„Mittendrin dabei“: Die Medienboten – Besuch mit Buch

Foto: Jutta Strauss
Stadtgespräch
Daniela Chmelik

Freie Autorin | Studium der russischen und deutschen Literaturwissenschaften

Lust auf Bücher und Menschen, aber nicht mobil? In Hamburg kein Problem, denn die Medienboten der Hamburger Bücherhallen bringen Bücher, Musik und Filme nach Hause.

Für Menschen, die aufgrund von Alter, Krankheit oder Behinderung ihr Zuhause nur schwerlich oder gar nicht verlassen können, gibt es seit 2007 die Medienboten. Dieses Projekt ist gewissermaßen eine „Bücherhalle auf zwei Beinen“, ein Lieferservice für Bücher, Hörspiele, Filme, Musik – Vorlesen und Unterhaltungen inklusiv. Die Idee ist immobilen Menschen Lesen und Leben zu liefern und auf diesem Wege Einsamkeit abzubauen.

Anna-Maria T. kann wegen Hüftproblemen ihre Wohnung im ersten Stock schon seit Jahren nicht mehr verlassen. Zu Hause bewegt sich die alte Frau nur mit einem Rollator. Zweimal am Tag telefoniert sie mit ihrer Freundin, die in der Wohnung über ihr lebt und ebenfalls nicht mehr besonders beweglich ist. Anna-Maria freut sich über das Angebot der Bücherhallen. „Es ist ein großes Glück für mich, dass es die Medienboten gibt“, sagt sie. Eine andere Kundin berichtet: „Ich freue mich immer, wenn mein Medienbote kommt. Dann klönen wir und ich merke meine Schmerzen nicht mehr!“

Krimis und Biografien sind besonders beliebt

Mehr als 150.000 schwerbehinderte Menschen leben in Hamburg. Ob Gehbehinderte oder Sehbehinderte – viele Beeinträchtigungen sind altersbedingt. Hier findet sich das Ü80-Zielpublikum der Medienboten. Besonders beliebt sind Krimis, Familienromane und Biografien. Die älteste Medien-Bringerin ist selbst bereits 90 Jahre alt und versorgt einen Altenhof. Denn auch Seniorenwohnanlagen, Behinderteneinrichtungen und Tagesstätten können Medienboten für Einzel- oder Gruppenlesungen buchen und sich mit Medienkisten beliefern lassen. Im Herzen Hamburgs nutzt zum Beispiel das Amarita-Pflegeheim dieses Angebot.

Eine interessante Beziehung entstand zwischen dem Medienboten Herrn Reimers und Wilhelm Simmsohn, Jahrgang 1919 und Autor des Buches „Ein Leben zwischen Krieg und Frieden“. Simmsohn ist mit seiner Autobiografie gelegentlich als Zeitzeuge an Schulen unterwegs. Weil er mit seiner Sehbehinderung aber nicht mehr selbst lesen kann, lässt er sich gerne von Reimers vorlesen oder Hörbücher mitbringen.

Übrigens...
 Der Erlös des freitäglich stattfindenden Bücherflohmarkts an der Zentralbücherhalle Hühnerposten, auf dem ein Buch ein Euro kostet, fließt direkt in das Medienboten-Projekt.

Die öffentlichen Hamburger Bücherhallen haben zahlreiche weitere Projekte an der Schnittstelle zwischen kultureller und sozialer Arbeit. So ist der „Dialog in Deutsch“ eine offene Gesprächsgruppe für Deutschlerner. Verschiedene Initiativen (etwa die Lese-Zwerge) vermitteln zudem Kindern mit und ohne Migrationshintergrund Spaß an Büchern 

Da es bei den Medienboten die Regel ist, dass ein Ehrenamtlicher stets dieselbe Person besucht, kommen derlei wundersame zwischenmenschliche Beziehungen häufig zustande.  Voraussetzungen für die Ehrenamtliche sind Freude am Vorlesen, Spaß am Kennenlernen von Menschen mit Geschichten – und Lust auf Kaffeetrinken und Klönschnack!

Allein im vergangenen Jahr gewann das Medienboten-Projekt den Engagements-Preis HelferHerz sowie einen Preis des Vereins Wege aus der Einsamkeit. Und bereits kurz nach seiner Gründung wurde es von der Initiative Deutschland – Land der Ideen ausgezeichnet. „Mittlerweile beliefern 153 Medienboten 343 Kunden“, so Christine Rißmann, die als Bücherhallen-Angestellte das Projekt leitet. Ziel sei eine Steigerung der Kundenzahl auf 500. „Wir wollen, dass mehr Menschen kulturell und sozial teilhaben, aus der Einsamkeit geholt werden, ins Leben.“

Daniela Chmelik stellt in ihrer Reihe „Mittendrin dabei“ den Sommer über engagierte Projekte vor, die innovativ und nachhaltig sind, Menschen vom Rand in die Mitte holen und Hamburg und die Welt besser machen.

Mehr zum Thema: „Mittendrin dabei“: Konfetti im Kopf

„Mittendrin dabei“: Die Damen von der Kleiderei

Foto: Jutta Strauss
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