Der Verlag Nautilus hat sein 40. Jubiläum im Golem gefeiert. Der Hamburger Verlag bediente lange Literaturnischen. Heute ist er auch angekommen im großen Belletristikhafen.
Eins ist schon im Voraus klar. Das Golem, Hamburgs Raum für Kunst, Theorie und Praxis direkt an der Elbe, bietet nicht nur die richtige Atmosphäre für das Jubiläum des Nautilus Verlags. Er ist aufgrund seiner Gäste auch der richtige Hafen für die Nautilus. Es ist bereits das 40. Jahr seitdem die Gründer Lutz Schulenburg, Pierre Gallissaires und Hanna Mittelstädt ihn ins Leben gerufen haben. Der Verlag veröffentlicht noch heute besonders linke Theorien und im Speziellen den Situationismus, auch wenn mittlerweile die Vielfalt, auch zu Zwecken der Finanzierung, um Prosa-Romane und Belletristik erweitert wurde.
Vom MAD zum Nautilus
Vor mehr als 40 Jahren begann der im letzten Jahr plötzlich an schwerer Krankheit verstorbene Lutz Schulenburg Flugblätter zur politischen Theorie in einer Werkstatt unterhalb der heutigen Abaton-Kinos zu drucken. Es war der Startpunkt des heutigen Verlags Edition Nautilus, der damals noch MAD (Kurzform für Materialien Analysen Dokumente) hieß, seinen Namen aber aufgrund eines Rechtestreits mit der britischen Satirezeitung MAD ändern musste. Seinen Anspruch: Sowohl in Aktionen als revolutionäres Individuum als auch als Herausgeber die Trennung zwischen Idee und subjektiver Position aufzuheben und die Einheit der Individuen mit sich selbst und ihrer Utopie herzustellen, damit das geschichtliche Ziel „der ganze Mensch“ sich entfalten könne.
Im Golem lässt man die Entstehung des Verlages noch einmal Revue passieren. Klaus Voß, sonst lieber nicht im Vordergrund von Veranstaltungen sondern allein mit der „Herrstellungsleitung“ im Verlag betreut, wie Mittelstädt bei der Ankündigung sagt, gelingt es dabei auf faszinierend kühle Art in die Geschichte des Verlags einzuführen. Es ist eine Reise durch die Zeit politischer Theorieströmungen, angefangen bei den Situationisten, die in der Edition Nautilus die ersten Drucke bestimmen. Mitbegründer Pierre Gallissaires führte diese Theorieströmung von ihrem Ursprungsland Frankreich nach Hamburg-Bergedorf. Der Situationismus, mit ihm werden solche bekannte Autoren wie Guy Debord, Raoul Vaneigem oder Asgar Jorn verbunden, diente als eine Schnittstelle zwischen Kunst und Politik. Während links-sozialistische Themen wie die Abschaffung der Ware, der Technokratie oder auch Hierarchien gefordert wurden, sollten konzeptionell solche Situationen hergestellt werden, die das Leben zum Kunstwerk sterilisierten. Damit gemeint: ein Ausdruck von Skandal, die gesellschaftliche Anarchie.
1977 entsteht so das erste Mammutprojekt der Verlagsgeschichte: 800 Seiten in Großformat auf der Schreibmaschine abgetippt und übersetzt. Darin: Texte der Situationisten. Später kommen auch noch Richtungen wie der Dadaismus, Surrealismus und vor allem der Anarchismus hinzu. 1980 unterzieht sich das bis heute währende Format „Flugschrift“ einer neuen Ausrichtung. Die Flugschriften haben jetzt nicht nur ein neues Aussehen, sie sind zudem ausschließlich aktuellen politischen Kommentaren vorbehalten – und zwar zum Taschenbuchpreis und in einem gelben Umschlag. 2006 wird das Format wiederbelebt. Bekannte und brisante Bücher, wie „Taksim ist überall“ des Journalisten und Autors Deniz Yücel entstehen ebenso wie „Gentrifidingsbums oder eine Stadt für alle“ von Christoph Twickel. Auf der Jubiläumsbühne sind sie allerdings nicht vertreten. Dafür sind Robert Bark, Wolfgang Borklik, Hans-Christian Dany Roberto Rat, Niels Boeing und Matthias Wittekindt gekommen, nicht nur um sie zu vertreten, sondern auch, um mit der Nautilus einen Rück- und Vorausblick zu wagen.
