Sie bringen die dicken Pötte sicher durch das enge Fahrwasser der Elbe. Um Elblotse zu werden, drücken Kapitäne noch einmal die Schulbank. Es ist ihre Möglichkeit ein Leben an Land aufzubauen – vom Alltag eines Lotsen.
Text & Fotos: Charlotte Klein
10.20 Uhr an einem Samstagmorgen, die Straßen sind noch feucht und die Sonne scheint. Bei Martin Papke in Ottensen klingelt das Telefon, er wird zum Einsatz gerufen. 27 Minuten später sitzt er in seinem Auto und fährt nach Brunsbüttel. Gestern war er um 3 Uhr morgens von der Arbeit nach Hause gekommen. Ob es heute noch hell sein wird, wenn er wieder seine Wohnungstür aufschließt, weiß Papke noch nicht.
Martin Papke ist seit Anfang dieses Jahres Junglotse auf der Elbe. Er und seine Kolleginnen und Kollegen bringen die dicken Pötte, die wir im Hafen beobachten, von der See nach Hamburg und wieder hinaus. Bei Schiffen ab einer Länge von 90 Metern und 13 Metern Breite, oder solchen mit gefährlicher Ladung muss ein Elblotse den Schiffskapitän beraten. Lotsen sind für den Kapitän wie Beifahrer, die sich genau im Revier auskennen und mit den kleinen Tücken des Flusses vertraut sind.
Lotsen müssen zur See gefahren sein
Papke ist 45 Jahre alt und hat selbst das Kapitänspatent. Ohne dieses hätte er nicht die achtmonatige Ausbildung zum Lotsen antreten können. Die Bewerber müssen zwei Jahre als Steuermann und nochmal zwei Jahre als Kapitän auf See gearbeitet haben. Hier zählen jedoch nicht die Urlaubstage an Land, sondern nur die tatsächlich auf See verbrachte Zeit. Nach seinem Studium in Warnemünde ging Papkes Aufstieg zum Kapitän schnell. Doch nach neun Jahren in der Berufsschifffahrt zog es ihn zurück an Land. „Das gesellschaftliche Leben zieht an einem vorbei, wenn man auf See ist“, sagt Martin Papke.
11.58 Uhr, Papke betritt das Lotsenhaus in Brunsbüttel. Draußen nieselt es leicht, die Elbe ist grau. Das Lotsenhaus ist die Dienststelle für alle Lotsen auf dem Elbabschnitt zwischen Brunsbüttel und der Elbmündung. Hier ist auch Lotsenwechsel, wenn ein Schiff von See in den Hamburger Hafen möchte: Ein Lotse begleitet den Frachter von See bis Brunsbüttel, dann wird getauscht. Die Strecke bis nach Hamburg übernimmt ein Kollege.
Ein Lotse trifft auf Menschen aus aller Welt
Da direkt neben dem Lotsenhaus der Nord-Ostsee-Kanal die Elbe erreicht, begleiten Lotsen auch Frachter bis zur Kanaleinfahrt – oder nehmen sie dort entgegen. Martin Papke bereitet sich auf seinen Einsatz vor, er macht sich gewissenhaft Notizen in ein kleines Buch. Heute heißt sein erster Auftrag „Crystal Topaz“, ist 126,20 Meter lang und soll von der Ausfahrt des Nord-Ostsee-Kanals raus auf See gebracht werden.
13.27 Uhr, Papke betritt das Schiff über eine kleine Leiter. Er trägt Gummihandschuhe, so hat er trotz des Regens einen sicheren Griff. Ein Matrose bringt ihn zur Brücke – dem Steuerstand des Schiffes. Nun muss er in kürzester Zeit die Strukturen an Bord einschätzen. Die Crewmitglieder kommen aus allen Teilen der Welt, sodass Sprache, Umgangsarten und die herrschende Hierarchie sehr unterschiedlich sein können. Manchmal sind die Crewmitglieder misstrauisch, wenn der Lotse an Bord kommt. „Das löst sich, man muss nur mit Fingerspitzengefühl rauskriegen wie der Hase läuft“, berichtet Martin Papke.
