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Schadstoffe im Niebuhrhaus: „Ein giftiger Cocktail“

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Isabella David
@isabelladavid89

Chefredakteurin | Studentin der Politikwissenschaft an der Universität Hamburg | Kontakt: david@hh-mittendrin.de

Die BewohnerInnen des Niebuhrhauses an der Reeperbahn 157 haben Angst um ihre Gesundheit. Ein vom Bezirk in Auftrag gegebenes Gutachten soll Klarheit über die Schadstoffbelastung bringen.

Es staubt und lärmt, einige Arbeiter transportieren herausgerissene Baumaterialien im Fahrstuhl nach unten. Sanierungsarbeiten sind für die BewohnerInnen des Niebuhrhauses alltäglich. Ebenso, wie die ständige Ungewissheit darüber, ob es schadstoffbelastete Baustoffe sind, die die Arbeiter – selbst ohne Mundschutz – ungesichert quer durch das ganze Haus transportieren. Nach Funden von asbesthaltigem Material im Aufzug und einem Container im Hof soll ein Gutachten nun klären, wie stark die Schadstoffbelastung in dem 1970er-Jahre-Bau wirklich ist und welche Gefährdung für die BewohnerInnen ausgeht.

Das Hochhaus an der Reeperbahn 157, besser bekannt als Niebuhrhaus, besteht aus 150 Wohneinheiten auf 17 Geschossen. Etwa 70 der Wohnungen wurden vom Eigentümer, der Excelsior Immobilien GmbH und Co. KG, bereits verkauft. Viele der veräußerten Wohnungen wurden von den neuen EigentümerInnen bereits saniert und zu luxuriösen Appartements umfunktioniert.

„Die Situation im Niebuhrhaus beschäftigt uns bereits seit längerem, die Schadstoffbelastung und die Art der Entsorgung der Baumaterialien im Rahmen von Sanierungsarbeiten sind bekannte Problemlagen. Deshalb war es uns wichtig, eine Gesamtübersicht über die Belastung im Niebuhrhaus zu erhalten“, so Bezirksamtsleiter Andy Grote. Nachdem die Mitglieder der Initiative Reeperbahn 157 am Runden Tisch im wieder ein Gefahrstoffkataster für das Niebuhrhaus gefordert hatten, gab auch die Bezirksversammlung den politischen Auftrag die Gefahren, die von der Schadstoffbelastung für die BewohnerInnen des Niebuhrhauses ausgehen, umfassend zu prüfen.

Für die Analyse sollten alle bisher vorliegenden Messbefunde zusammengetragen und toxikologisch bewertet werden. Das Bezirksamt Hamburg-Mitte beauftragte damit das Institut für Toxikologie und Pharmakologie für Naturwissenschaftler am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein. Seit August 2013 liegt das Gutachten nun vor. In der vergangenen Woche wurden die Betroffenen bei einer BewohnerInnenversammlung von den Prüfern und dem Bezirksamt über den Sachstand informiert.

Gesundheitsschädliche Baustoffe im Niebuhrhaus

Bei den Schadstoffuntersuchungen sollte insbesondere dem Verdacht nachgegangen werden, dass Asbest, künstliche Mineralfasern (KMF) und Polychlorierte Biphenyle (PCB) im Niebuhrhaus vorkommen. „Das ist der giftigste Cocktail, den man sich so vorstellen kann“, sagt Dr. Hermann Kruse, der an der Auswertung der Schadstoffbelastung im Niebuhrhaus mitgewirkt hat. Das Risiko an Krebs zu erkranken ist besonders hoch, wenn man diesen Schadstoffen in der Raumluft dauerhaft ausgesetzt ist.

Die Materialanalysen belegen, dass festgebundener Asbest in Bodenbelägen, Kleber, Reparaturputz, Abzugschächten und Balkonverkleidungen verarbeitet wurde. Künstliche Mineralfasern wurden nur vereinzelt in Staubproben nachgewiesen, auch PCB kommt nach den vorliegenden Messwerten nur eine untergeordnete Rolle zu. „Am wichtigsten ist es, wie hoch die Schadstoffbelastung in der Luft ist“, erklärt Dr. Kruse. Rückschlüsse auf die Raumluftbelastung im Gebäude insgesamt seien durch die vorliegenden Analysen jedoch nicht möglich.

Weder in den sanierten Wohnungen, noch in dem renovierten Aufzug konnte eine kritische Menge an Asbest-Fasern nachgewiesen werden. „Allerdings wurden keine Messungen in nicht sanierten Wohnungen durchgeführt“, so Kruse weiter. Die Schadstoffanalysen von etwa 40 Wohnungen wurden zum überwiegenden Teil in leerstehenden Wohnungen nach (Teil-)Sanierungen vorgenommen.

