Weil viele alte Kneipen und Clubs der vermarktbaren Stadt weichen, bauen die BarKeepers sie detailgetreu in Schuhkartongröße nach. Als Denkmäler des Kahlschlags. Ab Samstag sind drei davon in einer alten Altonaer Bedürfnisanstalt zu sehen.
Irgendwas stimmt nicht in diesem Club. Die Gitarre vorm Verstärker hat keine Saiten und die Tür zum Klo ist zu schmal, das rotweiße Spendenschiff für Seenotopfer auf dem Tresen erinnert an Origami und der Barhocker davor – sind seine Beine nicht aus Elektrokabel? Sie sind, denn das hier ist nicht die echte Astra-Stube, sondern ein Duplikat im Schuhkarton, detailversessen, maßstabsgetreu, süß! So oder ähnlich lautet oft die Reaktion auf den Miniaturclub.
Doch Miniatur macht nicht nur Kinder froh, Miniatur hat auch PR-Potenzial. In Kombination mit „Wunderland“ zieht das Prinzip Verkleinerung kilometerlange Warteschlangen durch die Speicherstadt. Es heißt, mancher Reisebus biege eigens wegen der Eisenbahnwelt in die Original-Stadt ab. Die geschrumpfte Astra-Stube allerdings steht nicht im Miniatur Wunderland, sondern 20 Fahrradminuten entfernt. Und ihre Existenz en miniature steht auch nicht für den schönen Schein der örtlichen Eventkultur, sie ist Teil der Kritik: An Profit, statt Inhalt, an der Marke Hamburg, an Gentrifizierung und ihren fatalen Folgen für eine lebendige Subkultur.
Ab heute nun wird sie ausgestellt, fast zwei Wochen lang, in einer umgewidmeten Ottensener Bedürfnisanstalt, mit zwei anderen Bars, die mittlerweile das Zeitliche gesegnet hat: Egalbar, bis zum Abriss vor drei Jahren ein Refugium gediegenen Betrinkens im hippen Karoviertel. Und Meanie Bar, vorm Planieren der Essohäuser eine Art Wohnzimmer des Molotow darunter. Im Rahmen des Happenings BAR 500 werden die drei Basteleien des Künstlerinnenkollektivs BarKeepers zu „Musik, Fotografie, Reden, Auflegen. Und Alkohol“, wie es in der Ankündigung heißt, gemeinsam mit den gesammelten Flohmarktfotos von Jochen Raiß und dem Project.Egalbar ausgestellt, in dem Nils Emde und Elena Getzieh das Originalmobiliar gerettet und zur mobilen Gedenkkneipe konserviert haben.
Im Zentrum aber stehen – zumindest atmosphärisch – die liebevoll gestalteten Kartons der BarKeepers. Jedes Graffito am Türrahmen, jede Flasche im Regal, jeder Regler am Mixer aus Pappe, Kleber, Kronkorken oder Strohhalmen – eine Bastelei, die viel Leidenschaft, noch mehr Durchhaltevermögen und einen Schuss Irrsinn erfordert. „Die Egalbar war seit Jahren meine eigene Hausbar“, sagt BarKeeperin Dani Freitag, die den Verlust ihrer zweiten Heimat in zahllosen Stunden Reproduktionsarbeit kompensierte.
Doch aus der nächtlichen Schnapsidee einer hauptberuflichen Pädagogin entstand bald das Konzept kleiner Denkmäler. Modellbau als Erhaltungsmaßnahme, Erinnerungsräume im Diorama, batteriebeleuchtet, aber menschenleer. „In Hamburg wird die gewachsene Stadtteilkultur im Zweifel immer geschäftlichen Interessen untergeordnet“, meint Dani Freitag. Was schmutzig, laut und stromlinienfern sei, passe nicht zur „Marke Hamburg“. Mit jedem Club, jeder Bar, heißt es arg pathetisch auf der Homepage, fiele „eine jahrzehntelang gewachsene Begegnungs-, Besäufnis- und Subkultur“ fort. Und damit die „Patina aus altem Schweiß und Nikotin, alte Tresen, die unendlich viele Klagewehen an Barkeeper und, seltener, Barkeeperin gehört haben, kleine Bühnen auf denen semi-professionelle Kollektive ihr Herzblut vergossen haben“. Solche Sehnsuchtsorte im Kernschatten prospekttauglicher Touristenziele zwischen Landungsbrücken und Schanzenviertel will sie erhalten. Und sei es daheim im Regal.