Lotsen sind auf den Schiffen nur zu Gast
Auf der Brücke ist das Brummen der Motoren zu spüren, es riecht nach frischem Kaffee. Es ist still, nur von Zeit zu Zeit werden ein paar Worte gewechselt. Als die Elbmündung schon klar zu erkennen ist, sagt Papke ruhig: „Captain, can we slow down for the passage of Cuxhaven, please?“. Sein Tonfall ist höflich, ganz so, als wolle er sagen: „Wir sind hier nur zu Gast“. Die Lotsen begleiten das Schiff bis zur Tonne „Elbe Racon“. Dort endet die Fahrrinne für die dicken Pötte und der Lotse geht von Bord.
16.21 Uhr, Papke zieht seine Regenhose an und packt seine blaue Tasche. Draußen nieselt es immer noch. „Have a save trip“, sagt er zum Abschied. Mit flinken, geübten Schritten nimmt Papke die steilen, eisernen Treppenstiegen. Ein kleines gelbes Boot kommt, um ihn abzuholen. Dann klettert er eine Strickleiter am Rumpf des Frachters hinab – jetzt nur noch ein beherzter Schritt auf das Versetzboot. Der erste Auftrag des Tages ist erledigt und Papke wird auf die „Hanse“ gebracht, ein Stationsschiff.
Für den Junglotsen ist dies der Wendepunkt seines Einsatzes, er wartet auf seinen nächsten Auftrag zurück in Richtung Hamburg. Normalerweise ist für ihn vor der See Schluss. Hier „Manchmal würde ich schon gerne weiter raus auf See fahren, und nicht wieder umdrehen“, sagt Papke. Tatsächlich könne das aber passieren. Wenn der Lotse bei besonders schlechtem Wetter nicht sicher von Bord geholt werden könne, müsse er weiter mitfahren. Auf dem Stationsschiff „Hanse“ erledigt Papke zunächst Papierkram, dann ist Gelegenheit etwas zu essen und sich auszuruhen. Doch heute kommt der nächste Auftrag fix: Ein holländischer Frachter will nach Hamburg.
Der Wind peitscht das Wasser auf
Diesmal ist die See unruhig, doch das Zubringerboot ist groß, sodass Papke nur noch vier Stufen an der Bordwand hinaufklettern muss. Der Wind peitscht, die Gischt überzieht die Brille des Lotsen mit Meerwasser. Oben auf der Brücke angekommen, besprechen Kapitän und Lotse Einzelheiten zum Ablauf der Fahrt. Schiff, Kapitän sowie die Offiziere sind jung. Die Hierarchie ist flach, im Cockpit werden Späße gemacht.
17.41 Uhr, langsam wird das Wetter besser. Der Frachter ist mit 12,5 Knoten unterwegs, dass entspricht etwa 23 Kilometer pro Stunde. In etwas mehr als zwei Stunden wird Martin Papke wieder an Land sein, der Frachter aber erst in fünf Stunden im Kai in Hamburg. Die Schleuse zum Nord-Ostsee-Kanal ist schon in Sicht als der Lotsenwechsel ansteht: Das Versetzboot bringt einen weiteren Lotsen zum holländischen Frachter. Martin Papke und sein Kollege, der das Schiff bis nach Hamburg bringen wird, tauschen sich kurz auf der Brücke über die Geschehnisse der Fahrt aus, dann geht Papke von Bord.
Arbeiten in Brunsbüttel – Leben in Hamburg
Um 20.20 Uhr hat Papke wieder festen Boden unter seinen Füßen. Nun steht noch die Heimfahrt an. Er wollte nicht nach Brunsbüttel ziehen, weil die Hansestadt mehr bietet. „Ich genieße es sehr, abends ins Theater zu gehen“, sagt er und lächelt. Papke entschied sich für die Ausbildung zum Losten, weil er sich nach mehr Stetigkeit im Alltag sehnte.
Doch auch als Lotse ist es nicht immer leicht. „Man muss elegant mit seiner freien Zeit umgehen und spontan bleiben.“ Schließlich hat er zu jeder Tageszeit Einsätze, seine Arbeitszeit ist nicht im Voraus planbar. Dienstfrei hat Papke somit häufig dann, wenn andere arbeiten oder schlafen. Alle vier Monate hat er einige Wochen frei. „Da ist es manchmal schwierig, soziale Kontakte und die Freizeit zu verknüpfen“, sagt er.
Kurz vor 22 Uhr in Ottensen, Martin Papke kommt nach elf Stunden von der Arbeit nach Hause. Vermutlich wird er erst am nächsten Nachmittag wieder angerufen. Ein bisschen Freizeit.
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