Politik

Wie sieht St. Georg 2023 aus? – Eine Diskussion mit Jutta Blankau

Politik
Isabella David
@isabelladavid89

Chefredakteurin | Studentin der Politikwissenschaft an der Universität Hamburg | Kontakt: david@hh-mittendrin.de

St. Georg – ein Stadtteil der gegensätzlicher kaum sein könnte. Noch vor 15 Jahren galt St. Georg als Problembezirk, der auf das Rotlichtmilieu und die Drogenszene reduziert wurde. Seitdem hat sich viel verändert. Ausgehend vom Hauptbahnhof erstreckt sich in Richtung der Langen Reihe eine Touristenhochburg. Zahlreiche Hotels, Restaurants und Imbissbuden sind hier angesiedelt. Entlang des Steindamms finden sich die Überreste des Rotlichtviertels. St. Georg ist zum Szenestadtteil avanciert. Die Konsequenzen dieser Entwicklung spüren vor allem die langjährigen Bewohnerinnen und Bewohner des Stadtteils. Am vergangenen Dienstag diskutierte Jutta Blankau (SPD), die Senatorin für Stadtentwicklung, mit Bürgerinnen und Bürgern St. Georgs über die Zukunft ihres Stadtteils. Im Zentrum standen dabei die Themen Wohnen und Gewerbe, Bürgerbeteiligung sowie die Umsetzung der Schlüsselprojekte und St. Georg als soziales Quartier.

Türme aus Glas und Beton erheben sich in den Hamburger Stadthimmel. 15. 000 Hotelbetten stehen in der Nähe des Hauptbahnhofs für Touristen zur Verfügung. Zwischen luxuriösen Eigentumswohnungen, Restaurants und Imbissbuden, Modeketten und Discountern versucht ein Stadtteil seinen Charakter zu bewahren. In den 1980er und 90er Jahren liegen die Wurzeln des starken bürgerlichen Engagements in St. Georg, das auch heute noch zu spüren ist. Die Bürgerinnen und Bürger kümmerten sich, als der Stadtteil noch nicht im Fokus der Hamburger Politik angekommen war. Erst vor etwa zwölf Jahren begann die Politik mit dem Umdenken. Damit kamen auch die Veränderungen. Das Sanierungsgebiet St. Georg, in dem rund 13. 000 Einwohnerinnen und Einwohner leben, ist heute eines der zehn teuersten Quartiere in Hamburg. Die Mieten für Wohnraum und Gewerbe stiegen und verdrängten zahlreiche Bewohnerinnen und Bewohner aus dem Stadtteil. Erst im vergangenen Jahr trat die soziale Erhaltensverordnung für St. Georg kraft. Viel zu spät aus der Sicht vieler Bürgerinnen und Bürger St. Georgs, die sich mit ihrem Engagement dafür einsetzen, dass der Stadtteil auch für Menschen, die weniger Geld zur Verfügung haben, ein bezahlbarerer Ort zum Leben bleibt.

