Stadtgespräch

„Stadtteile wie Kirchdorf haben ein Stigma“

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Marvin Mertens
@MarvMertens

Ressortleitung Stadtgespräch | Kontakt: mertens@hh-mittendrin.de

Am Rande Wilhelmsburgs, am Rande des Bezirkes Mitte liegt das Freizeithaus Kirchdorf-Süd. Barbara Kopf leitet die Einrichtung seit 20 Jahren mit viel Leidenschaft und Herzblut. Mit Mittendrin hat sie über ihre Arbeit und ihren Stadtteil gesprochen.

Kirchdorf-Süd, ich steige aus dem Bus. Hochhausschluchten verschlucken das Sonnenlicht. Dann plötzlich rechts eine Kleingartenkolonie, links weite Wiesen. Irgendwo weiter hinten ist der Deich zu erkennen. Ist das noch Hamburg-Mitte? Ja, ist es. Direkt vor mir liegt das Freizeithaus. Die Tür geht auf, eine Frau strahlt mich an. „Hallo, ich bin Barbara. Komm rein“, sagt sie. „Du kannst ruhig Du sagen.“

Barbara Kopf leitet das Freizeithaus, seit es 1994 eröffnet wurde. Vorher studierte sie Soziologie in Münster und Wien. Mittlerweile wohnt sie in Kirchdorf, zuvor auch schon in Kirchdorf-Süd. „Hier habe ich alles“, sagt Kopf. „Arbeit, Freizeit, Leben, all das ist hier verbunden.“ Als Koordinatorin ist sie für die Angebote des Freizeithauses und die Netzwerkarbeit zuständig. „Wir haben verschiedene Kurse und Seminare im Programm“, sagt Barbara Kopf. „Die werden aber alle von externen Kursleitern abgehalten.“ Etwa 100 Kurse werden im Freizeithaus pro Jahr angeboten. „Wir erweitern das Angebot ständig.“

Barbara Kopf engagiert sich für „ihren“ Stadtteil

Doch das Freizeithaus ist nicht Barbara Kopfs einzige Baustelle. Sie engagiert sich zudem im Verein „Zukunft Elbinsel“ und anderen Wilhelmsburger Initiativen und ist politisch interessiert. Vor allem, wenn es um „ihren“ Stadtteil geht. „Es gibt ein Stigma für Stadtteile wie Kirchdorf-Süd“, sagt sie. „Kriminalität, Drogenhandel, Gewalt“, nennt sie einige der Schlagworte, die oft im Zusammenhang mit Wilhelmsburg und auch mit Kirchdorf-Süd fallen.

Die Freizeithauschefin weiß, dass das Wenigste davon zutrifft. „Wer den Stadtteil nicht kennt, der denkt, er wird hier am helllichten Tag ausgeraubt. Das ist schlichtweg falsch“, sagt Barbara Kopf. „Hier ist es eigentlich sehr ruhig.“ Im Reiherstiegviertel gehe es deutlich heißer her. Doch in Kirchdof sei das anders. „Deshalb möchte ich die Menschen hier im Stadtteil politisieren“, sagt sie. „Sie müssen raus aus der Opferrolle. Ich möchte Kirchdorf entstigmatisieren.“ Ein ehrgeiziges Ziel.

Die Menschen identifizieren sich stark mit Kirchdorf

Aber die 53-Jährige ist eine resolute Frau und ihre Idee ist simpel: „Wenn mehr über Kirchdorf-Süd, über die Probleme aber auch über die Chancen des Stadtteils an die Öffentlichkeit getragen wird, verändert sich vielleicht auch das Bild, das die Menschen von Kirchdorf haben“, sagt sie. „Hier leben Menschen so vieler Kulturen, so vieler Nationalitäten gemeinsam. Und das über Generationen hinweg.“ Auch die jungen Leute würden ganz bewusst im Stadtteil bleiben. „Hier haben sie ihre Familien, die Mieten sind nicht so hoch und die Menschen identifizieren sich sehr stark mit Kirchdorf“, sagt Barbara Kopf.

