So langsam rollt er an, der Wahlkampf. Auch wenn es noch keiner so genau zugeben will, aber nach den Diskussionen um die Kanzlerkandidaten, hauptsächlich den der SPD, werden nun langsam Profile geschärft, ein mögliches Themenspektrum ausgelotet, bei den Gegnern nach Angriffspunkten gesucht, kurz um: Die Parteien wappnen sich für die Bundestagswahl im nächsten Jahr.
Es war sicherlich kein Zufall, dass Peer Steinbrück in diesen Tagen im Norden vorbei schaute. So waren am Dienstag in Hamburg alle Bürger eingeladen zum „Bürgerdialog“ zu kommen und Steinbrück ihre Bedürfnisse, Ängste, Fragen oder Meinungen mitzuteilen. Um 14 Uhr verschlug es zwar hauptsächlich Parteigenossinnen und Genossen in die Markthalle, doch für die Uhrzeit war diese recht gut gefühlt. Unter dem Siegel einer „Parteiprogramm Formulierung von unten ausgehend“, wurden die Besucherinnen und Besucher aufgefordert der Bundes-SPD Postkarten mit ihren Anliegen zu schreiben, bis es dann endlich los ging und Peer Steinbrück die Markthalle betrat.
Tapfer stellte er sich der Vielzahl der Fragen und Meinungen, verpackte seine Antworten mit Witz und Geschick, lies sich auch von Zwischenrufen oder aufgebrachten Kommentaren nicht aus der Ruhe bringen und schaffte es den Hamburgern das Gefühl zu geben ein ganz normaler Mann zu sein, eben einer von ihnen. Doch das ist er nicht mehr. Er ist der Kanzlerkandidat der SPD, er wird Angela Merkel herausfordern und auch wenn das Volk unzufrieden mit der aktuellen Regierungskoalition ist, so stehen doch viele hinter Merkel und der CDU. Was also hat Steinbrück der Kanzlerin entgegen zu setzen? Warum ist er der Mann für die nächsten vier Jahre? Die Leute sagten ihm, was ihre Themen sind, Steinbrück stellte ihnen seine Position dar. Es ging weniger um Einkommens-Transparenz bei Politikern oder die Regulierung des Finanzsektors, als um Fragen, die die Menschen direkt betreffen. Bildung, Mindestlohn und Frauenquoten waren einige der angesprochenen Themen.
Vieles, von dem was Steinbrück ansprach, waren Positionen, die wir nicht anders von der SPD erwarten würden. Die Abschaffung des Betreuungsgeldes und stattdessen verstärkte Investitionen in die Schaffung von Kinder-Tagesstätten sowie eine qualifiziertere Betreuung oder die Einführung einer Frauenquote in Vorständen waren einige dieser Standpunkte. Überhaupt waren Steinbrücks Ansichten recht berechenbar und es gab wenige Überraschungen. Vielleicht ist seine Einstellung zur Vorratsdatenspeicherung für den ein oder anderen unerwartet gewesen. „Mit der jetzigen Ausgestaltung bin ich gegen die Vorratsdatenspeicherung, aber unter den richtigem Bedingungen verneine ich sie nicht.“, machte Steinbrück klar und fügte hinzu: „Ich verstehe auch einfach nicht, warum die meisten freiwillig ihre Daten an private Unternehmen wie Google, Amazon und wie sie alle heißen weitergeben, aber nicht an das Einwohnermeldeamt.“ Ganz einfach, weil es die private Entscheidung sei und sie nicht aus Zwang heraus gegeben werden müssten, erklärte ein Bürger dem Kanzlerkandidaten. Überraschend war dann doch, dass Steinbrück zum jetzigen Zeitpunkt nur die Koalition mit der Linken ablehnt. Der Kanzlerkandidat erteilte weder anderen politischen Farbenspielen eine deutliche Absage, noch hob er den Wunsch nach einer rot-grünen Regierung hervor. Hier behielt er lieber Stillschweigen und verwies darauf, sich erst mal auf das Wesentliche konzentrieren zu wollen.
