Die Hamburger Morgenpost deckt die Zustände auf der Reeperbahn auf. Mit dieser Handlungsaufforderung an die Ordnungspolitik in der Hansestadt geht sie nicht nur an der eigentlichen Not der Betroffenen, sondern auch an den publizistischen Grundsätzen im Pressekodex vorbei, findet Isabella David.
„Das Säufer-Elend auf der Reeperbahn“ – heißt das selbst gekürte Thema des Tages der Hamburger Morgenpost am Montag. Wieder einmal ist es soweit: Gleich eine Doppelseite mit entsprechender Bebilderung widmet das Boulevard-Blatt dem „Thema“. Die Reeperbahn sei von Obdachlosen geradezu überflutet. Anwohner und Touristen seien entsetzt, die Polizei machtlos. MOPO-Reporter haben sich am Samstagmittag sogar selbst auf den Kiez gewagt, um sich ein Bild davon zu machen, wie die „Verlierer der Gesellschaft“ auf der Reeperbahn „ihren Rausch ausschlafen“.
„Es ist traurig. Das schadet dem Image unseres Stadtteils“, wird eine Anwohnerin zitiert. So schlimm sei es hier noch nie gewesen, betont sie. Enttäuscht sind auch die Touristen, dass die Polizei nichts unternimmt. Die MOPO hat nachgefragt, doch auch der Polizeisprecher habe nur bestätigen können, „dass auf der Straße zu schlafen nun mal keine Straftat, ja noch nicht mal eine Ordnungswidrigkeit sei“. Was für ein Skandal! Da sind die Touristen dann doch ganz froh, auf dem Land zu leben und nicht in einer Großstadt.
Aber halt, da gibt es doch sicher ein paar kreative Ideen, um Herr der Lage zu werden. Eine Ausweitung der Sprinkleranlage auf dem Spielbudenplatz beispielsweise. Damit könnte man die berühmte Reeperbahn doch gleich vollständig sauber und rein spülen. Danach werden die kritischen Bereiche einfach abgesperrt, da können auch gleich die Zaun-Elemente von der Kersten-Miles-Brücke wiederverwertet werden. Zu guter Letzt sollte natürlich regelmäßig kontrolliert werden, wer auf der Reeperbahn sitzt, liegt oder trinkt. Das Sicherheitspersonal der Deutschen Bahn hat ja schon auf dem Hachmannplatz am Hauptbahnhof ihr Fingerspitzengefühl für derartige Sachverhalte bewiesen – mit Sicherheit lässt sich da auch eine Erweiterung des Einsatzgebiets auf den Kiez regeln.
Das sind nicht die Lösungen, die ihr euch vorstellt? Aber genau das sind die ordnungspolitischen Maßnahmen, denen ihr mit dieser Art der Berichterstattung, der pietätlosen Bildauswahl und den anmaßenden Bildunterschriften Raum gebt. Nicht die Zustände auf der Reeperbahn sind skandalös, sondern die Selbstverständlichkeit mit der eine Hamburger Zeitung jeden Obdachlosen mit einem „Säufer“ gleichsetzt und Polizei und Stadt dazu auffordert, gegen die scheinbar unhaltbaren Zustände etwas tun.
Richtig ist: Wir müssen darüber reden, wie es sein kann, dass in unserer Stadt so viele Menschen dazu gezwungen sind, auf der Straße zu leben. Wir müssen darüber sprechen, dass das Winternotprogramm und andere Hilfseinrichtungen völlig überlastet und unterfinanziert sind. Wir müssen darüber reden, wie wir Wohnraum für diese Menschen bereitstellen können – und nicht darüber, wie wir sie vertreiben können, damit wir unserer eigenen Armut nicht ins Gesicht sehen müssen. Gerade als Journalisten sollten wir wissen, dass diese Umstände uns nicht erlauben, Betroffene zu fotografieren, als wären sie Tiere im Zoo. Gerade die publizistischen Grundsätze verlangen von uns, solche Bilder nicht zu drucken und darüber nachzudenken, was wir mit den Worten, die wir schreiben, bewirken.
Titelfoto: „Nils Gaudlitz“ / www.jugendfotos.de, CC-Lizenz(by-nc) http://creativecommons.org/licenses/by-nc/3.0/deed.de
Ralf
2. Juni 2014 at 14:54
Dieser Kommentar trifft den Nagel auf den Kopf. Schön, dass ihr das Thema aufgeriffen habt.
Carlo
2. Juni 2014 at 18:29
Darum kaufe ich die Mopo nicht, sondern bei jeder Gelegenheit Hinz & Kunzt.
Schund ist Zeitverschwendung.
St.Paulianer
1. November 2014 at 05:06
Der Carlos wieder! Hinz&Kunzt zu unterstützen ist allemal in Ordnung.Weiterbilden können Sie sich damit kaum, zumal das Blatt doch sehr regional berichtet! Die Mopo als Schundliteratur zu bezeichnen ist nur dumm! Was ist dann erst die Zeitung mit den 4 Buchstaben? Grüßen Sie Herrn Platzbecker von mir.
Jens
2. Juni 2014 at 20:14
Guter Kommentar! Ich sage nur: BID – Business Improvement District. Wenn wir nicht aufpassen, sieht es hier bald aus wie am Neuen Wall. Wär‘ schade drum…
Alteingesessener
17. August 2014 at 13:58
Die Hinz&Kunzt Leute haben es geschnallt, keine Seilbahn in Hamburg Mitte! So wie 90% der St.Paulianer, der echten, nicht der Zugereisten- oder die Geschäftsinhaber, die nur hier absahnen und sich dann zum schlafen an den Stadtrand verkriechen!