Jan Freitag hat sich durch den Fernsehdschungel dieser Woche gekämpft und neben der Simulation der Wirklichkeit doch noch das wahre Leben gefunden.
Dimensionen achtlos zu vermischen, lehrt uns der Kinofilm „Zurück in die Zukunft“, kann das Raum-Zeit-Kontinuum beschädigen. Der vorige Mittwoch war so gesehen eine Gefahr fürs Gesamtgefüge. Tags drauf sagte der Interviewte Jürgen Klopp im Interview übers Interview mit dem Interviewer Jochen Breyer, „ich gucke diese Interviews nach’m Spielen nicht, weil ich sie jetzt nicht für so wahnsinnig spannend halte“. Wäre er also nicht selber dabei gewesen, hätte der Trainer von Borussia Dortmund gar nicht mitgekriegt, was den Fortbestand unserer Existenz durch die Vermengung dreier Interviewebenen ins Wanken brachte. Nach einem Spiel der Champions League stellte der ZDF-Reporter als Frage getarnt fest, nach dem 0:3 in Madrid sei für Dortmund nun schon im Hinspiel alles durch. „Oder?“
Brasilianer mit kaffeebrauner Haut
„Oder was?!“ antwortete das entgeisterte Gesicht von Klopp, der wütend das Studio hinter sich ließ und den, nun ja, Journalisten nebst Co-Moderator Kahn allein zurück. Doch schon der Freitag zeigte, dass mit dem Kontinuum alles in Ordnung ist. Da präsentierten ARD und ZDF mit Alsterblick ihr WM-Konzept – und alle waren wieder in Hamburg: Beckmann, Scholl und Réthy, Intendanten, Chefredakteure oder Promisidekicks. Dabei war erneut bemerkenswert, wie man sich zu überdrehten Videoclips und überall Selbstlob feierte, wofür auch 2014 Gebührenmillionen rausgeblasen werden: Friede, Freude, Public Viewing, selten durchbrochen von Misstönen aus den Favelas, bebildert mit zwei, drei üblichen Klischees solcher TV-Events. Diesmal: Zuckerhut samt Jesus und superduperfröhliche Brasilianer mit kaffeebrauner Haut.
Simulation der Wirklichkeit
Weniger froh, dafür bleicher sind da jene Deutschen, die das private Begleitprogramm füllen. Wie die Landesrundfunkanstalten berichten, füllen die Kommerzkanäle ihren Tag zusehends mit gescriptetem Reality-TV. Allen voran RTL mit 32,7 %, noch überboten von der Schwester Vox, die ihr Publikum mehr als zur Hälfte mit der Simulation von Wirklichkeit betrügt. Dann doch lieber weiter „Wetten, dass…?“ mit Markus Lanz, der Samstag seine beste Sendung ablieferte und im Konfettiregen – padautz – das Ende von „Wetten, dass…?“ zum Jahresende ankündigte. Experiment gescheitert.
So wie das des RTL-Reporters Jenke. Es mag zwar seine Höhen haben, wenn er sich Selbsttests im Kiffen unterzieht, was journalistisch von Wert war, weil es keine reale Situation simulierte, sondern schuf. Sich wie heute Augen und Ohren versiegeln zu lassen, ist hingegen bloß das selbstgerechte Surragat echter Reportagen, die sich lieber mit Subjekten befassen als sie nachzuäffen. Am Ende liefert der Kölner Krawallkanal eben doch nur ewigen Karneval.
Highlights der Woche
Dem setzen die Öffentlich-Rechtlichen zum Glück wahres Leben entgegen – selbst dann, wenn es fiktional zugeht. Mit der heutigen ARD-Doku „Wer seine Kinder liebt, der züchtigt sie“, wo es ab 23.30 Uhr um die Tradition prügelnder Erziehung geht, ebenso wie im Berlinale-Film „Barbara“ (Mittwoch auf Arte), wo Nina Hoss aufs Neue belegt, wie reduziert man DDR-Historie spürbar machen kann. Mit einer Themenwoche zur Intelligenz, der 3sat erstaunliche Themen wie „Dumm geboren und nichts dazugelernt“ (Donnerstag) und „Affen – einfach genial“ (Freitag) hinzufügt, ebenso wie mit Lisa Wagner als „Kommissarin Heller“, die dem ausgelaugten Genre am neuen Krimisamstag im Zweiten tatsächlich neue Seiten abgewinnt.
Irgendwo zwischen Realität und Inszenierung liegen zwei Spartenkanaltalks, die weit mehr Aufmerksamkeit verdienen, als sie kriegen. Morgen um 23.04 Uhr übernimmt der Nachwuchsmoderator Ingmar Stadelmann das gesendete Eins-Plus-Radio „LateLine Live“ von Jan Böhmermann und braucht dabei nur einen Bruchteil des Potenzials seines Vorgängers, um besser zu sein als diverse Großtalker. An alter Stelle ganz neu ist die wunderbare „Sarah Kuttner plus zwei“ bei ZDFneo zu sehen, zum Auftakt am Donnerstag mit Hannelore Elsner und dem Sänger Bosse.
Kaum zu glauben, dass Fernsehen noch besser sein kann. Geht aber. Samstag wiederholt Arte den ganzen Tag das dokumentarische Feuerwerk „24 Stunden Berlin“, nur aus Jerusalem. Bei so viel Güte kann man ruhig mal gönnerhaft den Mantel des Schweigens um die Masche der ARD legen, den Ballermannsendern mit Daniela Katzenberger in der Hauptrolle des Mundartkrimis „Frauchen und die Deiwelsmilch“ Zuschauer abzuluchsen – und ganz entspannt auf zwei Besonderheiten hinweisen. Den Start des Frauensenders TLC am Donnerstag, der witzigerweise vom gleichen Network erstellt wird wie DMAX. Und den „Tipp der Woche“, Montag auf Arte: „Die Verachtung“, eine Satire aufs Filmgeschäft von 1963 mit Brigitte Bardot und Michel Piccoli.
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