Wohnen in St. Georg: „Ich bin hier verwurzelt“

Auch Stadtentwicklungssenatorin Jutta Blankau räumt ein, dass die soziale Erhaltensverordnung für St. Georg sehr spät gekommen sei. „Ich kann die Zeit nicht  zurückdrehen, aber wir können versuchen, den Prozess zu entschleunigen“, sagt Blankau. Die Entwicklungen seien nicht unbekannt. Vor St. Georg habe die Gentrifizierung auch schon Stadtteile wie Ottensen, Winterhude und Eppendorf einem immensen Wandel unterzogen. „Es war richtig, dass St. Georg Sanierungsgebiet wurde, aber es ist logisch, dass damit Veränderungen einhergehen“, sagt Blankau weiter. Die Wohnungs- und Mietsituation beschäftigt die langjährigen Bewohnerinnen und Bewohner St. Georgs stark. Viele von ihnen haben die massiven Mieterhöhungen unmittelbar erfahren. „Ich möchte auch noch im Alter mit meiner kleinen Rente hier leben können. Ich bin hier verwurzelt!“, sagt eine Frau aus dem Publikum. Was die Politik dafür tun könne, dass ihr und vielen anderen Menschen im Stadtteil dies möglich ist, will sie weiter wissen. „Die soziale Erhaltensverordnung zeigt ihre Wirkung, aber auch durch zusätzlichen Wohnungsbau können wir im besten Fall eine Mietpreisdämmung erreichen“, sagt Blankau. Mit einer Senkung der Mieten sei jedoch nicht zu rechnen. Weiterhin sei die Anzahl der städtischen Flächen in St. Georg und damit auch für öffentlichen Wohnungsbau, sehr begrenzt. „Die neue Kappungsgrenze für Mieterhöhungen ist eine gute Maßnahme, aber Mieterhöhungen bei Neuvermietungen können so nicht verhindert werden“, sagt Blankau. Diese Entwicklung sei, mit der Perspektive auf die ganze Stadt, vor allem für Studierende und Auszubildende ein Problem. „Wir müssen in der gesamten Stadt ein größeres Wohnungsangebot schaffen, um die Situation auf dem Wohnungsmarkt zu verbessern“, sagt die Senatorin weiter. Für St. Georg sei hierbei vor allem der Wohnungsbau am Hühnerposten und der Sonninstraße ein wichtiger Baustein.

Gewerbe in St. Georg: „Ich will hier bleiben und vernünftig einkaufen können“

Die Mietsituation der Gewerbetreibenden in St. Georg, insbesondere an der Langen Reihe, hat die Bürgerinnen und Bürger St. Georgs im vergangenen Jahr besonders beschäftigt. Für den Erhalt der Buchhandlung Wohlers gingen viele Einwohnerinnen und Einwohner des Stadtteils immer wieder auf die Straße. Die Traditionsbuchhandlung Wohlers musste letztlich in ein neues Ladengeschäft umziehen, konnte jedoch an der Langen Reihe bleiben. Andere Geschäfte, wie das Kräuterhaus oder die Buchhandlung Thiele, die in der vergangenen Woche schließen musste, konnten sich aufgrund starker Mieterhöhungen nicht mehr im Stadtteil halten. „Ich möchte hier bleiben und vernünftig einkaufen können“, sagt Ulrich Gehner, aktiver Bürger und Videojournalist aus dem Stadtteil. Die Anfänge der Verdrängung des Kleingewerbes in St. Georg führt Gehner auf ein persönliches Beispiel aus dem Jahr 2009 zurück. „Damals wollte ich mir eine neue Mundharmonika kaufen und musste feststellen, dass der Musikkeller seine Pforten geschlossen hatte. Danach ging es Schlag auf Schlag“, sagt Gehner. Die anwesenden Einwohnerinnen und Einwohner interessiert vor allem, welche Möglichkeiten es gibt das Kleingewerbe im Stadtteil zu schützen. „Das Gewerbe unterliegt nicht den gleichen Regelungen, wie der Wohnraum. Die Freiheit des Wettbewerbs dürfen und können wir rechtlich nicht eingrenzen“, sagt Senatorin Blankau. Besonders wichtig sei es jedoch, dass der Bezirk Mitte zukünftig den Ausbau von Gastronomie auf der Langen Reihe begrenzt. „Die Mieten auf der Langen Reihe kann nur die Gastronomie aufbringen“, stimmt auch ein Bürger aus dem Publikum zu. „Eine Begrenzung der Gewerbemieten ist nicht  möglich“, sagt Blankau, „wir leben nun mal im Kapitalismus.“

