilem Verkehr“, eine „Umweltsteuer“ oder ähnliches um diesen zu lösen. „Von allein wird sich das angestrebte Konzept nicht einstellen“, warnt er.
Die Bereitstellung von Wohnraum allein garantiert noch keine soziale Durchmischung
Ähnliche Einwände ergeben sich bezüglich des „gerechten Wohnens“. Mit dem geplanten Bau der 6000 Wohnungen habe der Senat ein wichtiges Signal gesetzt, so Oßengrügge, meint aber auch: „Allein durch die Bereitstellung von Wohnraum entsteht noch keine soziale Durchmischung“. Zwar betonte Olaf Scholz, dass auch Menschen mit geringerem Einkommen in jedem Quartier Hamburgs angemessenen Wohnraum finden sollten, doch könnte auch hier weiter gedacht werden. „Gerade sozial benachteiligte Menschen sind oft auf innerstädtische Strukturen angewiesen“, betont Oßenbrügge. Interessengruppen, wie „Hinz&Kunzt“ bemängeln, dass entsprechende Aufenthaltsorte für beispielsweise obdachlose Menschen fehlten. Hier wünscht sich der Wissenschaftler, dass der Senat zukünftig mehr Farbe zur „sozialen Frage“ bekennt.
Von planerischer Seite aus lobte Karin Loosen (LRW Architekten und Stadtplaner Loosen, Rüschoff + Winkler GbR) am Mittwoch die Denkrichtung des Stadtentwicklungskonzepts, wies aber im gleichen Atemzug auf Herausforderungen auf Verwaltungsebene hin: „Raum in der Stadt muss oft in mehreren Dimensionen gedacht werden“, erklärte sie. Eine Straße sei Teil des Verkehrsnetzes aber oft auch unmittelbarer Teil öffentlichen Raums. „Die Fachbehörden arbeiten bisher nicht so zusammen, wie es dem Konzept entsprechen müsste“, so Loosen. Oßenbrügge ergänzt: „Behörden sind auch Interessenvertreter. Die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt bedient ein anderes Klientel als die Wirtschaftsbehörde“. Diese auf einer Ebene zu vereinbaren sei schwer.
Foto: Henriette Bunde
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