Nur politisch zu sein verkauft sich nicht: Dinner for One als einer der Kassenschlager
Robert Bark und Matthias Wittekindt gehören zum neuen Schlag Autoren beim Verlag, sie sind Krimischreiber. Den Verlegern war schon schon früh klar, dass sich das Konzept ohne Verkäufe nicht über Wasser halten kann. Hanna Mittelstädt führte deshalb schon Mitte der 70er Jahre nicht nur wirtschaftliche Begriffe in den Verlag ein, sie schaffte es auch entgegen der womöglich politisch-ideologischen Strenge ihres Mannes, Prosa-Texte und Unterhaltungsliteratur im Verlag unterzubringen und zu Verkaufsschlagern zu machen. So ist der Verlag vor allem durch einen Sketch des englischen Komikers Freddie Frinton und seiner Partnerin May Warden bekannt . Mit über einer Viertel-Millionen verkaufter Exemplare in zwanzig verschiedenen Editionen wurde „Dinner for One“ ein Verkaufsschlager.
Doch so sehr sich die Nautilus über die Verkäufe dazu freut(e), die Herzensprojekte lagen immer wo anders. Zum Beispiel in einem weiteren Mammutprojekt, das die Nautilus, so Voß, „fast auf den Grund laufen ließ“. Die Veröffentlichungen der Werke Franz Jungs, insgesamt 14 in der Zahl, eines ehemaligen Kommunisten der in den Spartakusaufständen partizipierte, nach 1945 allerdings Wirtschaftskorrespondent wurde. „Wir sind durch seine Biographie zu seinen Jüngern geworden“ sagt Mittelstädt heute. Er habe sich mit einen wahnsinnigen Schlingerkurs durch die deutsche linke Theoriegeschichte seit 1900 bewegt, sagt Mittelstädt, „seine selbstkritischen Analysen machten ihn so interessant, dass wir gar nicht anders konnten, als unsere ganze Energie dafür aufzuwenden“.
Heute beherbergt der Verlag einige internationale Hochkaliber der Literatur in einer alten Darmfabrik in Bahrenfeld. Es ist nicht mehr alles „do-it-yourself“ wie noch vor einigen Jahren in Bergedorf. Damals reichten drei Zimmer als Büroräume aus und Lutz Schulenburg gestaltete alle Buchcover selbst. Trotzdem sieht sich der Verlag auch heute noch als familiäres Unternehmen an.
Auch die Nautilus musste sich anpassen, um alt zu werden
Der Nautilus-Verlag hat fast 900 Titel auf den Markt gebracht. Daraus sind 63 Bände der „Kleinen Bücherei für Hand und Kopf“ entstanden, mit solchen bekannten Autoren und Malern wie Max Ernst oder Francis Picabia. Dazu wurden 14 Bände der Franz Jung Werkausgaben, 19 Bände der Krimireihe „Kaliber 64“, 31 Nummern des Kampfblattes „Revolte“ und 220 Nummern der „Aktion“ publiziert. Nicht zu vergessen sind auch die sieben sprachlichen Variationen von Dinner for One. Im März 2004 erhielt der Verlag den Kurt-Wolff-Preis der Leipziger Buchmesse für sein anspruchsvolles literarisches Programm. Von der Kulturbehörde in Hamburg gab es außerdem zweimal den Verlagspreis 1993 und 2002. Die Nautilus steuert also trotz des Todes von Steuermann Lutz Schulenburg auf weitere Jahre im Büchermeer zu.
Foto: Frederic Zauels
Facebook
Twitter
Flattr
Google+
YouTube
Soundcloud
Paypal
Anmelden