Jan Freitag hat sich durch den Fernsehdschungel dieser Woche gekämpft und dabei Größenwahn, Humor und eine Dokumentarfilmperle gefunden.
Die Grenze zwischen Wahrheit und Fiktion ist in der modernen Medienwelt immer schwerer zu ziehen. Gerade im Entertainment bedarf es da schon eines genauen Blicks, besser noch dezidierten Hintergrundwissens, um die kleinen Betrügereien von Film und Fernsehen zu erkennen. Falsche Realität verkleidet sich hinter wackelnden Kameras zuweilen so geschickt als Mockumentary, dass bis heute viele an die Hexe in „Blair Witch Project“ glauben. Privatsender geben sich mit ihrer Scripted Reality weit weniger Mühe glaubhaft zu wirken, täuschen aber dennoch Millionen ihrer naiveren Zuschauer. Und dass dies selbst mit dem abgebrühten Stammpublikum der Öffentlich-Rechtlichen möglich ist, zeigt die Betrügerei bei Kerners „Besten“, die sich nun im NDR wiederholt hat. Vielleicht erklärt das ja die Chuzpe, mit der die „Bunte“ vorige Woche Gottschalks Rückkehr zu Wetten, dass…?“ vermeldete.
Das ist Größenwahn
Am Bemerkenswertesten daran ist aber nicht die Geschwindigkeit, mit der sich dieser Fake im Netz verbreitet hat, sondern dass man dem ZDF solche Rollen rückwärts zutraut. Und er wäre ja auch mit offenen Armen, respektablen Quoten und nicht zuletzt fürstlichem Honorar empfangen worden. Schließlich wird simple TV-Unterhaltsamkeit längst höher dotiert als Nobelpreise, Firmenleitungen, Kanzlerschaften. Dafür lohnt sich ein Blick auf den übersteuerten US-Markt. Dort klopfen die Darsteller der „Big Bang Theory“ grad an die Tür jener Gruppe Serienstars, die eine Million Dollar verdienen. Pro Folge! Das Lebensgehalt eines Arbeiters für 45 Minuten Hintergrundlachervordergrund auch nur in Erwägung zu ziehen, grenzt spürbar an Größenwahn. Einer, der von dem Rupert Murdochs, dessen Übernahmeangebot von 80 Milliarden Dollar Time-Warner abgelehnt hat, nur noch drei, vier Nullen entfernt ist.
Eine andere Form von Größenwahn bildet Mittwoch der ARD-Film „3096 Tage“ ab. Thure Lindhardt spielt darin Wolfgang Prokopil, der seine Allmachtsphantasien an Natascha Kampusch (Antonia Campbell-Hughes) auslebt. Es ist ein düsteres Stück realer Fiktion, die nie auf Tränendrüsen drückt. Schade, dass es erst um 22.45 Uhr läuft. Auch, weil das Erste seine Topsendzeit lieber für die Wiederholung der Ruhrpottkomödie „Das Millionen-Rennen“ mit Axel Prahl als Taubenzüchter freiräumt.
Humor, Humor
Aber es ist auch mal angenehm, wenn der Filmmittwoch einem nicht dauernd Kindesmissbrauch und ähnliche Schläge in die Magengrube verpasst. Andererseits ist die Wetterlage der ARD ja schon an den restlichen Abenden meist wolkig bis heiter. Wie am Montag, wo Marcus H. Rosenmüller sein Gespür für humoristischen Provinzialismus auslebt. In „Wer’s glaubt wird selig“ versucht Gastwirt Georg (Christian Ulmen) seine verstorbene Schwiegermutter (Hannelore Elsner) mit falschen Wundern heiligsprechen zu lassen, damit sein schneefreier Wintersport- als Wallfahrtsort anerkannt wird. Ebenso witzig, nur noch skurriler ist am gleichen Abend „Puppe, Icke & der Dicke“, wo es eine Blinde, ein Stummer und ein Kleinwüchsiger miteinander zu tun kriegen. Das Personal des Roadmovies lässt zwar reichlich Fremdscham befürchten. Doch siehe da: die vielen Preise fürs Regiedebüt von Felix Stienz gab es völlig zu recht.
König Fußball und echte Dokumentarfilmkunst
Schade, dass es dafür vom ZDF eine Sendezeit um 0.30 Uhr gibt. So was könnte König Fußball nie widerfahren – ganz gleich, wie belanglos seine Spiele sind. Der Teufel scheißt daher diese Woche gleich zweimal auf gut gefüllte Haufen, ohne dass es sportlich um irgendwas Bedeutsames ginge: Dienstag beim Uefa-Supercup Madrid gegen Sevilla (ZDF), Mittwoch beim DFB-Supercup Bayern gegen Dortmund (ARD). Ansonsten steht die Woche im Zeichen echt wirklich wichtiger Europameisterschaften: Leichtathletik und Schwimmen. Weniger wichtig ist dagegen das Ringen 15 leidlich bekannter PR-Folien in „Promi Big Brother“, deren Containerbewohner ab Donnerstag keiner mit mehr Intellekt als ein Glas Erdbeerbowle wirklich kennen möchte.
Zum Ausgleich für so viel Stumpfsinn empfiehlt sich eine Perle der Dokumentarfilmkunst – auch weil sie das Dokumentarfilmen selbst zum Thema hat. Montag nach der „Tagesschau“ zeigt 3sat „Deutschland filmt“. Eine zweiteilige Zeitreise durch ost- und westdeutsche Homevideos auf Super8 zwischen Ungarn-Urlaub und Platten-Alltag, die durch unbedingte Authentizität bezaubert. Irgendwie auch authentisch, am Ende aber eben doch Fake wie eingangs erwähnt ist der „Tipp der Woche“, Dienstag um 22 Uhr (BR): „A Hard Days Night“, bei der die Beatles 1964 brüllend komisch ihr Studio suchen, dicht gefolgt von einem schönen Porträt über George Harrison.
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