Seit Monaten verdichten sich in Hamburg die Proteste gegen zu hohe Mieten und den Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Bündnisse wie Leerstand zu Wohnraum machten mit bunten und kreativen Protestaktionen auf die Situation aufmerksam. Zahlreiche Hausbesetzungen verdeutlichten den Unmut der Menschen über den jahrelangen Leerstand von Häusern. Besonders stark betroffen von Mieterhöhungen sind Stadtteile wie St. Georg und St. Pauli, die in den vergangenen Jahren einen starken Wandel erlebt haben. Wie die Rolle der Wohnungsgenossenschaften bei der Bewältigung der Wohnungsnot in Hamburg aussieht und welche Erwartungen die Politik an die Genossenschaften hat, wurde vergangene Woche zum Thema bei einer Podiumsdiskussion in St. Georg.
Der neue Gemeindesaal ist bis auf den letzten Platz besetzt. Eifrige Helferinnen und Helfer stellen kurz vor Beginn der Veranstaltung noch schnell zusätzliche Sitzgelegenheiten auf. Trotz der Mühen findet nicht jeder Besucher einen Sitzplatz. Das Thema des Abends beschäftigt die Hamburgerinnen und Hamburger schon seit Monaten. Für immer mehr Menschen in der Hansestadt wird es schwierig eine bezahlbare Wohnung zu finden. Im vergangenen Jahr gingen im Rahmen von unterschiedlichen Demonstrationen bis zu 5000 Bürgerinnen und Bürger auf die Straße. Die Demonstranten wollten ein Zeichen setzen gegen die Lage auf dem Wohnungsmarkt, die von vielen bereits als Wohnungsnot empfunden wird.
Auch im Jahr 2013 ist der Mangel an bezahlbarem Wohnraum weiterhin ein großes gesellschaftliches und politisches Thema in Hamburg. „Wohnungsnot bedeutet die ständige Angst seine Miete nicht mehr zahlen zu können oder die allgegenwärtige Sorge aus seinem Quartier vertrieben zu werden, wenn man sich hier keine Wohnung mehr leisten kann“, eröffnet Michael Joho, Vorsitzender des Einwohnervereins St. Georg, die Podiumsdiskussion am Mittwoch. Joho weist in diesem Zusammenhang insbesondere auf fehlende Sozialwohnungen, den steigenden Anteil von Eigentumswohnungen und die teilweise drastischen Mietsteigerungen hin. Vor allem in Stadtteilen, wie St. Georg und St. Pauli, die sich in den letzten Jahren zu Szenestadtteilen entwickelt haben, spüre man den Druck der Wohnungsnot. „Wir können dabei ganz klar feststellen, wer Geld hat, ist auch nicht von der Wohnungsnot betroffen“, sagt Joho.
Dieser Einschätzung wollen sich nicht alle Teilnehmer der Podiumsdiskussion anschließen. „Das Gespenst der Wohnungsnot ist reiner Populismus, der sich aus persönlichen und subjektiven Erfahrungen und verengten Wahrnehmungen aus dem eigenen Stadtteil speist. Auf dem Gesamtmarkt gibt es keine Wohnungsnot“, sagt Michael Pistorius, Geschäftsführer des Verbandes norddeutscher Wohnungsunternehmen. Ingo Theel, Vorstand der Baugenossenschaft freier Gewerkschafter, ergänzt: „In bestimmten Stadtteilen gibt es eine Knappheit, aber beispielweise nicht in Horn oder Rothenburgsort. Besonders für Studenten ist die Situation manchmal schwierig, aber im Grindelviertel gab es auch zu meinen Studienzeiten nicht viele freie und bezahlbare Wohnungen. Da muss man eben mit Bus und Bahn zur Universität fahren.“
Auch der Vertreter der Regierungspartei, Dirk Kienscherf, parlamentarischer Geschäftsführer und Fachsprecher für Stadtentwicklung der SPD-Bürgerschaftsfraktion, schließt sich dieser Meinung an: „Wir können die Viertel in der Innenstadt nur entlasten, wenn wir die angrenzenden Stadtteile aufwerten.“ Noch vor wenigen Jahren seien die heutigen Szenestadtteile St. Georg oder St. Pauli nicht attraktiv gewesen. Die heutigen Probleme vor Ort seien besonders auf den verstärkten Zuzug zurückzuführen. „Durch die Aufwertung der umliegenden Stadtteile können wir den Druck aus dem Kessel nehmen“, ergänzt Michael Pistorius. Um auch in diesen Stadtteilen bezahlbare Wohnungen anbieten zu können setzt der SPD-Senat auf den Neubau von Wohnungen, der zu einem Drittel aus Sozialwohnungen, zu einem Drittel aus frei finanzierten Wohnungen und zu einem Drittel aus Eigentumswohnungen besteht. „Wir wollen verhindern, dass sich Menschen in unserer Stadt keine Unterkunft mehr leisten können. Das bedeutet wir brauchen Wohnungen, Wohnungen, Wohnungen“, sagt Kienscherf.