Dafür minimiert die 42-Jährige, die ihr halbes Leben in St. Pauli lebt, nicht nur verkleinerungswürdige Gaststätten, sie hat das plastische Projekt auch zweidimensional erweitert. Als ihre Egalbar im Maßstab 1:32 stand, bat sie eine befreundete Fotografin um professionelle Bilder. Aus identischer Perspektive hat Alexandra Grieß eine Art Dialog zwischen Original und Fälschung erzeugt. Man kann ihn leicht nehmen, als Miniatur Wunderland für Fans pittoresker Basteleien. Oder schwerer, als Kampf für eine bedrohte Spezies: die Nachbarschaftskneipe.
Denn davon sind weit mehr bedroht als Kiezclubs mit klangvollen Namen wie die Kogge an der Bernhard-Nocht-Straße, deren Existenz notorisch gefährdet ist. Sie heißen eher Karins Treff und verschwinden ohne Getöse aus dem Dunstkreis des Entwicklungsgebietes Reeperbahn. Auch Kiek ut und Lucky Star haben im aufgewerteten Hamburger Berg keine Lobby. Sie heißen Bei Erna und wurden in einer Ladenzeile an der Kleinen Freiheit so lange von kreativen Startups umkreist, bis die Pacht zu teuer geriet. Jetzt stehen die nächsten Werber Schlange.
Und sie werden Lehrstellen hinterlassen. Wie jede Bar, die künftig das Karoviertel verlässt. Der Sanierungsbeirat versucht zwar mit viel Einsatz, Einzelhandelsketten und Outlet-Stores aus dem Quartier zu halten. Doch die drei Grundprinzipien jeder Neubesetzung heißen, wie ein Mitglied berichtet: „Keine Gastronomie, keine Gastronomie, keine Gastronomie.“ Der Nachschub an Miniaturvorlagen für die BarKeepers scheint also gesichert. Zuvor aber ist die Astra-Stube geschrumpft. Und was ihr widerfährt, klingt symptomatisch für die Situation unkommerzieller Einrichtungen im Bezirk Mitte insgesamt: in gut zwei Jahren fliegt die Kleinbühne nicht nur aus dem Gebäudekomplex der Bahn – sie wird offenbar verfüllt. Mit Beton.
Nicht jeder Laden eigne sich allerdings gleichermaßen für Verkleinerung, sagt Dani Freitag. Von der Stabilisierungssünde unter der Sternbrücke sind zwar drei Clubs betroffen; doch weder Fundbureau noch Waagenbau eignen sich für den Schuhkarton als Referenzgröße. „Zu groß, zu verwinkelt“, sagt Alexandra Grieß, die es schon schwer genug hatte, im Rechteck der reduzierten Astra-Stube zu fotografieren.
Für derlei Graswurzelgastronomie gab es den Kunstpreis der Kurverwaltung St. Pauli. Sein Name ist Programm für die BarKeepers: Goldener Anker. Den könnten so manche Bars und Clubs gebrauchen, die in Hamburg auf der Roten Liste der Off-Kultur stehen, nicht lukrativ genug, zu viel Charme, zu wenig Rendite. So wie die Meanie Bar, das jüngste Objekt von Pappe. In den Esso-Häusern ist seine Geschichte längst Schutt und Asche. Im Club-Museum hat die Kneipe des Molotow seinen Platz sicher. Wenigstens dort.
BAR 500, vom 2.-21. Mai in der Bedürfnisanstalt Ottensen, Bleickenallee 26a, geöffnet mittwochs bis samstags ab 19 Uhr
mit Fotografien von Jochen Raiß, Project.Egalbar und Geschichten von Alexander Küpper
Eröffnung am Samstag mit Musik von R.J. Schlagseite
8. Mai: Gespräch mit Ulli Müller und Jurij Klauss (Wahre Worte Weiser Wirte)
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