Jan Freitag hat sich durch den Fernsehdschungel dieser Woche gekämpft und dabei zwischen Fähnchenpatriotismus noch kritische Berichte und gute Filme gefunden.
Wer es mit Nationalismus oder seiner gelasseneren Version Patriotismus hält, erlebt bei der WM eine Art Parallelturnier. Auch das findet zwar in Brasilien statt, doch nirgends lassen sich die Überbietungswettbewerbe ausschweifender Vaterlandsliebe besser bestaunen als am Bildschirm. Da werden die Zuschauer Zeugen von Teams, deren Ergriffenheitsgrad beim Absingen der Nationalhymne zwischen Orgasmus und Geburtserlebnis liegt. Da bejubeln im Bierspot schicke Schanzen-Hipster, die man in realen Stadien unter den Bieder- bis Ballermannfans vergebens sucht, deutsche Tore hitziger als Sechser im Lotto. Da werden Staatsgebilde samt ihrer Insignien generell so innig gefeiert, als sei von denen nie was anderes als Frohsinn ausgegangen. Und dabei macht sogar eine Personengruppe, besser: Spezies mit, die berufsbedingt überparteilich sein sollte: Moderatoren.
Nur einen inneren Reichsparteitag vorm Nationalismus
Es ist eine Schande für den Journalismus, wie kritiklos sie unterm Deckmantel der Unterhaltung einen Patriotismus als Information verkaufen, der vom Nationalismus nur einen inneren Reichsparteitag entfernt ist. Und er treibt Blüten wie Katrin Müller-Hohensteins, Hansi Flicks tolle Gesichtsbräune live zu lobpreisen, als stünde sie nicht auf der Gehaltsliste des öffentlich-rechtlichen ZDF, sondern eines Hybrids aus RTL und Bild. So debil der Satz zum Tagesverlauf des Co-Trainers („manchmal auch ein bisschen in die Sonne? Sie haben eine tolle Farbe“) sein mag – er steht stellvertretend für ein Genre, das sich sämtlicher Distanz zum Berichtsgegenstand zusehends entledigt.
Andererseits liefert er einen Grund mehr, sich die Kraft der Worte jener Medien vor Augen zu halten, die Journalismus weiter als solchen betreiben. Worte wie in der SZ-Kolumne „fern gesehen“, die täglich den Irrsinn deutscher Berichterstattung mit Sätzen wie diesem aufs Korn nimmt: Ex-Schiri Urs Meier fordere bei seinen Kurzauftritten zwischen den Olivers Welke & Kahn „in einer Art zeremoniellem Ritual die Einführung von Profi-Schiedsrichtern, das ZDF zeigt den nächsten Film – und schwups ist Meier wieder verschwunden wie eine Marionette“. So geht Informieren mit Unterhaltungswert.
Dass das auch ohne WM geht, scheint dieser Tage aber unvorstellbar. Mittwoch nämlich ereignet sich zwar Außergewöhnliches: es gibt nicht ein einziges Fußballspiel; trotzdem geben sich ARD und ZDF keinerlei Mühe, ihre freie Sendezeit innovativ zu füllen. Das Erste wiederholt auf seinem wichtigsten Spielfilmplatz die muntere, aber biedere Seniorenkomödie „Spätzünder“ mit Jan Josef Liefers als Jan Josef Liefers mit Gitarre. Das Zweite wiederholt JBK auf der Suche nach „Unsere Besten“ als JBK auf der Suche nach „Deutschlands Beste“. Was ähnlich jubelpatriotisch ist wie 2003, als JBK erstmals Beliebtheit mit Güte verwechseln ließ – aber gerade deshalb natürlich ganz gut in die schwarzrotgoldene Fähnchenlaune im Land passt.
Tipps für die fußballfreie Sendezeit
So gesehen muss man den darauf folgenden Tag schon fast als konterrevolutionär einordnen. Dort zeigt die ARD im Rahmen der Filmdebüt-Reihe Charmantes vom Rande der Gesellschaft. Andi Rogenhagens „Ein Tick anders“ präsentiert das Tourette-Syndrom der jungen Eva (Jasna Fritzi Bauer) nicht als arglistigen Feind, sondern komplizierten Freund. Nach Mitternacht beschreibt Dan Tangs „I Phone You“ die Irrungen Wirrungen der Generation Multimediazwang am Beispiel einer Chinesin zwischen Heimat und Berlin, was zwar zuweilen etwas zuckrig ist, aber insgesamt schlüssig.
Alles andere als zuckrig, dafür noch schlüssiger ist dagegen der Auftakt der jahreszeitüblichen ARD-Reihe „SommerKino“. Darin gelingt es Meryl Streep als „Die Eiserne Lady“, Margaret Thatcher privat zu sezieren, ohne das politische Alphatier davor zu vergessen. Dafür gab es zu Recht Streeps dritten Oscar und vom Ersten einen erstaunlich guten Sendeplatz für gute Fiktion. Gutes Sachfernsehen gibt es gewohnt erst später, andernorts oder beides in einem. Zum Beispiel „Krieg der Patente“. Ein hochbrisantes Stück über Sinn und Unsinn des Erfindungsschutzes, leider morgen erst um 22.45 Uhr auf Arte. Oder auch das grandiose Naturschauspiel Operation Eisberg, gleicher Sender, fast gleiche Zeit, bloß am Freitag. Und bevor der Fußballwirbel des Viertelfinals am gleichen Tag alles in den Strudel aus Patriotismus und Freizeit zieht, noch zum „Tipp der Woche“: Stanley Kubricks brillante Nabokovs Romanverfilmung „Lolita“ (Mittwoch, 23.15 Uhr, 3sat) von 1962.
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