Jan Freitag hat sich durch den Mediendschungel dieser Woche gekämpft und dabei „Landesverrat“ und nostalgische Reklame gefunden.
Landesverrat, ah ja. Fehlt nur noch der gute alte „Volksschädling“, mit dem eisernere Kanzler einst den Pöbel vom Machtzentrum der Klassengesellschaft fernhielten. 33 Jahre nach dem letzten Vorwurf an ein Medium, es würde Geheimisse des Staates aus reiner Feindseligkeit publizieren, erhebt die Bundesanwaltschaft wieder Anklage gegen Journalisten, diesmal der kleinen, aber aufmüpfigen Onlineplattform www.netzpolitik.org. Davon abgesehen, wie vordemokratisch es ist, dass nicht etwa Staatsgeheimnisse strafbar sind, sondern deren Veröffentlichung, fällt die Bundesrepublik damit zurück in dunkle Zeiten von Bismarck bis Strauß und belegt eindrücklich, das Pressefreiheit auch im Rechtsstaat nur so weit reicht, wie er die Mächtigen nicht kratzt.
Egal, wer den Firlefanz moderiert
Was sonst noch Juckreiz erzeugt, im aktuellen Mediengeschehen, verblasst vor dieser Ungeheuerlichkeit so sehr, dass man das Texten an dieser Stelle einstellen möchte, aber damit ist ja auch niemandem gedient. Die Besonderheiten der vergangenen Tage gibt es daher kurz in Stichworten: Inka Bause sitzt bald neben Bruce Darnell und Dieter Bohlen in der „Supertalent“-Jury und belegt damit nachdrücklich, wie egal es RTL mittlerweile ist, wer dessen Firlefanz moderiert – Hauptsache die Hülle überdeckt all die gähnende Leere dahinter. Die Fusion der ProSiebenSat1-Gruppe mit Axel Springer ist dagegen vom Tisch. Und der Kanzlerinnenkuschler LeFloid darf künftig dienstags (EinsPlus, 22.45 Uhr) als Daddelheini ausgerechnet in jenes Regelprogramm, das er auf seinem Youtube-Kanal ansonsten mit Hohn und Spott überzieht.
Mission accomplished!
Das dürften vor genau 70 Jahren auch jene Piloten gefunkt haben, die drei Tage nach der ersten Atombombe auf Hiroshima nun Nagasaki in nuklear verwüstet hatten. Zum Gedenken an eines der furchtbarsten (und weiter ungesühnten) Verbrechen der Menschheit spricht Klaus Scherer am Montag um 23.45 Uhr im Ersten mit letzten Überlebenden und fragt: „Warum fiel die zweite Bombe“, was Arte tags drauf mit drei Dokumentationen zur besseren Sendezeit ab 20.15 Uhr ebenfalls tut. Und auch, wenn diesem Thema jede Leichtigkeit fehlt, passt es zum „Summer of Peace“, mit dem der Kulturkanal grad die Schnittstellen von Krieg und Kultur auslotet. Sonntag zum Beispiel läuft ein Prunkstück des Sommerschwerpunkts, Christian Bettges sehenswerte Doku „Peace’n’Pop“, die ab 22 Uhr der Geschichte des Protestsongs im Jahrhundert der Stellvertreterkriege nachgeht.
Hinreißende Lässigkeit
Bei so viel realpolitischer Härte fällt es schwer, Leichtigkeit zu empfehlen. Aber „Oh Boy“, Jan Ole Gersters schwarzweißes Porträt eines modernitätsmüden Lebenskünstlers mit Tom Schilling in der Hauptrolle, ist Dienstag (22.45 Uhr) nicht nur von hinreißender Lässigkeit; es bildet auch den Auftakt vom diesjährigen „FilmDebüt im Ersten“, das bis September neun Nachwuchsregisseuren eine vergleichsweise prominente Plattform ihrer Erstlingswerke bietet. Der geniale Selbstdarsteller Oli Schulz allerdings muss sich in der famosen Reihe „My Hometown“ auf dem Kleinstkanal EinsPlus in seine Heimatstadt Hamburg begeben, deren abseitige Ecken er Mittwoch um 20.15 Uhr mit herrlicher Schnodderigkeit bewirbt.
Lukrativ statt relevant
Apropos Werbung: Dienstag um 18 Uhr umgeht ein anderer Kleinstkanal das Reklameverbot: ZDFkultur überträgt den sportlich irrelevanten, finanziell lukrativen Audi-Cup, der einzig und allein das Ziel hat, Gastgeber Bayern München, seine Sponsoren und die diesjährigen Gegner aus Mailand oder Madrid mit noch mehr Millionen zu mästen. Statt dem Ingolstädter Autokonzern also aufs Markenlogo zu starren, sei lieber ein VW namens Herbie empfohlen, der auch am Bildschirm läuft und läuft und läuft: Ab Donnerstag zeigt Disney Channel „Ein toller Käfer“ von 1968, gefolgt von drei Sequels mit dem lebenslustigen Faltdachmodell Nummer 53, was zwar irgendwie auch Reklame ist, aber einfach zu nostalgisch, um illegitim zu sein.
Sichtwort Nostalgie: Die schwarzweiße „Wiederholung der Woche“ heißt „Im Lauf der Zeit“ (Montag, 22.10 Uhr, Arte), Wim Wenders akustisch reduziertes, optisch opulentes Selbstfindungsepos am Zonenrand von 1976. Fünf Jahre jünger und in Farbe ist ein Tipp, der sich eher an Männer über 40 wendet: „Porky’s“ (Dienstag, 20.15, RTLNitro), zotiger Highschool-Quatsch gewiss. Er sagt jedoch so viel über das aus, was Jungs 1981 amüsant fanden, dass es für deren aktuelle Lebenspartner(innen) aufschlussreich sein könnte… Für alle aufschlussreich ist indes die Doku der Woche „Zum dritten Pol“ (Freitag, 20.15 Uhr, Servus), ein berauschender Film übers Leben der Himalaya-Pioniere Norman und Hettie Dyhrenfurth, erzählt von ihrem 97-jährigen Sohn Norman, dem selbst kein Gipfel zu hoch war.
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