Stadtgespräch

Freitags Montag – die Medienkolumne

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Jan Freitag

Freier Journalist und Autor | Blog: http://freitagsmedien.com/ | Schreibt bei Mittendrin über die "Wahnsinnsstadt" Hamburg und den wöchentlichen TV-Dschungel

freitagsmedien_Spukki-2_Seite_1Jan Freitag hat sich durch den Fernsehdschungel dieser Woche gekämpft und dabei tief ins Sommerloch geschaut, wo neben der WM auch viele Highlights fern des runden Leders warten.

Man mag sich gar nicht vorstellen, was die wahrhaft Elenden der Welt angesichts des enormen Aufwands dächten, den weit weniger Elende betreiben, um ihre Karikatur des Elends zu bekämpfen. Was also empfindet wohl ein Flüchtling, dem die medizinische Notversorgung versagt bleibt oder ein Obdachloser, der vorm Einkaufszentrum vertrieben wird angesichts der Hilfsmaschinerie, die hierzulande anläuft, wenn ein Höhlenkletterer in ein tiefes Loch klettert und nicht wieder rauf kann? Damit könnte man glatt ein brasilianisches Urwaldstadion zum Krankenhaus umrüsten. Noch unverhältnismäßiger war da nur, wie selbst seriöse Medien über ein Individuum berichteten, das aus reiner Abenteuerlust in menschenfeindliche Gefilde geklettert und dort verunglückt ist. Oder war es bereits das Sommerloch?

Nein, denn das ist dieser Tage kleiner als sonst. Kaum war allerdings die Auftaktwoche der WM in Gang, zeigte Michael Antwerpes, dass Fußballreporter bei ihren Leisten bleiben sollten, sonst nirgends. Seine Reportage „Tour de Brasil“ war von so beklagenswerter Schlichtheit, dass Favelas darin zu possierlichen Reisezielen wurden, weil die aufmarschierte Polizei darin ja nur Gutes tue, während Drogen und Mord Synonyme zu sein scheinen. Und drohte es doch mal heikel zu werden, baggerte sich der ARD-Mann nach einer Caipi beim Beachvolleyball die Fußballwelt wieder schön. Willkommen zur WM der guten Laune! Und der tollen Quoten.

Das Programm für Fußball-Abstinenzler

Mit 60 Prozent Marktanteil schon zum Eröffnungsspiel, der es gerade den privaten Konkurrenten ungeheuer schwer macht, dem Sog des Fußballs ein Alternativprogramm entgegenzusetzen. Also versuchen sie es gar nicht erst. Frisches Fernsehen mit Anspruch findet somit diese Woche mehr denn je nur öffentlich-rechtlich statt. Natürlich hält man sich auch da mit teuren Erstausstrahlungen zurück, wenn nebenan praktisch alle Zuschauer vom gebührenfinanzierten Volkssport abgegriffen werden. Trotzdem gibt es für Fußball-Abstinenzler durchaus was zu sehen in den kommenden sieben Tagen. Man muss nur genauer hinschauen.

Heute etwa parallel zum deutschen Turnierauftakt in der ARD: eine ZDF-Doku, die sich mit den „Maschen der Wellness-Branche“ (19.25 Uhr) befasst, während der Infokanal des Zweiten um 20.15 Uhr „Das Geschäft mit Halloween“ illustriert und der Kultur-Ableger zeitgleich die grandiosen Mumfort & Sons live aus Colorado zeigt. Und da ist noch nicht mal vom brüllend bissigen Zweiteiler „Aufschneider“ die Rede, in dem der österreichische Kabarettist Josef Hader heute und morgen bei 3sat als verschrobener Pathologe brilliert.

Fiktion der Extraklasse

Mittwoch dagegen, wenn das übliche ARD-Drama vom Spiel Chiles gegen Spanien verdrängt wird, bittet iberische Fiktion der Extraklasse eine Alternative auf Arte. In der vielfach preisgekrönten Komödie des Argentiniers Sebastián Borensztein „Chinese zum Mitnehmen“ fällt nämlich – nach realer Vorlage – eine Kuh aus dem Flugzeug und wirbelt das Leben des Eigenbrötlers Roberto so bizarr durcheinander, dass das Tiki Taka des Weltmeisters zum besseren Bolzplatzkick schrumpft. Gar nicht lustig, aber kaum weniger famos ist demgegenüber die TV-Premiere von „Was bleibt“, Donnerstag ebenfalls auf Arte. Mit Lars Eidinger als Corinna Harfouchs Sohn, lässt Regisseur Bernd Lange eine bürgerliche Familie so feinsinnig und leise implodieren, dass man danach gleich seine Lieben anrufen möchte, um rasch alles auf den Tisch zu packen, was irgendwann mal zum falschen Zeitpunkt herauskommen könnte.

Und dann ist da ja noch das „FilmDebüt im Ersten“, das gleich darauf Aron Lehmanns „Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel“ ins Rennen schickt, wo der Filmemacher von 33 Jahren einen Kollegen gleichen Namens (Robert Gwisdek) mit der Adaption des berühmten Kleist-Stoffs betraut. Es ist die pure Freude zu beobachten, wie das fiktive Projekt von Beginn an in die Hose geht und gerade dabei die volle Kraft der Figuren entfaltet. Wie diese Kraft wirkt, wenn man sie bloß persifliert, kann man Freitag ab 22.20 Uhr (Sat1) drei Stunden lang wunderbar bei „Switch Reloaded“ beobachten. Ähnliche Kraft, nur ohne Persiflage, entwickelt am Sonntag drauf „Bad 25“, wo Regisseur Spike Lee die Popplatte schlechthin zum 25. Jubiläum seziert. Und zwischendurch verleiht der „Tipp der Woche“ dem Begriff Kraft ohnehin eine neue Dimension: „Die Liebenden von Pont Neuf“ von 1991, dem Durchbruch von Juliette Binoche als erblindende Künstlerin, die sich in einen Obdachlosen verliebt.

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