Kultur

Thalia: „Gekommen…um zu bleiben…“

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Dominik Brück
@dobrueck

| M.A. Politikwissenschaft | E-Mail: brueck@hh-mittendrin.de

Am Mittwoch konnten die Gäste im Thalia Theater an der Gaußstraße einen ungewöhnlichen Theaterabend erleben. Das Stück „Gekommen…um zu bleiben“ kommt ohne Bühne, ohne Darsteller und letztlich ohne Publikum aus. Auf der Suche nach Antworten auf die Frage was Heimat bedeutet, werden die Besucher selbst zu Darstellern in ihrer eigenen Geschichte.

Der Eingangsbereich empfängt die Besucher mit einer Symphonie aus Düften und Gerüchen. Das Aroma von Minze, Zitrone, gekochten Kartoffeln und frisch gebackenem Brot liegt in der Luft. Die Theatergäste warten dicht an dicht gedrängt auf den Einlass. Ein paar Zuschauer geraten ins Schwärmen über ihre Kindheit. So habe es immer gerochen, wenn Oma das Familienessen kochte. Schnell wendet sich das Gespräch einfachen Fragen zu. „Wo war das denn?“, „Lebt deine Familie immer noch dort?“, „Seit wann ist denn Hamburg deine Heimat?“ Das Theaterstück hat begonnen.

Die Aufführung ist eine Kooperation des Thalia Theaters mit der Hamburger Volkshochschule. „Die Idee etwas zum Thema Heimat zu machen entstand während der Lessingtage 2012“, sagt Herbert Enge, Leiter der Theaterpädagogik am Thalia Theater. Durch eine Veranstaltung mit der Bürgerplattform „Impulse Hamm-Horn“, in der Menschen mit ganz unterschiedlichen kulturellen Hintergründen organisiert sind, entwickelte sich die Frage nach Heimat und Fremde. Die Umsetzung des Projektes machte sich die Volkshochschule zur Aufgabe. „Wir haben jetzt schon seit 20 Jahren eine Kooperation mit dem Thalia Treffpunkt an der Gaußstraße. Um dies zu feiern wollten wird der Stadt ein Theaterstück schenken“, sagt Hans-Hermann Groppe von der Volkshochschule Hamburg. „Schnell ist daraus dann eine bunte Truppe entstanden, die das Stück nun aufführt“, sagt Groppe weiter.

Von einer Aufführung im eigentlichen Sinn kann jedoch keine Rede sein. Das Publikum wird in einen großen Raum geführt. Auf einzelnen Tischen stehen Kochplatten, Messer, Töpfe und Pfannen. Daneben liegen Paprika, Tomaten, Kartoffeln, Pflaumen, Aprikosen, Petersilie und viele andere Obst- und Gemüsesorten. „Das Theater ist heute unsere Heimat“, kündigt eine junge Frau an. „Wir laden sie ein heute ein paar schöne Stunden mit uns gemeinsam zu verbringen“. Schnell verteilen sich die Gäste auf die Tische. Zuschauer gibt es heute nicht. Zusammen wird Gemüse geschnitten, Teig gerollt und Tee zubereitet. Darsteller und Besucher sind bald nicht mehr zu unterscheiden. Über das gemeinsame Kochen entstehen Gespräche. „Was ist das denn für ein Gericht?“, „Wo kommt das denn her?“, „Bist du da geboren?“. Der Hauptteil des Stückes beginnt.

Zuschauer und Darsteller, aber auch die Zuschauer untereinander unterhalten sich angeregt. Es wird gelacht, gekocht und gegessen. Es gibt Kiser, ein Reisgericht aus Syrien, Gözleme, mit Spinat oder Kartoffeln gefüllte Teigtaschen aus der Türkei und gekochte Pflaumenknödel aus Serbien. Menschen, die sich vorher nicht kannten sprechen miteinander. Stellen sich gegenseitig Fragen und sind neugierig auf das Gegenüber. Rezepte werden ausgetauscht. Immer mehr wird voneinander Preis gegeben. Die Anwesenden werden sich immer vertrauter. Jeder hier hat eine Geschichte zu erzählen. Die Gesellschaft im Theater ist bunt gemischt. Trotzdem verbindet die Menschen mehr, als sie trennt. Auf kleine Kärtchen konnten die Gäste aufschreiben, was Heimat für sie bedeutet. Begleitet von Gitarre und Gesang werden die Karten vorgelesen. Der Anfang des Schlussaktes.

„Heimat sind für mich Freundinnen und Freunde“, steht auf vielen der Karten. „Dort wo ich mich wohl fühle, egal wo“, auf anderen. Eines haben die meisten Texte gemeinsam: Heimat wird bestimmt durch die Menschen die dort leben. Heimat ist nicht an Orte gebunden, sondern wird geschaffen und gelebt. „Meine Eltern haben lange gedacht, dass sie nicht ihr Leben lang in Deutschland bleiben würden. Jetzt wünschen sie sich, sie seien von Anfang an gekommen, um zu bleiben“ sagt Özlem Winkler-Özkan. Die Eltern der Schauspielerinn und Sängerin waren als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen. Im Theater schließt sich an diesem Abend der Vorhang. Aber das Stück geht weiter.

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