Die Angebote von Wohngenossenschaften werden dabei als Weg gesehen, auch für Menschen mit geringerem Einkommen bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Die Nettokaltmiete einer genossenschaftlichen Wohnung beträgt im Durchschnitt 5,85 Euro pro Quadratmeter, während der Hamburger Durchschnitt bei 7,15 Euro liegt. „Genossenschaften sind die Einzigen, die bezahlbare Mieten über Generationen sichern können“, sagt Kienscherf. Ob die Genossenschaften dies unter den derzeitigen Bedingungen weiter leisten können ist fraglich. „Die Genossenschaften sind nicht Instrument der Hamburger Wohnungspolitik. Es wird zunehmend zum Problem günstige Mieten anbieten zu können“, sagt Herbert Alfeld, Vorstandsmitglied der Schiffszimmerer-Genossenschaft. Besonders der Neubau von Wohnungen sei für die Genossenschaften in der Regel nicht in Verbindung mit Mieten unter dem Hamburger Durchschnitt zu realisieren, da besonders die Kosten für den Grundstückserwerb den Mietpreis bestimmen würden. „Der Senat verkauft Grundstücke auch an Genossenschaften zu hohen Preisen. Sozialer Wohnungsbau kann daher nur mit einem hohen Grad der öffentlichen Förderung umgesetzt werden“, sagt Alfeld weiter.
Dirk Kienscherf bekräftigt dennoch seinen Wunsch nach mehr genossenschaftlichem Engagement. Unter dem vorherigen Senat seien Grundstücke in der Regel an den höchsten Bieter verkauft worden. Jetzt will man Flächen an diejenigen vergeben, die mit dem besten Konzept überzeugen können. Dabei spielen sowohl soziale, als auch städtebauliche Aspekte eine Rolle. „Früher wurden nur Flächen an Genossenschaften vergeben, auf denen keiner wohnen will. Diesen Fehler wollen wir nicht wiederholen“, sagt Kienscherf. Heike Sudmann, stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE in der Hamburgischen Bürgerschaft, betrachtet die Aussagen der SPD und der Genossenschaften mit gemischten Gefühlen. Es sei löblich, dass man sich nun mit dem Problem der Wohnungsnot beschäftigen würde, dennoch müsse weitaus mehr als bisher getan werden, um insbesondere Menschen mit geringen Einkommen zu helfen. „Derzeit haben 410.000 Haushalte einen Anspruch auf eine Sozialwohnung. Bei einem aktuellen Bestand von 100.000 Wohnungen dieser Art und dem Neubau von rund 2000 neuen Sozialwohnungen pro Jahr, benötigt der SPD-Senat optimistisch gerechnet 170 Jahre um alle mit einer Wohnung zu versorgen, die einen Anspruch haben“, sagt Sudmann. Die Genossenschaften sollten bei der Vergabe von Grundstücken im Rahmen von sozialen Konzeptanforderungen stärker gefördert werden. Dabei müsse man jedoch genau hinsehen, da nicht jede Genossenschaften per se positiv zu betrachten sei, wie derzeit am Beispiel der Wohnanlage Elisa in Hamm deutlich werde (Mittendrin berichtete). „Wir müssen in Bezug auf die Wohnungspolitik umdenken. Wohnen sollte kein Markt, sondern ein Grundrecht sein“, sagt Sudmann. „Die Menschen in Hamburg können gemeinsam noch viel mehr erreichen. Daher Schluss mit der Demut und auf die Straße“, so Sudmann weiter.
Fotos: Jonas Walzberg
Michael Joho
16. Januar 2013 at 15:11
Hallo, Redaktion!
Klasse, mal ein ausführlicher Artikel über ein vielschichtiges Thema. So ausführlich steht’s sonst nie.
Wenn Ihr nur mal dafür sorgen könntet, dass beim Ausdruck z.B. dieses Artikels das „draufgesetzte“ Foto wegkommt.
Beste Grüße
Michael Joho
Mittendrin
16. Januar 2013 at 15:22
Hallo!
Wir arbeiten an der Druckfunktion. Wenn man über den Permalink geht gibt es jetzt am Ende des Artikels einen Druckbutton. Dann sollte das Bild auch nicht mehr überlagert sein!
Hier der Permalink zum Artikel: http://hh-mittendrin.de/?p=2703
Estebruegge
21. Januar 2013 at 20:45
Unterstützt doch endlich mal die hiesigen Mietervereine! Macht dem Hamburger Senat Feuer unter dem Hintern, damit diese unverantwortlich hohen Mietpreissteigerungen endlich aufhören, schreibt eine Petition an den Bundestag, schliesst euch mit anderen zusammen. Wohnen muss bezahlbar sein!
Bundesweit fehlen viele hunderttausende bezahlbare Mietwohnungen. Vielerorts explodieren die Mietpreise, immer mehr Menschen finden keine bezahlbare Bleibe.
Bund und Länder unternehmen nichts gegen diesen Missstand.
Fordern Sie Bauminister Ramsauer und die Ministerpräsident/innen zum Handeln auf!: https://www.campact.de/mieten/appell/teilnehmen/
Bitte mitmachen! Danke schön!