Das soziale Quartier St. Georg: „Wir wollen ein Aufenthaltsrecht für Ärmsten!“

Den Einwohnerinnen und Einwohnern St. Georg liegt bei ihrem Engagement im Stadtteil nicht nur ihr eigenes Wohl am Herzen. Immer wieder setzen sie sich gerade für sozial schwächer gestellte Mitglieder der Gesellschaft ein. „Durch die aktuellen Maßnahmen der Verdrängung am Hauptbahnhof haben wir den Eindruck gewonnen, dass dieses Viertel bereinigt und zu einem reinen Touristenviertel werden soll“, sagt eine Einwohnerin St. Georgs. Ähnliche Maßnahmen der Verwaltung habe sie auch am Hansaplatz beobachtet. „Obdachlose, Drogenabhängige und Prostituierte passen offenbar nicht in das neue Bild von St. Georg“, sagt die Einwohnerin weiter, „Wir wollen das nicht! Wir wollen ein Aufenthaltsrecht für die Ärmsten in unserem Stadtteil!“ Die Senatorin für Stadtentwicklung sieht die Thematik anders: „Da muss man ihre Meinung vertreten, ich vertrete sie nicht. Ich finde die Situation am Hauptbahnhof schon teilweise unangenehm.“ Weiterhin, so Blankau, müsse sich die Stadt Hamburg am Hauptbahnhof den Reisenden angemessen präsentieren. „Mir geht es darum den Menschen zu helfen“. Dafür sei ein größerer Blick notwendig. „Wir müssen uns um mehr Wohnraum für Menschen in Not kümmern“. Ihr sei es vor allem wichtig, dass die Gesellschaft solidarischer werden müsse. „In Hamburg-Mitte gibt es ein Paradox, das ich geradezu zynisch finde“, sagt ein Bürger aus dem Publikum, „hier in St. Georg muss für die Touristen aufgeräumt werden. Auf St. Pauli soll hingegen gerade das Rotlichtmilieu und alles was dazu gehört erhalten bleiben, weil es ein Touristenmagnet ist.“

Schlüsselprojekte in St. Georg: „Die Zeit wird knapp“

Ende 2013 läuft die Förderung der Integrierten Stadtteilentwicklung St. Georg Mitte, genannt RISE, aus. Das Fördergebiet war zuvor bereits um ein Jahr verlängert worden. Zu einigen geplanten Schlüsselprojekten gibt es bisher jedoch keine Rückmeldung. „Die Zeit wird langsam knapp. Es wäre ärgerlich, wenn eines der Projekte am Ende nicht mehr verwirklicht werden kann, weil die Fördergelder auslaufen“, sagt Michael Schwarz, Mitglied im Stadtteilbeirat St. Georg. Im Einzelnen geht es dabei um die Zukunft des „Schorsch Jugendzentrums“, die Fortsetzung des Grünzuges am Straßenzug zwischen Steindamm und Beim Strohaus sowie der angestrebte Bau einer Dreifeld-Sporthalle für die Klosterschule St. Georg. „In allen drei Fällen ziehen sich die Planungen bereits seit 2009 hin“, sagt Schwarz. Dabei kritisiert er insbesondere die schlechte Kommunikation zwischen den einzelnen Behörden, die die Unklarheit über die Zukunft der Schlüsselprojekte weiter verstärken würde. „Das Hauptproblem liegt darin, dass der Bezirk den Integrierten Entwicklungsplan für St. Georg noch nicht vorgelegt hat“, sagt Blankau. Die Behörde für Stadtteilentwicklung und Umwelt (BSU) habe jedoch schon mehrfach nachgehakt. „Nach meinen Informationen von der Schulbehörde kommt die Dreifeld-Halle für die Klosterschule jedoch nicht“, sagt Blankau weiter. Der Abschluss der anderen beiden Projekte müsse im Bezirk selbst vorangetrieben werden. Die Stadtentwicklungssenatorin deutet an, dass die Arbeit der BSU durch die Dezentralisierung schwieriger geworden sei. „Diese Dezentralisierung der Arbeit hin zu den Bezirken kann man unterschiedlich bewerten, war 2006 jedoch politischer Wille“, sagt die Senatorin.

