Auf dem Marktplatz treffen sich regelmäßig in Stoffroben gehüllte Männer. Gemeinsam werden die aktuellen Angelegenheiten des Ortes besprochen. Es wird leidenschaftlich diskutiert. Schließlich geht es hier um das Wohl der kleinen Gemeinschaft. Am Ende des Tages wird demokratisch abgestimmt. Die Mehrheit entscheidet. Im antiken Griechenland nannte sich das Agora. Im modernen Hamburg nennt man es Stadtteil- oder Quartiersbeirat. Zweitausend Jahre später sind endlich auch Frauen zur Teilnahme berechtigt und die Versammlungen finden nicht mehr auf dem Marktplatz statt. Heute trägt man Jeans und T-Shirt. An dem Prinzip hat sich sonst nicht viel geändert. Die Bürgerinnen und Bürger entscheiden durch direkte Demokratie über die Angelegenheiten ihres Stadtteils. Neu ist das Prinzip also nicht. Doch so alt wie das Konzept selbst ist der Streit um die Art und den Umfang der direkten Demokratie. Ein Konflikt, der nun zwischen Senat und Stadtteilbeiräten wieder auflebt.
„Bürgerbeteiligung ist ein absolutes Muss im 21. Jahrhundert“, sagt der Vorsitzende des Einwohnervereins St. Georg Michael Joho. „Doch obwohl die Forderung in aller Munde ist, kümmert es die Politiker oft wenig was die Bürger wollen“. 47 Stadtteilgremien gibt es laut Senat in Hamburg. Mehr als ein Drittel befindet sich im Bezirk Hamburg-Mitte. Insgesamt 19 Institutionen. Von diesen sollen zwischen Ende 2012 und 2015 acht aufgelöst werden. „Die Laufzeit dieser Gremien ist in der Regel an die Realisierung eines bestimmten Projekts, die Lösung bestimmter Probleme oder die Durchführung eines bestimmten Verfahrens gekoppelt“, begründet der Senat in seiner Antwort auf eine Große Anfrage der Linken Bürgerschaftsfraktion das Ende der Gremien. „Diese Gremien bestehen zum Teil seit Jahrzehnten. Das kann man nicht einfach auslaufen lassen“, sagt Joho. „Nach dem Auslaufen der Förderung wird es keine institutionalisierte Bürgerbeteiligung in diesen Gebieten mehr geben“.
Der Senat verweist auf das Ziel sogenannte selbsttragende Förderstrukturen in den Stadtteilen zu entwickeln. Für Michael Joho ist das zu wenig: „Von der Stadt institutionalisierte und finanzierte Beteiligungsgremien sind für die Politik immer verpflichtender als selbstorganisierte Versammlungen“. Zudem sei ohne ausreichende finanzielle Mittel die Organisation und Durchführung direkter Beteiligung nur schwer umzusetzen. Gemeinsam mit dem „Netzwerk Hamburger Stadtteilbeiräte“ und einzelnen Mitgliedern der Initiative „Recht auf Stadt“ setzt sich Joho für den Erhalt der Stadtteilbeiräte auch nach Ablauf der Förderzeit ein. Eine entsprechende Resolution, die bereits von vielen Stadtteilbeiräten und Einzelpersonen unterstützt wird, ist bereits an die Stadt übergeben worden.
Die Forderungen gehen sogar noch weiter. In allen Stadtteilen sollen langfristig Gremien zur direkten Bürgerbeteiligung eingerichtet und finanziert werden. „Beteiligung muss ein Grundbestandteil einer demokratischen Stadtgesellschaft werden“, sagt auch Martin Kersting aus dem Stadtteilbeirat Steilshoop. „Unsere Forderung ist daher: Rettet die Stadtteilbeiräte. Baut dieses wunderbare Instrument aus“. Der Senat steht dem ablehnend gegenüber. Die flächendeckende Einführung von Beteiligungsmöglichkeiten über die gewählten bezirklichen Gremien hinaus sei weder sachlich angemessen noch finanzierbar.
„Die Bezirksversammlung ist doch eine sehr weit entfernte Institution“, sagt Kersting. Auch die Regionalausschüsse seien von oben besetzte Gremien und kein Mittel der direkten Demokratie von unten. Nun soll ein Dialog mit der Stadt über die Möglichkeiten des Erhalts und des Ausbaus der direkten Demokratie in den Stadtteilen geführt werden. „Wir werden weiter für Unterstützung werben und Unterschriften sammeln. Ich gehe davon aus, dass bald 80-90 % der Stadtteilbeiräte die Resolution unterzeichnet haben werden“, sagt Michael Joho. Der finanzielle Aspekt scheint bei dieser Diskussion eher eine untergeordnete Rolle zu spielen. „Angenommen der Senat gibt einen Euro pro Bürger für mehr Demokratie aus, dann sind das 1,8 Millionen Euro“, sagt Kersting. „Das ist verglichen mit anderen Posten des Haushalts nicht viel Geld, würde die Bürgerbeteiligung vor Ort jedoch sehr weit bringen“.
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