Jan Freitag hat sich durch den Fernsehdschungel dieser Woche gekämpft und dabei eine dokumentarischen Farce und zu viel Empathie fürs Tätervolk gefunden.
Guter Journalismus muss sich lohnen. Nur der Dr. Seltsam unter den Klinikbetreibern, Ulrich Marseille, hat da was falsch verstanden. Für einen Fragekatalog, den ihm der „Spiegel“ wegen angeblicher Kautionszahlungen an den Pleitemanager Thomas Middelhoff geschickt hat, stellt der Gefolgsmann des koksenden Politberserkers Ronald Schill dem Magazin 199,20 Euro in Rechnung. Ein „guter Preis für wahre Berichterstattung“, erklärt Marseille den Betrag und listet auf: drei Stunden Sachbearbeiter à 34,50 Euro, eine zur Nachrecherche (44,50), dazu Schreibgebühr, Steuern, echt aufwändig.
Ach Gottchen, mag da mancher monieren, für ein derart profitables Unternehmen ist das doch ein Klacks. So viel verdienen Niveauanästhesisten wie Francine Jordi und Alexander Mazza, die Andy Borg ab Herbst beim „Musikantenstadl“ ersetzen, mit jedem Jodler. Wenn die 5. Staffel „Homeland“ nach einem Bericht des Guardian demnächst als erste US-Serie komplett in Deutschland gedreht wird, kriegt der Regisseur für solche Peanuts kaum den Fahrdienst von Babelberg zum Brandenburger Tor. Und wenn der Streamingdienst Netflix in „Chef’s Table“ den Zauber der Zutat zelebriert, sind die Menüs der porträtierten Spitzenköche weitaus teurer als knapp 200 Euro.
Nicht in Geld aufzuwerten
Klingt also nicht viel. Nur: guter Journalismus ist in Geld eben nicht aufzuwerten, auch wenn der Medizinkapitalist Ulrich Marseille für alles von Bypass bis Mitleid eine konkrete Summe benennen mag Das gilt für analoge Altmedien ebenso wie fürs digitalisierte Fernsehen. Wobei die Spanne dessen, was auf nix als Quoten zielt, zu dem, was darüber hinaus Bedeutsames zu erzählen hat, aufklären will, gar die Welt ein bisschen besser machen, groß ist. Nehmen wir ZDFneo.
Der Ableger erreicht zwar eher Bestager als die avisierte Jugend, zeigt aber mit „Der kleine Unterschied“ ab heute, wie man fiktionale unterhaltsam mit sachlichen Formaten kombiniert. Und zwar nicht nur, weil der fünftägige Schwerpunkt zur Sexualität in all ihren Spielarten als erste Sammlung zum Thema Nr. 1b nach Fußball Donnerstag um 23.15 Uhr auch den zugehörigen Sexismus ins Visier nimmt, sondern auch wegen des Genderexperiments „sexchange“, in dem je drei Männer und Frauen täglich ab 19.30 Uhr das Geschlecht tauschen. Das garantiert beiden Seiten spannende Erfahrungen.
Kostenlose Werbung in der ARD
Um weniger überraschende als gut kompilierte Erkenntnis geht es der „Story im Ersten“, die sich Montag (22.45 Uhr) der sportpolitischen Despotie des Fußballvernichters Sepp Blatter widmet. Robert Kempe und Jochen Leufgens könnten sich bei ihrem Porträt natürlich auch mal der Frage widmen, wieso ihr Auftraggeber dem globalen Hassobjekt alle vier Jahre klaglos zig Millionen Übertragungsgebühr zahlt, aber gut – schlimmer ist die anschließende Anbiederung. Wenn sich die Reihe „Deutsche Dynastien“ den Furtwänglers widmet, geht es gewiss nicht um ein paar Dirigenten oder Bauherren dieses Namens, sondern Abkömmling Maria, dem die ARD mit ihrer dokumentarischen Farce viel kostenlose Werbung schenkt.
Noch schlimmer wird es tags drauf, wenn öffentlich-rechtlich das Ressentiment jener bedient wird, die finden, jetzt sei es aber echt mal gut mit dem Holocaustgedenken, nun seien „Hitlers erste Opfer“ dran, wie Revanchisten gern raunen, wir, die Deutschen. Zur besten Sendezeit skizziert das ZDF „Die Verbrechen der Befreier“, während der HR in „Tage zwischen Krieg und Frieden“ zeigt, wie arm die Hessen damals dran waren und der RBB das Gleiche auf dem „Schlachtfeld Berlin“ tut. Bei so viel Empathie fürs Tätervolk sei doch Markus Lanz empfohlen, der gewohnt klebrig, aber mit den richtigen Adressaten Geschichte erzählt, wenn er Mittwoch – nach der Champions League, versteht sich – in „Du sollst leben!“ drei jüdische Opfer interviewt. Richtig gut dagegen ist der ARD-Mittwochsfilm zum ähnlichen Thema. In „Die verlorene Zeit“ erfährt eine KZ-Überlebende 30 Jahre später, dass ihr damaliger Retter ebenfalls entkommen ist. Den Versuch, ihn zu finden, spielen Alice Dwyer und Dagmar Manzel mit hinreißender Intensität.
Ein unterhaltsames Plagiat
Weit leichter, aber ebenfalls anrührend agieren ab Dienstag (20.15 Uhr, ARD) „Die Vorstadtweiber“, eigentlich bloß „Desperate Housewives“ für Arme. Da sie aber im Wiener Elitenzirkel intrigieren, kriegt das Plagiat etwas zeitlos Unterhaltsames. Das gilt auch für „Atemlos“, die farbige „Wiederholung der Woche“ von 1983 mit Richard Gere als Belmondo und Valérie Kaprisky als Jean Segal (Samstag, 0.55 Uhr, ARD). Der schwarzweiße Wochentipp geht aber nochmals zurück zum NS-Thema: Schon 1960, als Aufarbeitung noch als Nestbeschmutzung galt, spielte Götz George in „Kirmes“ (Mittwoch, 22.45 Uhr, RBB) einen Deserteur, den sein Dorf an die Nazis ausliefern will.
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