Sieben Wahlprüfsteine hat der Sozialverband Deutschland (SoVD) zur diesjährigen Wahl des Europaparlaments ausgearbeitet. Sie sprechen die besonders sensiblen Bereiche europäischer Sozialpolitik an und reichen von der Jugendarbeitslosigkeit bis zur Alterssicherung. Fünf Hamburger Politiker verschiedener Parteien, die für die Europawahl am 25. Mai kandidieren, positionierten sich im Rahmen einer vom SoVD Hamburg veranstalteten Diskussionsrunde zu den Wahlprüfsteinen – und waren sich bei den sozialpolitischen Zielsetzungen erstaunlich einig. Bei der Umsetzung dieser gingen die Meinungen jedoch zum Teil weit auseinander.
Die Sparpolitik in der EU führe dazu, dass nationale soziale Sicherungssysteme massiv in ihrer Funktionsfähigkeit beeinträchtigt sind. So sieht es der SoVD und empfiehlt einen Kurswechsel hin zu einem sozialen Europa mit solidarischen Krisenlösungen. Knut Fleckenstein (SPD), Dr. Roland Heintze (CDU), Manuel Sarrazin (Bündnis 90/Die Grünen), Martin Dolzer (Die Linke) und Dr. Najib Karim (FDP) legten am vergangenen Mittwoch vor rund 80 interessierten Zuhörern ihre Meinungen und Ziele zu verschiedenen sozialpolitischen Themen Europas dar.
Ansage an Europas Jugendliche „Tut mir leid, wir brauchen euch nicht!“
Am längsten wurde dabei über die Jugendarbeitslosigkeit diskutiert, die in der EU bei rund 24% liegt. Staaten wie Griechenland, Spanien und Portugal sind besonders stark betroffen. Acht Milliarden Euro stelle die Europäische Kommission über die nächsten sieben Jahre bereit, um dieser Situation entgegen zu wirken. Dass dieses Geld allein zu wenig ist um der Jugendarbeitslosigkeit zu begegnen, darin waren sich die Hamburger Politiker einig. „Das kommt der Ansage an Europas Jugendliche gleich: Tut mir leid, wir brauchen euch nicht!“, mahnt Fleckenstein. Vorschläge zur Verbesserung der Situation machten anwesenden Politiker gleich mehrere. So müsse beispielsweise das Ausbildungssystem durchlässiger gestaltet werden, auch Deutschland habe da Nachholbedarf, meint Heintze. Für einen Mix aus kurzfristigen finanziellen Hilfen und längerfristigen Strukturreformen, beispielsweise hin zu einem europaweiten dualen Ausbildungssystem, sprach sich FDP-Politiker Karim aus. Klar gegen die bisherigen Sparmaßnahmen der sogenannten Troika aus aus Vertretern der EZB, des IWF und der EU-Kommission positionierte sich Martin Dolzer. Zu viele Menschen hätten dadurch nicht nur Ihre Arbeit, sondern auch ihre Krankenversicherung verloren. Der Politiker der Linken forderte mehr regionale Förderprogramme um die Arbeitsplätze vor Ort zu stärken. Die prekäre Situation auf dem EU-Arbeitsmarkt für Jugendliche und einzelne Berufsgruppen, wie in der Pflege und der Gastronomie, sei aber auf die grundsätzliche Ausrichtung europäischer und deutscher Politik zurück zu führen. Hier bedürfe es einer keynesianistischen Umstrukturierung, Exportüberschüsse hierzulande müssten zugunsten sozialer Maßnahmen abgebaut werden. „Exporte an sich sind gut. Wenn wir aber auf den Kosten anderer davon profitieren, kann etwas nicht stimmen“, so Dolzer.
Hat die EU-Politik eine keynesianistische Ausrichtung nötig?
Manuel Sarrazin warf ein, dass man mit einem einfachen „Sparen ist falsch“ nicht weit komme. Nicht alle Sparmaßnahmen, gerade im Bildungsbereich oder bei der Bankenrettung, waren gut und sinnvoll, doch sei hier eine Differenzierung wichtig, betonte der Politiker der Grünen. Das alleinige Aufsetzen eines riesigen Konjunkturprogramms zur Schaffung aller nötigen Arbeitsplätze sei unrealistisch, das Geld dafür nicht vorhanden. Als „rieisges Konjunkturprogramm“ sei die Hinwendung zum Keynesianismus auch nicht zu verstehen, konterte Dolzer. Es handele sich vielmehr um eine neue Grundausrichtung, weg von der Wirtschaft hin zum „Wohle des Menschen“. Seitens der CDU und der SPD waren sich Heintze und Fleckenstein darin einig, dass solide Haushalte der Mitgliedsstaaten eine Grundvoraussetzung zur Verbesserung der Jugendarbeitslosigkeit seien. „Von außen kommt kein Geld hinzu“, so Fleckenstein. Zusätzlich müsse früher oder später auch von dort Geld genommen werden, wo es weh tut, von anderen Bereichen des Sozialhaushalts selbst.
Pflege wird überwiegend als nationales Thema gesehen
Interessant wurde es auch noch einmal beim Thema Pflege. Ein Bereich der Sozialpolitik, der von den Hamburger EU-Parlamentskandidaten größtenteils als nationale Angelegenheit verstanden wird, während der SoVD für einheitliche Mindeststandards auf EU-Ebene eintritt. Fleckenstein wies darauf hin, dass Deutschland von EU-Standards nicht profitiere, da sie Situation der Pflege hier vergleichsweise gut ist. Das heiße nicht, dass keine Verbesserungen nötig sind, diese seien aber auf nationaler Ebene anzugehen, meint der SPD-Kandidat. CDU-Politiker Heintze ergänzte, dass die Mitgliedsstaaten vor unterschiedlichen demografischen Herausforderungen stünden und Menschen verschiedener Staaten verschiedene Ansprüche und Wünsche im Bereich Pflege hätten. Die Verantwortung liege deshalb klar bei den Nationalstaaten. Wenn alles über Brüssel gehen müsse, wäre das im Bereich Pflege im Zweifel eher hinderlich. Gemeinsame EU-Politik solle sich auf die typischen großen Fragen wie der Sicherheitspolitik und die Bankenregelung konzentrieren. Martin Dölzer wies daraufhin, dass eine weitere Privatisierung der Pflege keine Lösung sei, sondern mehr öffentliche Träger geschaffen werden müssten. Auch hier gelte das Prinzip einer grundsätzlich weniger wirtschaftlichen und mehr sozialen Ausrichtung der EU-Politik.
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