Delikatess Tonträger: Aufhören, wenn es am schönsten ist

Fred Noel (vorn) und die Band Findus (Foto: Robin Hinsch)
Musik
Marvin Mertens
@MarvMertens

Ressortleitung Stadtgespräch | Kontakt: mertens@hh-mittendrin.de

Nach fünfeinhalb Jahren und 18 Platten hört das Hamburger Label Delikatess Tonträger auf. Am 23. Januar erschien mit der „Quatscherei“-EP die letzte Platte. Im Mittendrin-Interview sprechen die Gründer des Labels, Molotow-Booker Fred Noel und Findus-Sänger Lüam, über die Labelarbeit, Erfahrungen und die letzte Platte.

Mittendrin: Einmal vorab, für alle die euch nicht kennen. Wer oder was ist Delikatess Tonträger?

Fred Noel: Delikatess Tonträger ist ein Hamburger Plattenlabel, das sich 2009 gegründet hat. Entstanden ist es aus einem losen Musikkollektiv von Musikern und Freunden. Die Gründung des Labels war ein logischer Schritt, um die Veröffentlichung von Platten auf eine professionelle Ebene zu heben. Lüam und ich haben Delikatess Tonträger ursprünglich gegründet. Lüam hat aber schnell gemerkt, dass er lieber nur Künstler sein wollte und dann kamen Lisa Noel und Kathrin Johner dazu. Wir drei haben Delikatess Tonträger fünfeinhalb Jahre gemacht und in der Zeit 18 Platten rausgebracht.

Hattet ihr schon Erfahrungen in dem Bereich oder hab ihr angefangen, weil ihr es unbedingt wolltet, ohne viel Know-How mitzubringen?

Fred: Es war eine Mischung aus beidem. Wir wollten das erste Album von Findus rausbringen und haben dafür die Plattenfirma gegründet. Das ist eher ohne Know-How und aus einem Bauchgefühl heraus entstanden. Katrin und Lisa haben auch schon ein bisschen Labelerfahrung mitgebracht. Sie haben sich während Praktika bei Audiolith beziehungsweise Grand Hotel van Cleef kennengelernt.

Habt ihr die Arbeit für Delikatess Tonträger hauptberuflich gemacht?

Fred: Ne. Also schon beruflich, aber mit sehr viel Leidenschaft und ohne Verdienst. Es ist schnell mehr geworden als ein Hobby. Bei einem Hobby kannst du auch mal eine Woche aussetzen. Das geht bei einer Plattenfirma nicht. Du hast ja eine Verantwortung gegenüber deinen Künstlern. Die haben Erwartungen an dich und müssen auf dich zählen können. Da kannst du dich nicht mal eben zwei Wochen rausziehen, weil du keinen Bock hast.

Lüam, wie ist es als Künstler, so ein persönliches Verhältnis zum Label zu haben? Denkst du, das ist angenehmer als zu einem Label zu gehen, wo man die Leute nicht kennt?

Lüam: Auf jeden Fall. Bei Findus kennen wir nur das Vertraute. Meistens waren wir uns mit Delikatess einig und am Ende auch alle zufrieden. Wir hatten immer ziemlich freie Hand, aber es war uns trotzdem wichtig, dass Delikatess dahinter steht. Ihnen war es halt nicht egal, sie waren bei jedem Projekte mit viel Herzblut dabei.

Habt ihr alle Findus-Platten bei Delikatess rausgebracht?

Lüam: Ja. Das Label ist praktisch mit unserem ersten Album gegründet worden. Für uns war das Verhältnis sehr gut. Das ist das schöne bei kleinen Labels. Die machen die Veröffentlichungen nur, wenn sie wissen, dass sie Zeit und Kapazitäten haben, dass Energie und Geld dafür reichen und dass sie Lust darauf haben. Das ist viel wert.

Fred, wie habt ihr entschieden, welche Platten ihr rausbringt und welche nicht?

Fred: Wir haben das bei all unseren Veröffentlichungen gemeinsam entschieden. In erster Linie ist das eine zeitliche Frage: Wie viel Zeit können wir investieren, um das Projekt adäquat umzusetzen? Dann ist es auch eine Kostenfrage: Wie viel Budget haben wir? Was können wir damit machen? Und die menschliche Komponente war uns immer wichtig. Wir haben eher Bands ausgesucht, mit denen wir befreundet waren, als nach etwas zu suchen, dass sich hammergut verkauft. Das war nie unsere Arbeitsweise. Wir haben das Label gegründet, um Platten von Freunden herauszubringen und das hat sich so durchgezogen.

Wie hat sich Delikatess, wie hat sich eure Arbeit in den fünfeinhalb Jahren verändert?

Fred: Wir haben über die Jahre viel Erfahrung gesammelt, wir haben zu Anfang viele Fehler gemacht. Wir sind natürlich professioneller geworden, haben Strukturen und Verantwortungsbereiche geschaffen. Wir haben immer dazugelernt, learning by doing.

Hat sich das Label so entwickelt wie ihr euch das vorgestellt habt?

Fred: Auf jeden Fall! Es war zu 100 Prozent wie wir es wollten. Niemand hat reingeredet, wir konnten uns verwirklichen. Jetzt zum Ende war es einfach hammergut und genau richtig. Das ist auch einer der Gründe, warum wir uns entschieden haben, aufzuhören.

Das war einer der Gründe, welche waren die anderen?

