Jan Freitag hat sich durch den Fernsehdschungel dieser Woche gekämpft und dabei einen medialen Kondolenzoverkill und ein echtes Highlight mit schlechter Synchronisation gefunden.
Padautz! Na das war doch mal eine Sensationsmeldung, die vorige Woche von jahrelang im Untergrund lebenden Schläfern über geheime Tunnelsysteme mehrfach verschlüsselt durchgesteckt wurde: Beim „größten TV-Experiment aller Zeiten“, wie Sat1 zum Start fantasierte, wird der streng wissenschaftliche Feldversuch „Newtopia“ manipuliert! Das legen geheime Bilder über vermeintliche Regieabsprachen des streng feuilletonistischen TV-Intellektuellen John de Mol nahe, was fast so abwegig klingt, als würde jemand bei Scripted Reality Drehbuch schreiben oder die Werbung gelegentlich übertreiben.
Absurd.
Kommen wir also zur Parallelrealität, die gerade zwei Trauerfälle beklagt: das „Monitor“-Urgestein Klaus Bednarz. Und mit Günther Grass den vorletzten Großliteraten deutscher Sprache mit politischer Strahlkraft neben Martin Walser, was pflichtschuldig zum medialen Kondolenzoverkill mit Gedenkdokus, Rückblicken und „Blechtrommel“-Wiederholung (aber ohne ARD-Brennpunkt) führte. In ihrer Realität irreal sind hingegen die Quoten des „Tatort“. Dessen neuer Standort Nürnberg hat es bei eher konventionellen Ermittlungen mit viel Fragerei und wenig Kreativität auf unglaubliche zwölf Millionen Zuschauer gebracht. Na wenn Markus Söder da mal nicht per Zwangseinschaltdekret in Bayern nachgeholfen hat. Der fränkische Chefpropagandist hatte dem Vernehmen nach ja schon vor der Entscheidung zum zweiten BR-Team gedroht, so lange die Luft anzuhalten (oder wahlweise jede Entscheidung aller ARD-Gremien zu blockieren), bis seine Heimat ein Heimteam kriegt.
Die vielleicht beste Nachricht des Fernsehjahrs
Doch des einen Freud ist des anderen Leid: Kaum sind die hochdeutschen Dagmar Manzel und Fabian Hinrichs im erstaunlich dialektfreudigen Umfeld auf Mörderjagd, da treten Martin Wuttke und Simone Thomalla von der Leipziger Sonntagsbühne ab, was zumindest im Fall des Fleisch gewordenen Schmollmunds die vielleicht beste Nachricht des jungen Fernsehjahrs ist. Eine nicht so gute ist hingegen, dass das ZDF dem ungeheuer begabten Ronald Zehrfeld mal wieder eine Bomberjacke übergestreift hat. So gerät sein Privatdetektiv „Dengler“ zum Reihenauftakt am Montagabend oft zu jener Klischeefalle, gegen die der Schauspieler ebenso wie seine Kollegin Birgit Minichmayr als Hackerin Olga mühevoll anspielt. Das allerdings tun beide versiert, was auch an Regisseur Lars Kraume liegt, der aus der Literaturverlage um einen unehrenhaft entlassenen BKA-Mann, der als Privatermittler dauernd auf Verfolgungsjagd ist, zwar kein grandioses, aber sehenswertes Stück anspruchsvolles Actionfernsehen macht.
Dennoch sehnen sich anspruchsvolle Zuschauer ja nicht nur nach Krimi mit mehr Niveau, sondern nach Niveau ohne Krimi. Gregor Schnitzlers leichtes Melodram „Mein Sohn Helen“ über einen 17-Jährigen, der vom Auslandsaufenthalt als Frau zurückkehrt, hätte da alle Chancen gehabt – trotz (oder wegen) Heino Ferch als überforderter Vater. Auch das ist allerdings eher bieder geworden als soziokulturell relevant. Degeto eben, Freitagabend im Ersten, so richtig gehaltvoll wird das da nie.
Romantisches Fernsehen für Nerds über 40
Dann muss man eben zu Arte wechseln, wo das gediegene Sachfilmambiente am Freitag zur besten Sendezeit noch Platz für die charmante Komödie „Global Player – wo wir sind, isch vorne“ lässt. Dutschke-Darsteller Christoph Bach verlagert das Business seines kriselnden Mittelständlers darin nach Fernost und macht das sehr ordentlich. Das trifft auch auf den fabelhaften Mehrteiler „Broadchurch“ zu, der zwar auch wieder einen Mord aufklärt, aber zeigt, wie überlegen angloamerikanische Formate den deutschen selbst auf unserem Fachgebiet sind. Vier Sonntage ab 22 Uhr zeigt das ZDF, wie sich die titelgebende Kleinstadt mit ungeheuer glaubhaften Figuren auf die Suche nach einem Kindermörder ist. Die Darsteller dürfen aussehen wie Menschen statt Models, ihre Dialoge sind authentisch, die Handlungsstränge schlüssig. Ohne die grotesk miese Synchronisation wär „Broadchurch“ schon jetzt ein Kandidat fürs Highlight 2015.
Ein Highlight 3.0 wird hingegen womöglich Kai Wiesingers Beziehungsreihe „Der Lack ist ab“, die das Leichtgewicht romantischen Fernsehens gemeinsam mit seiner Freundin Bettina Zimmermann fürs Netz produziert, für Nerds über 40, wie er ankündigt. Der Teaser auf MyVideo klingt immerhin verheißungsvoll. Ein Highlight von 1964 war hingegen die schwarzweiße „Wiederholung der Woche“ am Montag (23.40 Uhr, MDR): „Alexis Sorbas“ mit Anthony Quinn als dickköpfiger Grieche, dessen Filmklassiker dem Drehort eine Hymne namens „Sirtaki“ geschenkt hat, die zuvor niemand kannte. Völlig unbekannt waren auch die Darsteller des farbigen Tipps „The Commitments“ (Dienstag, 22 Uhr, ServusTV) von 1991, das fiktive Porträt einer irischen Band, die später auch im echten Leben Karriere machte.
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