Auf und davon: Unsere Redakteurin Carolin Wendt hat den Bezirk, die Stadt und Deutschland hinter sich gelassen und entdeckt gerade Israel. Auf ihrem Blog schreibt sie über ihre Erlebnisse. Dieses mal geht es um sprachliches Tohuwabohu.
Schachmatt – wer soll denn diese Sprache verstehen? Hebräisch ist eine wundersame Sprache. Wenn ich in einem vollem Bus oder gefülltem Raum sitze und sich alle miteinander unterhalten, ist es wie ein Meer aus harten chchchch– (wie in “Bach”), sch– und aim– und ia-Lauten: lichluchit, schnia, ro’ach, mechnaßeijm, lachaim… Aber ab und an löst sich dieses weiße Rauschen und höre Wörter wie biera, Schluck, Schnitzel, spitz, Stinker, schokolad, Ananas, ‘allo, alte Sachen oder meinen aktuellen Liebling: schachmatt. Ein bisschen Hebräisch kann also jeder. Und was hat es mich Zeit und Nerven gekostet, beim Einzug auf Englisch zu erklären, dass wir Dübel brauchen und ich nicht wusste, was Dübel auf Englisch heißt. Endlich dann ein Gesicht, das sich aufhellte: „Ken! Dübel!“ Dübel heißt auch hier Dübel. Auch das Deutsche hat einige Wörter und Ausdrücke aus dem Hebräischen und Jiddischen übernommen wie “das ist nicht koscher”, meschugge, angeschickert sein (shikorr ist betrunken), Tineff, Tohuwabohu.
Wenn es Deutsch klingt, ist es jüdisch
“What me? No, I don’t know any word in German.”, könnte Jemand namens Tomer Kirschenbaum hier sagen. Denn nichts ist so deutsch wie manche Nachnamen: Tannenbaum, Hirsch, Rothschild, Zellwein, Feigling,Schneebaum. Es scheint, dass umso deutscher ein Nachname klingt, desto wahrscheinlicher ist die Person jüdisch – das war mir vorher nicht bewusst (Zuckerberg, Spielberg, Einstein, Freud). Juden trugen ursprünglich keine Nachnamen, sondern Vornamen und den Namen des Vaters (Schlomo ben Noah). Im 18./19. Jahrhundert mussten die ashkenasischen Juden, die in Mitteleuropa lebten, Nachnahmen annehmen. Oft wurden sie in Anlehnung an ihren Stamm oder deren Symbole (z.B. Bär, Hirsch, Rubin), Wohnorte (z.B. Berliner, Frankfurter), Eindeutschungen oder ähnlich klingende deutsche Wörter (z.B. Zucker vom Vornamen Zaccharia, Heim vom Vornamen Chaim) vergeben.
“Sitz, Bruder!” – Sprache und Mentalität
Meine Sprachkenntnisse sind ziemlich gering. Im Hebräischen lebe ich in der Gegenwart und Vergangenheit. Zukunft? kann ich nicht konjugieren – gibt’s nicht. Einige Wörter und Ausdrücke höre ich immer wieder. Und sie gefallen mir, weil sie hierher passen, und irgendwie für die Mentalität der Israelis stehen: diskussionsfreudig, direkter, schlichter, rauer: „In Ordnung“ heißt bezäder. Bezäder ist überall, immer. Wenn in „Game of Thrones“ im Englischen gesagt wird: right, that’s OK, everything’s fine, alright, you are right, I agree, I am kind of OK – dann steht im Unterteil schlicht: bezäder.
Auch lo nachon (dt.: „nicht richtig“) ist fundamental – es bringt jedes Gerüst aus Argumenten zum Einsturz, macht Diskussionen überflüssig oder wird zu deren einzigen Bestandteil: „ze lo nachon!“ Punkt und Aus. Selbst im Streit werden Männer mit achi (dt.: „mein Bruder“) angesprochen, auch Verkäufer, Passanten, Busfahrer, alle. Frauen jeglichen Alters hingegen nie mit “meine Schwester”, sondern oft mit chamuda (dt./engl.: „sweety“). Aufforderungen werden geradeaus im Imperativ hervorgebracht. Egal ob Mensch oder Hund, wer sich setzen soll, wird mit „sitz!“ aufgefordert – oder eben „sitz, chamuda!“, was das ganze wesentlich netter klingen lässt, aber immer noch und immer ohne ein Bitte. Braucht Jemand noch etwas Zeit, braucht er in Deutschland noch „eine Minute“, hier „eine Sekunde“ (hebr.: schnia). Und kommt dann doch ne Stunde später.
Sagte ich Apfel?
„Entschuldigen Sie, ist ihr Laden ein Apfel?“ – wie so oft reicht es, wenn ein Buchstabe vertauscht wird und der Sinn damit verloren ist. „Slicha, chanut schelcha tapuach?“ heißt das genannte. Für „geöffnet“ wäre das letzte Wort patuach. Ich fordere Leute auch öfter auf anzufangen, statt sich zu entscheiden (tachlit! tatchil!). Am häufigsten aber habe ich mein Fahrrad auf der Nase, in der Tasche oder bin auf der Suche nach ihm: Warum auch immer, statt mishkafeim (Brille) hat sich ofaneim (Fahrrad) bei mir eingeprägt.
Ich mag die deutsche Sprache, ich bewege mich gern in ihr – auch lesend oder schreibend. Aber Hebräisch macht es einem da nicht einfach. Die Buchstaben sind anders, haben oft mehrere Aussprache-Varianten und es fehlen in den geschriebenen Wörtern teilweise die Vokale. Ein Beispiel: שבת Diese drei Buchstaben könnten vieles bedeuten z.B swat, schwat, schwet, swet, sewet, schewet, schabt, sabt, schabat – Knallboom! Da ist es: Schabat. In all dem Buchstabenwirrwarr ist es hilfreich, dass fast jedes Straßenschild dreisprachig ist: Hebräisch, Arabisch, Englisch. An das letzte klammere ich mich. Überhaupt spricht hier fast jeder Englisch und das oft besser als in Deutschland. Wahrscheinlich auch weil Filme und Serien hier nur im Original mit Untertiteln gezeigt werden.
Hebräisch ist eine wundersame Sprache, aber ich komme zurecht, solange Hamburger Hamburger und Dübel Dübel bleibt.
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