Fred: Vor allem persönliche Gründe. Wir waren mit Delikatess an einem Punkt, an dem wir das nicht mehr nebenbei machen konnten. Es sind immer mehr Bands dazugekommen, das bedeutete auch mehr Arbeit. Einer von uns hätte das hauptberuflich machen müssen, um allen gerecht zu werden. Es hat sich aber gezeigt, dass das Label nichts abwirft. Deshalb mussten wir uns fragen: Wollen wir uns dem Druck ausliefern, vier, fünf Künstler im Jahr finden zu müssen, die ein paar tausend Platten verkaufen? Wollen wir Deals machen, die nur für uns als Label gut sind und den Künstlern sagen: „Nimm es oder hau ab“? Das wollten wir nicht. Deshalb haben wir uns schweren Herzens entschlossen, Schluss zu machen. Uns ist bewusst, dass das für die Künstler scheiße ist. Die haben sich wohlgefühlt bei uns, waren zufrieden mit der Arbeit und jetzt setzen wir sie im Prinzip auf die Straße. Aber auf der anderen Seite haben wir auch eine Verantwortung. Wenn du das Label nur nebenher machst, kommen die Künstler nicht weiter.

Lüam, wie war es für euch als Band, zu erfahren, dass eure „Qutascherei“-EP die letzte Veröffentlichung auf Delikatess Tonträger sein wird?

Lüam: Die Nachricht war schon eine Überraschung. Und natürlich macht uns das traurig, aber wir als Band können das auch nachvollziehen. Wie Fred schon sagt, haben sie alle drei viel zu tun, deshalb kann ich das schon verstehen.

War es eine bewusste Entscheidung, dass sie letzte Delikatess-Platte von Findus kommt?

Lüam: Eine EP war schon länger geplant. Es war eher so, dass dieses Release anstand und der Zeitpunkt günstig war, zu sagen: „Das wird die letzte Veröffentlichung. Damit haben wir angefangen, damit hören wir auf“. Uns war klar, dass wir die EP noch machen könnten. Alle hatten Lust darauf und es machte Sinn, damit aufzuhören. Das war zwar nicht der Anlass für die Platte, aber es war der Grund, warum sie in der Form erscheint, mit der aufwändigen Aufmachung.

Fred: Die Platte war schon in der Pipeline. Andere Sachen auch, aber die haben wir abgesagt. Die Findus-Platte wollten wir unbedingt machen und wir sind megaglücklich damit, wie sie geworden ist. „Quatscherei“ ist tatsächlich eine der schönsten Platten, die wir überhaupt gemacht haben. Und ich finde alle Platten schön, die wir gemacht haben.

Spielt da auch Nostalgie eine Rolle? Ist die EP emotionaler für euch, weil ihr wusstet, dass das die letzte Platte ist?

Fred: Auf jeden Fall. Ich glaube, uns ist noch gar nicht richtig klar, dass Schluss ist. Bis jetzt war ja die ganze Zeit Action. Wir merken das vermutlich erst, wenn nichts neues mehr kommt. Deshalb war es uns wichtig, eine richtig schöne Platte zu machen und Findus haben sich da auch mega reingehängt. Wir haben das Artwork und die Fotos selbst gemacht, das Booklet selbst gedruckt und zusammengeheftet, den Film selbst gedreht… Eigentlich wie bei der ersten Platte, nur dass wir jetzt auf einem ganz anderen Level sind als noch vor fünf Jahren.

Lüam, waren die Songs als EP vorgesehen oder ursprünglich fürs nächste Album?

Lüam: Die Songs waren weder fürs nächste Album, noch Ausschlussware von der letzten Platte. Die Stücke sind jetzt so erschienen, wie es gedacht war. Als wir an „Vis à Vis“ gearbeitet haben, war schon klar, dass wir als nächstes eine EP machen. Aber, die Platte bekommt durch das Ende von Delikatess natürlich ein ganz anderes Gewicht.

Fred, Wann habt ihr entschieden, dass „Quatscherei“ die letzte Platte für Delikatess wird?

Fred: Im September. Wir hatten gerade die Veröffentlichung von Paula & Karol abgeschlossen und haben uns in dem Moment entschieden aufzuhören, als wir in die Planungen für das nächste Projekt, also die „Quatscherei“-EP, gegangen sind. Das hat sich hochgeschaukelt, sodass wir auch den Film, das aufwändige Artwork und die superschöne Vinyl gemacht haben.

Lüam, guckt sich Findus schon nach einem neuen Label um?

Lüam: Nein. Wir haben erstmal für die Platte reingehängt als wäre nichts und müssen dann schauen. Wir haben mit der Zeit natürlich Leute von Labels kennengelernt und als klar war, dass Delikatess aufhört, haben schon einige Leute gefragt. Aber das war sehr vage, weil Delikatess großen Respekt erfahren hat und keiner da der „Leichenfledderer“ sein will. Ich denke für uns wird sich gar nicht so viel ändern. Mit Delikatess war für mich viel Idealismus verbunden, das war eine Überzeugungssache. Natürlich gibt es auch andere Labels, die schöne Veröffentlichungen machen, aber im Moment denke ich noch gar nicht daran. „Quatscherei“ ist ja grad erst erschienen und jetzt kommt erstmal die Tour dazu.

Das ist ein gutes Stichwort. Wann startet die Tour, wo macht ihr überall Halt?

Lüam: Wir haben am 23. Januar schon ein Release-Konzert in Kiel gespielt, die Tour startet aber erst eine Woche später in Bremen. Dann spielen wir in Osnabrück, Aachen, Kassel und Dortmund, danach in Siegen, Köln, Frankfurt, München, Leipzig und Berlin.

Hamburg hab ich gar nicht gehört. Gebt ihr auch noch ein Heimspiel?

Lüam: Ja, wir werden dieses Jahr noch ein Hamburg-Konzert spielen. Wann genau ist noch nicht raus, aber das wird in einem sehr schönen Rahmen sein.

Fred, Lüam, danke für dieses Gespräch.

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