Aber natürlich kamen auch die großen Themen der Finanz- und Wirtschaftspolitik auf den Tisch. Banken sind Steinbrücks Meinung nach nicht unverzichtbar und wenn eine Bank sich nicht halten kann, weil sie sich verkalkuliert, verspekuliert oder schlecht gewirtschaftet hat, dann muss sie auch Pleite gehen können. Gerade aufgrund der HSH Nordbank Brisanz war dies ein Anliegen in Hamburg. Steinbrück betonte, dass die Entscheidungen jedoch von den Trägern (im HSH Nordbank Fall die Stadt Hamburg und das Land Schleswig-Holstein) gefällt werden müssen und die Bundespolitik da wenig Einfluss habe. Aber gerade der Fall der WestLB würde zeigen, dass dies kein Tabu sein sollte. Außerdem hätte man aus den Fehlern der Finanzmarkt-Deregulierung gelernt und wisse nun, dass ein starker, großer Markt eben nicht auch einen starken, großen Finanzmarkt braucht. Zu deutlich werde das von der jüngsten Geschichte gezeigt. Sowieso verwies Steinbrück immer wieder auf das Thema Europa und machte klar, dass er den momentanen Sparkurs der Krisenländer für Irrsinn hält. „Es muss gespart werden, das ist sicher, aber dazu müssen auch Impulse kommen um die Wirtschaft anzukurbeln. Eine Jugendarbeitslosigkeit von 50 Prozent in den mediterranen Ländern Europas ist skandalös, da muss etwas gemacht werden.“ Dieses Prinzip von Sparmaßnahmen und Impulsen gelte genauso für Deutschland. Warum aber die Bürgschaften für griechische Finanzpakete den deutschen Haushalt erst einmal nicht belasten, erklärte der Kanzlerkandidat dann auch noch schnell. Dies seien schließlich Bürgschaften und würden erst im Falle des Falles gezahlt werden, wenn Griechenland seine Anleihen nicht zurückzahlen kann. Außerdem schulde Deutschland seinen Nachbarländern einiges, denn nur mit ihrer Unterstützung sei die Wiedervereinigung möglich gewesen. Steinbrück stellte sich hinter die EU und präsentierte sich als überzeugter Europäer.
Alles in allem ging es um viel und vor allem darum was Steinbrück für Konzepte und Ideen hat. Ideen hatte er viele, einige deutlich andere weniger deutlich. An Konzepten jedoch mangelte es so einige Male. Oft verwies er darauf „Experten zu fragen“ oder sich „das nochmal anschauen zu müssen“. Gerade Themen wie die Energiewende drängen dabei nicht erst seitdem die schwarz-gelbe Regierungskoalition der Atomenergie das Ende erklärt hat. Dieses Thema ist kein neues und der Verweis endlich einen Masterplan entwickeln zu müssen kommt leider etwas spät. Eine klare Abgrenzung zu Angela Merkel und der CDU blieb aus. Vielleicht wird das seine Strategie: Ein bisschen Mainstream Politik mit einem Hauch soziale Aspekte. Doch ob das tatsächlich reicht um Angela Merkel die Stirn zu bieten ist fraglich. Bewusstsein über das Ausmaß unserer Handlungen hatte ein Besucher zu Beginn gefordert, da passte es ganz gut dass zum Abschluss der Veranstaltung ein Anonymus-Maskenträger nach vorne kam und Steinbrück ein Schild mit der Aufschrift „Banken-Lobbyist“ entgegenstreckte. Der wiederum zuckte mit den Schultern und nahm dies ebenso verständnislos hin, wie all die anderen Kritiken die in letzter Zeit auf ihn einprasselten und verließ unter Applaus die Markthalle.
Fotos: Dominik Brück
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