Am Freitag eröffnete die internationale Gartenschau (igs) in Wilhelmsburg. Bis zum 13. Oktober zeigt die igs auf dem 100 Hektar großen Ausstellungsgelände ihre Vision der Parks und Gärten des 21. Jahrhunderts. Neben der Internationalen Bauausstellung (IBA) ist die igs die zweite Großveranstaltung, die in diesem Jahr auf der Elbinsel stattfindet. Insbesondere die sozialen und ökologischen Konsequenzen der Großprojekte stehen in der Kritik von AnwohnerInnen, Initiativen und Naturschutzverbänden.
Am Freitag wurde die internationale Gartenschau in Wilhelmsburg von Bürgermeister Olaf Scholz und Bundespräsident Joachim Gauck eröffnet. „Eine solch große Gartenschau kann auch ein Anstoß sein, um das soziale Zusammenwachsen einer Stadt zu fördern“, sagt Bundespräsident Joachim Gauck in seiner Eröffnungsrede. Auch Bürgermeister Olaf Scholz sieht die igs als Meilenstein der Stadtentwicklung im Sinne des Konzeptes ‚Sprung über die Elbe‘: „Wilhelmsburg ist die größte bewohnte Flussinsel Europas, durchaus vergleichbar mit der New Yorker Flussinsel Manhattan. Und so wie Manhattan einen Central Park besitzt, hat auch Wilhelmsburg nun eine grüne Mitte.“ In die rund 100 Hektar Gesamtfläche wurden in den vergangenen Jahren rund 70 Millionen Euro investiert. Die igs selbst erwartet, dass die Gärten bis zu 2,5 Millionen BesucherInnen auf die Elbinsel locken. An der feierlichen Eröffnung der Gartenschau am Freitag nahmen 1.500 geladene Gäste teil. Darunter vor allem Politiker und Pressevertreter. Gleich durch zwei Sicherheitsschleusen wurde die Eröffnungsfeier von den WilhelmsburgerInnen abgeschottet.
Vor dem umzäunten Gelände der igs kam es zu Protesten unterschiedlicher Initiativen aus dem Stadtteil, die insbesondere die schlechte Umweltbilanz der Ausstellung, aber auch die grundsätzlichen Konsequenzen der Stadtentwicklungspolitik in im Zeichen von igs und IBA kritisieren. Einige der etwa 150 DemonstrantInnen versuchten mehrfach Zutritt zum igs-Gelände zu bekommen, wurden von der Polizei jedoch immer wieder aufgehalten. Am Zaun befestigten sie ein Transparent mit der Aufschrift: „Der Zaun muss weg!“. Auch der Arbeitskreis Umstrukturierung Wilhelmsburg (AKU) nahm an der Demonstration teil. Für den AKU ist die igs keine „harmlose Blümchenschau“. Die Ausstellung bedeute Naturzerstörung und Verdrängung. „Die Gartenschau ist neben der IBA das zweite Prestigeprogramm des Senats, mit dem Millionen in eine Show anstatt in den Erhalt gewachsener lokaler Strukturen, Grünflächen und günstiger Wohnungen gesteckt werden. Der Zaun und die Eintrittspreise der igs setzen ein klares Zeichen der Ausgrenzung für BewohnerInnen im Viertel“, sagt Marianne Neubert vom AKU. Über eine neue „grüne Mitte“ für den Stadtteil, wie Olaf Scholz die igs nennt, würden sich die meisten BewohnerInnen nicht freuen können, da sie mitangesehen haben, wie die igs durch massiven Kahlschlag die Pflanzen- und Tierwelt ihres ehemaligen Parks und die Spontannatur der benachbarten Brachflächen unwiederbringlich zerstört habe.
Eine Gruppe von AnwohnerInnen machte am Freitag ihren Unmut über die Umweltzerstörungen und Privatisierungen durch die igs durch eine Trauerveranstaltung sichtbar. Ein Sarg symbolisierte dabei den vormals öffentlichen, naturnahen Park. „Ich bin mit diesem naturbelassenen Park aufgewachsen. Wenn ich heute die Verwüstung dieser einst reichhaltigen Landschaft sehe, schwanke ich zwischen Wut und Trauer. Mit irgendwelchen eckigen, am Schreibtisch erfundenen ‚Gartenwelten‘ kann ich nichts anfangen. Und kommerzielle Sportangebote auf neugeschaffenen ‚Sichtachsen‘ sind auch nichts für mich, ich würde lieber einfach weiter durch uriges Grün laufen können und dabei wilde Pflanzen und Tiere beobachten können“, sagt der Wilhelmsburger Gerd Putzke.
