Im Erzählcafé geht es vor allem ums Zuhören. Viele waren erstaunt über die spannenden Geschichten, die sie zu hören bekamen – eine Reportage.
Von Anja-Katharina Riesterer
„Bei uns in Ghana waren alle Religionen vermischt. Eine Trennung kannten wir nicht. Ich bin als Moslem am Sonntag mit meinen Freunden in die Kirche gegangen und umgekehrt bekamen wir zur Ramadan-Zeit oft Besuch unserer christlichen Freunde. Hier ist es anders. Es wird eingeteilt in Moslem und Christ, was man darf und was man nicht darf. So etwas kannte ich vorher nicht. Und ich versuche alles, um meinen Kindern Respekt und Toleranz mitzugeben.“
Vier Augenpaare sind konzentriert auf Ali (46) gerichtet, als er lächelnd aus seiner Kindheit berichtet. Zufrieden sieht er aus, er hat einiges durchgemacht und ist jetzt angekommen. Besonders Aboubakar (18) nimmt die Worte des dreifachen Vaters mit einem beeindruckten Kopfnicken zur Kenntnis. Er ist einer der acht Jugendlichen, die an diesem Sonnabend im Schorsch den anwesenden Erwachsenen lauschen. Das Erzählcafé findet heute zum ersten Mal statt und Aboubakar hat sich mit der Gruppe intensiv darauf vorbereitet. Betreut von Anne Pelzer und Sally Mary Riedel haben sie sich für ein Thema entschieden, über das die Erwachsenen erzählen dürfen. „Wir wollen wissen, was euch bewegt hat, als ihr so alt wart wie wir!“, fordern die Jugendlichen. Neben Aboubakar sind es fünf weitere Jungen und zwei Mädchen, sie heißen Taufeeq, Ashraf, Elias, Nabilon, Faris, Anni und Özul.
Vier große Tische sind im Raum verteilt, acht blaue Stühle stehen um jeden von ihnen. Jeweils zwei Jugendliche sitzen mit mehreren Erwachsenen an einem Tisch. Es riecht nach Spekulatius und Kerzenwachs, auf jedem festlich geschmückten Tisch steht eine Schale mit weihnachtlichem Gebäck. An unserem Tisch hat sich nur Taufeeq (14) ein Stück Kuchen genommen, die anderen warten wohl darauf, während des Zuhörens zu naschen. Bevor es losgeht, erklärt Anne Pelzer die Regeln. „Heute geht es nicht um Debatten, sondern um das Erzählen. Erfahrungen werden nicht diskutiert, jede Wahrheit ist die richtige.“
An unserem Tisch erzählt zuerst Tilman (48) von seiner Jugend. Er hat sie im Alstertal verbracht, geprägt vom Erleben seines Vaters, der jahrelang in russischer Kriegsgefangenschaft gewesen war. Er erinnert sich, dass sein Vater bei Fragen nach dem Krieg einfach in Tränen ausbrach, sich immer in Arbeit vergrub und seine Erlebnisse nie ganz verarbeiten konnte. „Mein Vater hatte wenig Zeit für mich. Natürlich entsprang das alles seiner persönlichen Geschichte und ich kann das zutiefst verstehen, aber für mich war immer klar, dass ich das mal anders machen möchte.“ Heute hat er selbst eine kleine Tochter. „Wahnsinn, wie viel Arbeit es ist, ein Kind großzukriegen“ lacht er. „Aber Vatersein ist eine wundervolle Erfahrung!“
Als dann Ali mit dem Erzählen an der Reihe ist, werden die Augen am Tisch immer größer. Der Ghanaer erzählt über sein Verhältnis zur Religion, das Leben in Afrika, seinen Weg nach Deutschland. Als er 17 war, schied seine Mutter aus dem Leben, zwei Jahre später der Vater. „Es ist schon so, dass du traurig bist, wenn du einen Elternteil verlierst. Aber erst wenn beide weg sind, tut es richtig weh. Dann fühlst du dich ganz alleine.“ Er rappelte sich auf, studierte in England und wurde aufgrund finanzieller Schwierigkeiten von einer Bekannten nach Frankfurt eingeladen. „Bei uns in Deutschland läuft das mit dem Aufenthalt ganz easy, sagte sie, kein Problem.“ Es wurde dann aber doch ein Problem, von der jahrelangen Jobsuche ganz zu schweigen. Während Ali erzählt, gestikuliert er wild und stemmt seine Finger in den Tisch. Er macht Bewegungen, die den Sinn seiner Worte nacherzählen, als sei er nicht sicher, ob er die richtigen findet. Als er fertig berichtet hat, man mit ihm einmal um den Globus gereist ist, ist es draußen schon dunkel geworden. Wir sind so vertieft in Alis Geschichte, dass die Gebäckschale unberührt bleibt.
Gelächter dringt vom Nachbartisch zu uns herüber, eine reine Frauengruppe unterhält sich dort. Kein einziges Mal nimmt einer der Jugendlichen sein Smartphone zur Hand, es gibt keine Ablenkung. Und die braucht es auch nicht, denn die Geschichten der Erwachsenen scheinen sie wirklich zu berühren. „Das hat mir Mut gemacht“, sagt Aboubakar nach Alis Bericht. „Es ist gut zu hören, dass man es trotz Schwierigkeiten schaffen kann. Ich bin ja auch noch neu hier.“
Schließlich ist Dieter (53) an der Reihe. Er berichtet von einer politikintensiven Jugend und seinen Erlebnissen an der DDR-Grenze. Einer automatischen Schussmaschine, die in der Nähe seines Hauses stand. „Das war ganz schrecklich. Wir hörten einen Knall und wussten nicht, ob da gerade ein Tier oder ein Mensch erschossen worden ist.“ Sein Blick ist nachdenklich, nach innen gerichtet. Dann blickt er auf: „Seitdem wünsche ich mir eine Welt ohne Grenzen.“ Wie es denn um das Politikinteresse der beiden Jungs steht, fragt er dann. Taufeeq findet Politik okay, beschäftigt sich aber selten damit. Aboubakar lässt sich detaillierter aus: „In der Politik wird viel darüber gerdet, wie Menschen leben können und sollen, wie man Probleme lösen kann. Das finde ich super und interessant.“ Politisch engagiert sei er allerdings auch nicht. Ali findet, dass die Jugend von heute nichts aus ihren Möglichkeiten macht und sich zu schnell ablenken lässt. „Die müssen ihre Zeit nutzen, die geht für so viel Blödsinn drauf, die wissen gar nicht, wie gut sie es haben“, meint er. Ob er sich denn früher nie hat ablenken lassen, will Dieter darauf wissen. „Doch, natürlich“ lacht Ali. „Unsere Ablenkung waren – Ohren zu, Jungs – die Mädels.“
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