Jan Freitag hat sich durch den Fernsehdschungel dieser Woche gekämpft und dabei stumpf erkaufte Aufmerksamkeit im Adventsprogramm gefunden.
Und Wagemut lohnt sich doch, selbst wenn er nicht allen gefällt: Beim Fernsehfilm-Festival Baden-Baden bekam der grandiose „Tatort: Im Schmerz geboren“ vorige Woche den Preis der Jury und 3sat-Zuschauer. Die Begründung allerdings hinterlässt dann doch einen schalen Beigeschmack: Ulrich Tukur als Racheobjekt des grundbösen Ullrich Matthes sei etwas, „das man nie vergisst“. Einprägsamkeit als Auszeichnungsbasis – da hätte es früher wohl etwas mehr bedurft. Relevanz, Aussage, solche Sachen. So steht der Verdacht im Raum, das theatralische Gemetzel sei preiswürdig, weil er mal was anderes bietet als Hausmannskost.
Weshalb wir kurz über den großen Teich schalten. In New York nämlich gewann der zugegeben grandiose Dreiteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“ am Montag den Emmy, immerhin die weltweit bedeutendste TV-Trophäe, Kategorie Miniserie. Nur ist es trotz aller Güte eben doch so, dass Teamworx sein Langzeitprojekt zu irgendwas mit Hitler gemacht hat, was heimischen Produktionen nach wie vor maximale Aufmerksamkeit garantiert.
Geben und Nehmen im Adventsprogramm
Aber gut. Man kann sich Aufmerksamkeit auch stumpfer erkaufen. Mit Übertragungen von großmotorigen Autorennen zum Beispiel. RTL hat damit in den vergangenen zwei Jahrzehnten regelmäßig Rekordquoten geholt, zu Schumis Zeit mehr als zehn Millionen Zuschauer. Die aktuelle Saison nun schloss trotz des Finales mit deutscher Beteiligung nicht mal halb so hoch ab. Das könnte man als Läuterungsprozess eines benzinsüchtigen Volkes von Rasern werten, denen die debile Kreisfahrt langsam auf den umweltbewussten Wecker geht. Wahrscheinlich aber es aber profanere Gründe, Programmfragmentierung und Internet etwa. Vielleicht hat „Bild“ aber auch einfach nicht genug Reklame gemacht für seinen geistesverwandten Geschäftspartner RTL.
Aber um die Freundschaft wieder zu vertiefen, könnte Günther Jauch ja zunächst mal Kai Diekmann am Sonntag zum RTL-Jahresrückblick mit dem akademischen Titel „Menschen Bilder, Emotionen“ laden. Falls der Boulevard-Berserker da nicht schon neben den Hitzlspergers, Dietls, Campinos auf der Couch von Markus Lanz sitzt, der 2014 bereits zwei Tage zuvor zur besten Sendezeit bilanziert. Zumal das ZDF am Samstag drei Stunden lang Werbung macht fürs Ballermannblatt, wenn es dessen Kampagne „Ein Herz für Kinder“ wie jedes Jahr zum Anlass nimmt, sich ans „Bild“-Publikum zu wanzen. Ach es ist ein einziges Geben und Nehmen im Adventsprogramm.
Gegeben wird dem Publikum zum Beispiel viel Wissenswertes, wenn 3sat seinen 30. Geburtstag Montag und Dienstag jeweils ab sechs in der Früh mit ganztägigen Schwerpunkten zum Thema Wissenschaft feiert, wo wir von der Relativitätstheorie bis zur Nahrung („We Feed the World“, Dienstag, 20.15 Uhr) mehr von der Welt erfahren, als uns manchmal lieb sein dürfte.
Gegeben wird dem Publikum obendrein die deprimierend faszinierende Arte-Doku „Kill Zone“, in der Helmar Büchel am Dienstag (20.17 Uhr) dem Waffenwahn Amerikas auf den Grund geht. Oder tags zuvor fünf nach Mitternacht Christina Schiewes Spielfilm „Be My Baby“ über eine Frau mit Down-Syndrom. Zum Auftakt der ZDF-Reihe „Barrierefrei“ erfährt diese Nicole viel klebrige Toleranz, bis sie die Normbürger mit ihrer Schwangerschaft schockt. Und geben tut am ARD-Filmmittwoch auch der Kabarettist Uwe Steimle, wenn er nach realem Vorbild Anfang der Siebziger „Sushi in Suhl“ rollt, was überaus kurzweilig ist.
Kostbare Lebenszeit
Womit wir beim Nehmen wären. Obwohl dieser Actionblödsinn oberflächlich unterhaltsam sein mag, stiehlt Henning Baum den Zuschauern als „Götz von Berlichingen“ Donnerstag auf RTL wertvolle Lebenszeit. Gleiches tut ab Dienstag bis kurz vor den ersten Krokussen wieder Biathlon. Und ob Maria Furtwängler nach zwei Jahren Pause als Kommissarin Lindholm mit neuer Assistentin (Bibiana Beglau) am „Tatort“ Niedersachen gibt oder nimmt, wird sicher heiß diskutiert. Das Thema Massentierhaltung ist jedenfalls gewohnt zeitgemäß.
Ganz anders als Margarete von Trottas Meisterwerk „Hannah Arendt“ im Anschluss im Ersten, mit Barbara Sukowa als brillante Philosophin. Ganz anders auch als die „Tipps der Woche“, in denen es ein paar Jahre rückwärts geht. Heute Schwarzweiß in Wolfgang Petersens Schwulendrama „Die Konsequenz“ (EinsFestival, 20.15 Uhr), aus der sich Bayerns Rundfunk 1977 natürlich ausklinkte, als Jürgen Prochnow darin erstmals am Bildschirm einen Mann küsste. Anschließend in Farbe: „Good Will Hunting“ (3sat) mit Matt Damon als kompliziertes Mathegenie von 1997, der so gut ist, dass man es sogar synchronisiert erträgt.
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