Bürgerbeteiligung in St. Georg: „Was wird aus dem Stadtteilbeirat?“

Den engagierten Bürgerinnen und Bürgern in St. Georg liegen die Strukturen der Bürgerbeteiligung besonders am Herzen. Dies gilt vor allem für den Stadtteilbeirat St. Georg, dessen Fördergelder auslaufen, auch aber für Formen der E-Partizipation und der Kinder- und Jugendbeteiligung. „Die Stadtteilbeiräte sollten selbsttragende Strukturen für eine ehrenamtliche Arbeit entwickeln“, sagt Blankau. Die Verantwortung der Bürgerbeteiligung sieht sie vor allem bei dem Bezirk-Mitte. Formen der E-Partizipation seien jedoch auch in näherer Zukunft angedacht – möglicherweise sogar bei dem Projekt der Seilbahn. „Wie stellen Sie sich St. Georg 2023 vor?“, fragt Michael Joho, Vorsitzender des Einwohnervereins St. Georg. „St. Georg soll zusammenwachsen mit Hammerbrook, es soll mehr Grünflächen und weniger Autoverkehr geben“, formuliert Stadtentwicklungssenatorin Jutta Blankau ihre Zukunftsvision von St. Georg 2023. Eine Vorstellung, die die Einwohnerinnen und Einwohner St. Georgs wohl um einiges detaillierter beschreiben würden.

Klicken um Kommentar zu schreiben

Artikel kommentieren

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

Mehr in Politik

Demonstration Golden Pudel, 19.2.2016, Foto: Isabella David

Demo für den Pudel Club: „Unsere Ruine kriegt ihr nicht!“

Isabella David20. Februar 2016
1-Michael_Neumann_SPD1

Innensenator Neuman tritt zurück – Grote wird Nachfolger

Isabella David18. Januar 2016
Winternotprogramm Münzviertel, Oktober 2015, Foto: Isabella David

Petition an die Sozialbehörde: „Das Winternotprogramm tagsüber öffnen!“

Isabella David8. Januar 2016
Tegida Demo Januar 2015, Foto: Henry Lührs

Anpacken statt lang schnacken – das war 2015 in Hamburg-Mitte

Isabella David31. Dezember 2015
Tagesstätte für Geflüchtete, Bieberhaus, Foto: Isabella David

Tagesstätte für Geflüchtete im Bieberhaus: „Vieles ist improvisiert“

Isabella David17. Dezember 2015
Schulstreik 2013, Foto: Dominik Brück

Schüler demonstrieren: „Bleiberecht statt Waffenexporte“

Isabella David17. Dezember 2015
Hosemann, City-Hof, Foto: Isabella David

Interview: „Dem City-Hof ein Denkmal setzen“

Isabella David10. Dezember 2015
FOTO: POLITIKWERFT DESIGNBÜRO

„Basta-Politik gescheitert“: Scholz nach Olympia-Referendum in der Kritik

Isabella David9. Dezember 2015
Olympia in Hamburg

Diskussion: Olympia in Hamburg – ja oder nein?

Mittendrin27. November 2015

Rund um Billstedt, Billbrook und Horn atmet die grüne Lunge der Stadt. In Hamm, Rothenburgsort, Borgfelde, Hammerbrook, St.Georg, der Alt- und Neustadt, und auf St. Pauli riecht und schmeckt man Hamburg an jeder Straßenecke. Die Hafencity glänzt und glitzert im Schatten der dicken Pötte und Kräne.

Die andere Seite der Elbe auf der Veddel, in Wilhelmsburg, auf dem Kleinen Grasbrook, in Steinwerder, Waltershof, Finkenwerder und auf der Insel Neuwerk lässt hanseatische Tradition spürbar werden.

Das ist Hamburg-Mitte, unser Bezirk inmitten einer lebhaften Stadt. So vielfältig wie seine Bewohner sind die Geschichten, die wir erzählen.

Mittendrin ist Name und Programm – täglich sind wir unterwegs und bringen euch spannende Reportagen, aktuelle Lokalnachrichten und ausdrucksstarke Bilder und Videos aus Hamburgs bunter Mitte.

Hamburger Geschichten

© 2012 - 2015 Mittendrin | Alle Rechte vorbehalten. Impressum - Umsetzung Politikwerft Designbüro.