Sie selbst kommt aus dem Arbeitermilieu. Ihre Mutter stammt aus dem Ruhrgebiet, ihr Vater aus Soost. Dort ist sie auch aufgewachsen. „Deshalb fühle ich mich hier in Süd wahrscheinlich auch so wohl“, sagt sie. „Hier habe ich zum einen das Ländliche und zum anderen ist Wilhelmsburg natürlich eher ein Arbeiterviertel.“ Sie lächelt. Mir wird klar, wenn sich jemand mit Kirchdorf identifizieren kann, dann ist es Barbara Kopf. Wenn sie über Wilhelmsburg, das Leben und vor allem die Menschen des Stadtteils spricht, sprudeln die Worte nur so aus ihr heraus.

Die Partyraumvermietung ist ein finanzielles Standbein der Einrichtung

„Ich wollte dir ja etwas über das Freizeithaus erzählen“, sagt sie und lacht. „Komm, ich führ dich rum.“ Das Haus wurde mit Naturmaterialien gebaut, hat ein Grasdach. „Also“, sagt Barbara Kopf, „wir haben zwei Räume im Erdgeschoss, die wir unter der Woche für Seminare und Workshops vermieten. Der eine ist 40 Quadratmeter groß, der andere 70. Den kann man aber auf 100 Quadratmeter erweitern. Am Wochenende können sie als Partyräume angemietet werden.“ Die Partyraumvermietung sei eines der finanziellen Standbeine des Freizeithauses. „Wir sind so gut wie jedes Wochenende ausgebucht“, sagt sie.

Und wer feiert hier? „Eigentlich alle“, sagt Kopf. „Das hier ist eben ein Freizeithaus für die Menschen in Kirchdorf-Süd.“ Deshalb kommen die meisten Kursleiter und auch die meisten Teilnehmer aus dem Stadtteil. Die Kurse reichen von Yoga, Meditation und Englischkursen für ältere Menschen über Filzen und Zauberharfe spielen bis hin zu Line-Dance, Gymnastik und Kindertanz. „Außerdem haben wir zum Beispiel einmal im Moment den Tauschring Wilhelmsburg hier. Dann ist es immer richtig voll“, sagt Barbara Kopf. Auch Puppentheater für Kinder steht auf dem Programm. Außerdem werden mit drei gebürtigen Wilhelmsburgern thematische Touren durch den Stadtteilangeboten, zu Fuß oder mit dem Rad. „Dieses Angebot wird allem auch von Menschen aus anderen Stadtteilen oder von außerhalb Hamburgs genutzt“, sagt Kopf.

„Hier findet eben jeder etwas“

Im vergangenen Jahr, dem IBA- und igs-Jahr, wie sie es nennt, habe es hier einen Einbruch gegeben. „Das lag an den IBA-Touren. Die sind zum Teil unsere Routen gefahren. Aber in diesem Jahr hoffen wir, dass die Touren wieder besser angenommen werden.“ 50 verschiedene Routen hat das Team im Angebot. Auch mit dem Bus geht es über die Elbinsel. Zwischen sechs und zehn Euro kostet eine Tour, je nach Geldbeutel. „Hier findet eben jeder etwas“, sagt Barbara Kopf.

Finanziert wird die Einrichtung vom Bezirk Hamburg-Mitte. „Momentan haben wir eine feste Stelle, meine. Das sind 33 Stunden in der Woche. Außer Rainer Anz, unserem Hausmeister arbeiten alle anderen ehrenamtlich“, sagt Barbara Kopf. „Bettina Gotfredsen kümmert sich um die Reinigung und die Vermietung der Räume.“ Auch sie ist seit 1994 dabei. im Sommer feiert das Freizeithaus sein 20-jähriges Bestehen. Zeit über das zu reden, was kommen soll. „Für die Zukunft wünsche ich mir vor allem eine weitere Stelle für das Freizeithaus“, sagt Barbara Kopf. Dafür müsse allerdings viel Überzeugungsarbeit beim Bezirk und den Wohnungsunternehmen geleistet werden. Für eine Frau wie Barbara Kopf sollte dies jedoch kein Problem sein.

Die Kursangebote und Veranstaltungen des Freizeithauses Kirchdorf-Süd sind auf der Website zu finden. Dort führt auch ein Link zu den Wilhelmsburg-Touren.

Foto: Marvin Mertens

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