Auch die Initiative „IBA? Nigs DA!“ kritisiert die internationale Gartenschau scharf. „Über 5.000 Bäume gefällt, 4 Kilometer Hecke zerstört, mehrere wertvolle, gesetzlich geschützte Biotope vernichtet, Kleingartenparzellen plattgemacht: Die Umweltbilanz der igs ist katastrophal“, sagt Hannah Sperberich, Aktivistin der „IBA? Nigs DA!“. Besonders kritisieren die Initiativen, dass die Zerstörung der Umwelt auf der Elbinsel unter der Leitung des Geschäftsführers des BUND Niedersachsen, Heiner Baumgarten, stattgefunden hat. „Die künstlich gepflanzten Tulpen werden verblühen, aber die gewachsene Natur in Wilhelmsburg bleibt unwiederbringlich zerstört“, sagt Sperberich weiter. Auch aus Sicht des BUND Hamburg bleibt der Naturschutz bei der igs auf der Strecke: „Die igs ist ihrem selbst gesteckten Anspruch eines behutsamen Umgangs mit den vorhandenen Naturpotenzialen auf der Wilhelmsburger Elbinsel nicht gerecht geworden und verantwortet die Fällung von über 3.300 Bäumen.“ Insgesamt seien für igs und IBA 5.000 Bäume auf der Elbinsel gefällt worden. Für einen Kanukanal seien der letzte größere Waldbestand zerstört und wertvolle Feuchtwiesen unter einer meterdicken Sandschicht begraben worden. „Von der igs, aber auch von der IBA erwartet die Öffentlichkeit zu Recht eine andere Planungskultur und einen anderen Umgang mit vorhandenen Umweltqualitäten. Tausende von Bäumen mussten erneut einer Leistungsschau des Gartenbaus weichen“, so Manfred Braasch, Landesgeschäftsführer des BUND Hamburg. Der Naturschutzbund fordert, dass derartige Großprojekte zukünftig einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden sollen und die angekündigten Rückbaumaßnahmen nach dem Ende der igs im Oktober konsequent durchgesetzt werden. Außerdem sollen ausreichend Finanzmittel für eine naturnahe Parkgestaltung bereitgestellt werden.
Neben den Umweltaspekten der Gartenschau stehen auch die hohen Eintrittspreise von 21 Euro pro Person in der Kritik. WilhelmsburgerInnen können die Ausstellung für drei Tage kostenfrei besuchen. Für die weiteren Attraktionen der igs wird jedoch zusätzlich Eintritt erhoben. Der „sportive Erlebnisraum“ der igs besteht nicht nur aus einer Kletterhalle, sondern auch aus einem Hochseilgarten, einem Freizeitrundweg und einer Laufstrecke. „Bis zum großen Kahlschlag vor einigen Jahren konnten die Kinder hier umsonst in den Bäumen klettern. Die meisten Eltern im Quartier können sich die Eintrittspreise in der Nordwandhalle nicht leisten“, sagt Marianne Neubert vom AKU. Für die SportPark Angebote Joggen, Skaten oder Radfahren brauche niemand die igs. „Der neue Park dient dabei aber einer besseren Kontrollierbarkeit der Nutzung öffentlicher Flächen“, sagt Neubert weiter. Diese Flächen wurden bereits 2010 gesperrt und durch Sicherheitspersonal überwacht. „Seit nunmehr drei Jahren ist ein ehemals frei zugängliches Naherholungsgebiet für die igs eingezäunt und gesperrt. Früher konnten hier WilhelmsburgerInnen, Familien und Kinder ihre Freizeit und die Natur genießen, egal mit welchem Geldbeutel“, sagt Thomas Koyae, Aktivist von „IBA? Nigs DA!“.
Auch die BezirkspolitikerInnen der Fraktion der Linken in Hamburg-Mitte war zur Eröffnung der igs am Freitag eingeladen, sahen jedoch keinen Grund zum Feiern. „Wir haben seit 2008 mit ansehen müssen, wie tausende von gesunden Bäumen gefällt wurden, wie Biotope einfach platt gemacht wurden, wie unser davor sehr grüner und naturnaher Park für uns gesperrt wurde. Und Kleingärten einfach dem Erdboden gleich gemacht wurden, die schon in den 1930er Jahren entstanden waren und teilweise Obstbaumbestände hatten, wie man sie heute kaum noch findet. Da haben wir keine Lust zu Jubelfeiern zu gehen.“ sagt Renate Hercher-Reis, Wilhelmsburger Bürgerin und Bezirkspolitikerin der Linken. Auch kritisieren die Linken, dass bisher nicht abschließend geklärt ist, wie das Gelände nach dem Ende Ausstellung gepflegt werden soll. Nach Angaben der igs kostet die Pflege des Parks jährlich voraussichtlich 1,4 Millionen Euro.
Insbesondere kritisieren die Initiativen die Aufwertung und Vermarktung Wilhelmsburgs durch IBA und igs. „Erklärtes Ziel ist eine „Attraktivierung“ und ein „Imagewechsel“ des Stadtteils. Wilhelmsburg soll aufgewertet werden, um neue Bevölkerungsschichten anzuziehen“, sagt Hannah Sperberich von „IBA? Nigs DA!“. Dieser Prozess sei keine natürliche, sondern eine bewusst gesteuerte Entwicklung – die Folgen seien Mietsteigerungen und Verdrängung. Die langfristigen Konsequenzen der Stadtentwicklungspolitik im Zeichen von IBA und igs werden für die WilhelmsburgInnen erst dann sichtbar werden, wenn der letzte Besucher das abgesperrte Ausstellungsgelände verlassen hat.
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