Jan Freitag hat sich durch den Fernsehdschungel dieser Woche gekämpft und dabei Moderationskarikaturen und die frühmorgendliche Primetime gefunden.
Keiner – also gut: keiner ohne Vertrag mit RTL, hat dem Sonntag vor acht Tagen eine Chance gegeben. Vor der ersten Privatübertragung eines deutschen EM-Qualifikationsspiels ahnte jeder: Das wird schlimm. Und siehe: es wurde schlimmer. Nach Aussagen aller, die die vollen sieben Stunden erduldet haben, war es: zu bunt, laut, banal, distanzlos, werbesatt, sinnlos, blöd, ergo: zu RTL.
Jens Lehmann und Florian König waren Moderationskarikaturen. Und Teile des Interviews mit Jogi Löw liefen zeitversetzt. Ein Desaster. Was das Publikum aber nicht hinderte, RTL eine bessere Quote als dem parallel laufenden „Tatort“ zu bescheren. Gut, es war der Schweizer, und magere drei Millionen Zuschauer mehr zeigen, dass RTL weder ein Fernseh- noch ein Sport-, geschweige denn Fußballsender ist. Entsprechend stank ein tagelanger Shitstorm, der den Verdacht nahelegt, dass RTL die Deutschen eher vom der Nationalmannschaft entfremdet als neue Kunden zu gewinnen. Die dürften ohne weiter in Scharen abwandern, wenn der Streaming-Dienst Netflix diese Woche ins Netz geht. Ohne „House of Cards“ zwar, aber mit der „Sendung mit der Maus“.
Primetime um 1 Uhr früh
Ohne Blacky Fuchsberger muss das Fernsehen schon lang auskommen. Dennoch vergrößert sein Tod am Donnerstag den Riss im kollektiven Gedächtnis. Zu seiner Glanzzeit hatte das Fernsehen ja noch Relevanz und Größe – etwa wie der „Spiegel“, der ab 2015 samstags erscheint. Warum das hier erwähnt wird? Weil der „Focus“ nachzieht. Natürlich nicht wegen der Hamburger Konkurrenz, macht BurdaNews-Chef Burkhard Graßmann unglaubhaft. Weil es den „Gewohnheiten unserer Leser entgegen“ komme. Stimmt, die freuen sich dann nämlich auf zwei Tage RTL und Saufen, Inhalte stören da nur.
Inhalte jedenfalls, wie jene, mit der das ZDF zeigt, was öffentlich-rechtliches Fernsehen ausmacht: „Abschied von den Fröschen“ ist exquisite Unterhaltung, läuft aber Dienstagfrüh um 1:00. In Worten: ein Uhr. Diese Anstoßzeit hat das bewegende Porträt des gefeierten Berliner Filmemachers Ulrich Schamoni, der sein Leben bis zum Krebstod 1998 gefilmt hat, echt nicht verdient. Im Gegensatz zum royalen Mumpitz „Prinz Harry – der wilde Windsor“. Doch für Blaublutbäder reserviert das Zweite liebend gern die morgige Primetime.
Anspruchsvoller werden darf es wieder nach Mitternacht, wenn auf gleichem Kanal das aufwühlende Drama „The Help“ über eine junge Reporterin läuft, die 1963 den rassistischen Alltag Mississippis in einem Buch beschreiben will – und auf rüden Widerstand stößt. Das dürften also ein paar weniger sehen als tags drauf den Auftakt der Bayern in die Champions League 2014/15, wofür das ZDF Millionen verpulvert, die Sat1 auch nicht schlechter verpulvert hätte. Und es ist kaum zu erwarten, dass die Quote von etwas Besonderem parallel auf EinsPlus verglichen damit messbar wird: Um 20.15 Uhr zeigt EinsPlus die Doku „Soundwave2Berlin“, das Ergebnis eines Segeltörns durch 40 Länder, auf dem die Österreicher Hannes Koch und Benni Schaschek Töne für ein beispielloses Album gesammelt haben.
Riesenklötze im Wohngebiet
Bilder hat dagegen Fatih Akin gesammelt, im türkischen Dorf seiner Großeltern. Dessen Kampf gegen eine riesige Deponie hat der Regisseur sechs Jahre begleitet; das Ergebnis „Müll im Garten Eden“ zeigt der NDR heute um 23.15 Uhr. Ebenfalls ein Experte für Müll, allerdings als Verursacher, ist Lakshmi Mittal, der es zum reichsten Inder ever gebracht hat. Dienstag (20.15 Uhr) zeigt Arte „Die Schattenseiten des Stahlmagnaten“ und damit, dass man Kapitalismus ruhig kritisieren darf. Das muss jetzt nur noch RTL erfahren, wo drei Stunden später zwar immerhin mal eine ernstgemeinte Reportage läuft. Dabei kümmert sich „Baust du noch?“ jedoch weniger um all die Proteste gegen das erste innerstädtische Ikea in Hamburg, sondern staunt lieber darüber, was man doch für Riesenklötze mitten ins Wohngebiet bauen kann. RTL lernt es eben nie.
Im Gegensatz zur ARD. Deren Schnulzenfabrik Degeto hat sich nämlich dahingehend reformiert, dass der Freitagabend nicht mehr grundsätzlich seifig ist, sondern manchmal richtig gelungen. Der „Seitensprung“ etwa, den Claudia Michelsen als Mutter und Managerin ihrem untreuen Mann verzeiht, sorgt für ein Patchworkkonzept, das ziemlich sehenswert erzählt wird. Was direkt zum „Tipp der Woche“ führt, Dienstag um 22 Uhr auf Servus: „Absolute Giganten“, mit dem Sebastian Schipper 1999 nicht nur die dreckigen Seiten Hamburgs schön gefilmt hat, sondern drei Darsteller zu Stars: Frank Giering, Antoine Monot, Florian Lukas. Geil.
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