Jan Freitag hat sich durch den Fernsehdschungel dieser Woche gekämpft und den dabei die Vorabend-Todeszone gefunden.
Um zu sehen, wie Werbung das Leben durchdringt, kann man beim Internetsurfen eine Stunde lang probehalber Pop-ups zählen, beim Laufen durch die Stadt Plakate. Oder all die Spots einer Folge, sagen wir: „Germany’s Next Topmodel“, inklusive Produktplacement, Präsentationen und der Marke Klum. Wem das zu viel ist, kann bekanntlich auf öffentlich-rechtliche Sender wechseln, die – abgesehen von Livesport – ab 20.15 Uhr durchweg werbefrei sind.
Himmlisch!
Die Hölle hingegen lodert am Vorabend, auch Todeszone genannt, da ARZDF dort unverdrossen einen Großteil ihrer 500 Millionen Euro Reklameeinahmen generieren und dafür jedem noch so dumpfen Massengeschmack hinterher hecheln. Das könnte sich nun ändern. Laut Tagesspiegel beraten die Ministerpräsidenten im Juni angesichts steigender Gebühreneinnahmen über die Einschränkung der Werbung und das ist ja mal eine Nachricht, die der staatvertraglichen Idee eines unabhängigen, sachorientierten, auch unterhaltsamen, vor allem aber enthaltsamen Fernsehens jenseits kommerzieller Interessen zugute käme.
Deutsches Fernsehen ohne Kommissare
Könnte man meinen. Dummerweise würde dann aber das, was einst als GEZ-Gebühr verunglimpft wurde, ungefähr ums Dreifache jener 48 Cent steigen, die sie ab April eigentlich sinken sollte. Es ist halt kompliziert mit dem Anspruch an informationelle Grundversorgung zur moderaten Preisen ohne Jingle-Generve und sonstige Beeinträchtigungen abseits des reinen Sehvergnügens. Wobei jene Summen, um die es hier geht, natürlich nichts sind (um nicht Peanuts zu sagen), verglichen mit jenen sieben Milliarden Euro für Übertragungsrechte, mit denen die englische Premier League bis 2017 gemästet wird.
Vergleichsweise viel Geld nimmt mittlerweile aber auch das ZDF in die Hand, wenn es um die Verfilmung der Bestseller des Strafverteidigers Ferdinand von Schirach geht. Nach „Verbrechen“ wird ab Freitag (21.15 Uhr) nun „Schuld“ verhandelt, mit Moritz Bleibtreu als konturlosem, aber eindrücklichem Anwalt von Mandanten wie Devid Striesow, der zum Auftakt des Sechsteilers seinen Nebenbuhler erschlägt und auf bizarre Weise der lebenslangen Haft entgeht. So fantastisch kann deutsches Fernsehen also auch ohne Kommissare sein, wenn es sich traut, ein wenig mit vermeintlichen Sehgewohnheiten zu experimentieren, ohne gleich durchzudrehen.
Ein lebenssattes Kammerspiel
Auf diese Weise gerät auch der ARD-Filmmittwoch zum außergewöhnlichen Erlebnis. Das zeitzeugengarnierte Doku-Drama „Meine Tochter Anne Frank“ schildert die letzten Tage des weltweit berühmtesten NS-Opfers nicht als süffiges Tränendrüsendrama, sondern lebenssattes Kammerspiel in jenem Amsterdamer Holzverschlag, wo Anne Frank ihr berühmtes Tagebuch verfasst hat. Der verblüffenden Nachwuchsschauspielerin Mala Emde fliegen beim Schreiben reale Gedanken als psychedelische Bilder um die Ohren, dass einem beim Zusehen der Kopf schwirrt – vor Anteilnahme, vor Staunen. Im Grunde müsste Raymond Leys Film also Pflichtprogramm jener 58 Prozent sein, die einen Schlussstrich unter den Holocaust ziehen wollen.
Wahlweise könnte man Montag (22.10 Uhr, Pro7) aber auch Oli „Schulz in the Box“ statt nach Katmandu zu den Ewiggestrigen aller Altersstufen schicken, um zu erkunden, woher so viel Ignoranz bloß rührt. Oder den Gonzo-Journalisten von Wilmsdorff keinem Stresstest unterziehen, womit er eine Stunde zuvor auf RTL die dritte Staffel des ansehnlichen „Jenke-Experiment“ eröffnet, sondern auf Zeit mit so viel Dummheit füttern, dass auch er probehalber rechtsradikalem Gedankengut verfällt. Doch weil das den geistig Armen dieser Welt wahrscheinlich auch keine Weisheit einbimst, sedieren wir uns lieber selber. Mit der holländischen Krimigroteske „Black Out“ um einen Ex-Gangster zum Beispiel, den kurz vor der Hochzeit die kriminelle Vergangenheit einholt (Montag, 22.15 Uhr, ZDF), was trotz des deutschen Deppentitels „Killer, Koks und wilde Bräute“ auf dem Niveau des Genre-Berserkers Guy Ritchie abläuft. Und somit in etwa die Güte des „Tatortreinigers“ erreicht, den sich die ARD am Montag ab 22.45 Uhr bequemt, drei Folgen am Stück im Ersten zu wiederholen. Anlass zur Vorfreude bietet gewiss auch das neue „Tatort“-Team Margarita Broich und Wolfram Koch, das nach dem Gesetz der Serie so brillant sein müsste wie zuletzt jedes hessische Ermittlerduo.
Tipps der Woche
Also ähnlich sehenswert wie die „Tipps der Woche“: In Schwarzweiß „Die Faust im Nacken“ (Freitag, 22.15 Uhr, ServusTV), mit dem Marlon Brando als Gewerkschafter 1954 den „Neuen Realismus“ des amerikanischen Kinos gebar. Und in Farbe, als Doublefeature zur Medien-Verblödung, Montag ab 20.15 Uhr im BR: Erst „Herr Ober!“ von/mit Gerhard Polt (1991), dann „Kein Pardon“ von 1993 von/mit Hape Kerkeling.
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