Insbesondere durch die Alterung der Materialien könne es jedoch gerade in den nicht sanierten Wohnungen zur Freisetzung von Asbestfasern kommen. „Arbeiten an asbesthaltigen Materialien, wie Bohren, Schleifen, Sandstrahlen, Bodenverlegearbeiten können in der Vergangenheit erhebliche Faserfreisetzungen in der Raumluft hervorgerufen haben“, heißt es in dem Gutachten (S.44| Benutzername: niebuhr-haus, Passwort: hamburg). Besonders problematisch sei außerdem der verwendete Reparaturputz, in dem Asbest nachgewiesen worden ist.

Der Bezirk gibt Entwarnung – BewohnerInnen schlagen Alarm

„Wir sind erleichtert, dass keine Befunde vorliegen, die uns zu einem akuten Handeln veranlassen. Wir sind besonders froh, dass in der Raumluft keine Befunde festgestellt werden konnten“, sagt Andy Grote. Bei weiteren Sanierungsarbeiten müsse der sachgemäße Umgang mit den schadstoffhaltigen Materialien gesichert werden. „Das Bezirksamt dient hier als Gefahrenabwehrbehörde. Die Eigentümer müssen selbst dafür sorgen, dass bei der Sanierung alles sachgemäß abläuft“, so Grote weiter. Andere Eingriffe des Bezirksamts ohne die Anzeichen einer akuten Gefährdung seien unzulässig.

Die Gutachter selbst sehen das Ergebnis der Untersuchungen weit weniger als einen Grund zum sorgenfreien Durchatmen. „Es ist nicht alles in Ordnung im Niebuhrhaus. Wir wissen gar nicht, wie es in den nicht sanierten Wohnungen aussieht“, sagt Gutachterin Dr. Christiane Aschmann. Die gleiche Sorge plagt auch die MieterInnen. „Meine Wohnung ist also gar nicht mit diesen Ergebnissen vergleichbar?“, hakt ein Bewohner einer nicht sanierten Wohnung nach.

„Es kommt immer wieder zu enormen Arbeiten im Zuge von Luxussanierungen“, sagt Steffen Jörg von der GWA St. Pauli. Auch komme es dabei zu unsachgemäßen Umgang mit den Stoffen. So sei beispielsweise im April eine nicht-tragendende Wand aus einer der Wohnungen entfernt und ungesichert durch das Haus transportiert worden. Auf Nachfrage habe es vom Bezirksamt nur geheißen, dass das Herausreißen der Wand keiner gesonderten Genehmigung bedürfe.

Zwar wurde in den Wänden selbst kein Asbest gefunden, dafür jedoch im verwendeten Reparaturputz. Oftmals bleibt dieser jedoch im Verborgenen, unter der Tapete. „Eine Fachfirma hätte erst prüfen müssen, ob an der Wand Reparaturputz verwendet worden ist, um dann die notwendigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen“, bestätigt auch Dr. Hermann Kruse. Wie oft der Reparaturputz verwendet worden sei, zeigten die Untersuchungen in der Wohnung eines Betroffenen. 120 Reparaturstellen seien unter der Tapete an den Wänden zu finden.

„Warum tauchen die Reparaturstellen nicht in der bezirklichen Verfügung auf? Sie spielen mit der Gesundheit der BewohnerInnen“, sagt Steffen Jörg von der GWA-St. Pauli. Diesen Vorwurf weist Bezirksamtsleiter Grote entschieden von sich. Man werde auf Grundlage des Gutachtens über eine Aufnahme des Reparaturputzes in die Verfügung nachdenken. Das Bezirksamt verweist die BewohnerInnen jedoch auf den zivilrechtlichen Weg. „An der Stelle, an der man mit dem Eigentümer nicht klar kommt, kann nicht immer das Bezirksamt einspringen“, sagt Andy Grote.

„Sorgfältige Begleitung der Sanierungsmaßnahmen“

Doch auch die Empfehlungen der Gutachter gehen über die bezirkliche Verfügung hinaus. Um eine Gefährdung der BewohnerInnen durch Schadstoffe nachhaltig auszuschließen, halten die Gutachter die Eigentümer dazu an,  ein Gefahrstoff- oder Sanierungskataster, in dem alle Wohneinheiten und allgemein zugänglichen Räume berücksichtigt werden, erstellen zu lassen.

Den MieterInnen selbst empfehlen die Toxikologen die Bearbeitung von Asbestprodukten zu unterlassen, jegliche Beschädigungen dem Vermieter schriftlich zu melden, damit eine Instandsetzung veranlasst werden kann. Die Behörde solle außerdem ein Informationsmerkblatt für den Umgang mit Asbest an die BewohnerInnen des Niebuhrhauses verteilen. „Eine sorgfältige Begleitung der zukünftigen Sanierungsarbeiten ist unbedingt notwendig“ sagt Dr. Hermann Kruse.

Korrektur: In der ursprünglichen Version des Artikels hieß es, das Haus bestehe aus 70 Wohneinheiten. Tatsächlich sind es jedoch 150 Wohnungen. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.

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