Black Metal für Menschen, die kein Black Metal mögen: Das sind Bands wie Deafheaven oder Myrkur. Justus Ledig nahm deren Gigs ganz unterschiedlich wahr.
Das Publikum ist wie erwartet keine ganz typische Metal-Meute an diesem Dienstagabend. Wenn eine Band ein “Post” in der Stilbezeichnung trägt, zieht dies fast automatisch einige Menschen an, die schon optisch die Genre-Grenzen sprengen. Ein bisschen Indie-Klamotte, ein paar mehr Mützen und Brillen, das soll gewiss nichts Schlechtes sein. Nein, es ist angenehm, wenn Metal seine Kreise erweitert und nicht bloß im eigenen Saft schmort.
Erst gegen 21 Uhr soll es losgehen. Myrkur stehen zuerst auf der Bühne im Uebel & Gefährlich, das noch nicht ganz voll ist. Mit Amalie Bruuns elfenhafter Stimme zu eigener Pianobegleitung beginnt der musikalische Abend. Aus puristischen Black-Metal-Kreisen schlägt der dänischstämmigen Amerikanerin, die ihr kreatives Schaffen bislang in Mode und Singer-/Songwriter-Musik auslebte, viel Ablehnung entgegen. Viele Szeneangehörige nehmen Myrkur nicht ernst, Machismo spielt gewiss eine Rolle, zweifellos bedient sich Bruun durchaus deutlich großer Vorbilder wie Ulver. Kritische Stimmen hinter vorgehaltener Hand sind auch vereinzelt im Publikum zu vernehmen.
Ein weiblicher Waldgeist und seine Band
Gewiss werden Myrkur mit ihren Auftritten nicht alle Hater verstummen lassen. Der sphärische Sound mit der überwiegend klaren, hall-geschwängerten Stimme von Amalie Bruun geht allerdings unter die Haut. Sicherlich gewinnt die Band vor allem beim Songwriting keine Innovationspreise, doch der Kontrast von kaltem, rohem und doch melodischem Black Metal mit den beeindruckenden Vocals der Frontfrau ist ein offenes Ohr wert. Und Myrkur lassen ihren Sound sprechen, übertriebene Show spart man sich. Auch Ansagen gibt es von Bruun kaum. Vielleicht wäre etwas weniger Hall und etwas mehr Druck auf den seltenen Growl-Gesängen noch der richtige Feinschliff. Insgesamt aber lösen Myrkur die Erwartungen durchaus ein. Das Bathory-Cover “Song to Hall Up High”, allein von Piano und Stimme dargeboten, ziert den Abschluss des Gigs.
Das Uebel & Gefährlich hat sich zu Deafheaven, dem Haupt-Act, weiter gefüllt – ohne, dass es unangenehm wäre. Nur die Luftqualität lässt etwas zu wünschen übrig. Dass es warm ist, wird auch Sänger George Clarke zu spüren bekommen! Der Frontmann der Kalifornier tut bald selbst genug dazu, dass er massiv ins Schwitzen kommt. Grundgütiger, hat man jemals einen Protagonisten solcher Musik derartig bewegungsfreudig gesehen? Wie auf Speed zeichnet Clarke jeden Takt, jeden Trommelschlag mit dem ganzen Körper nach, einem Dirigenten gleich. Das ist ein seltsames Bild, das nicht wirklich zu der melancholischen, verträumten Musik passt, die Deafheaven so spielen.
Wovon die da bloß singen?
Die Instrumentalisten hingegen gehen voller entrückter Hingabe auf in dem Crossover aus Shoegaze und Black Metal, der auch gerne als “Blackgaze” beschrieben wird. Die gefühlvollen Gitarrenriffs jagen auch dem Publikum wohlige Schauer über den Rücken. Auffällig: Headbanger sind an diesem Abend absolute Ausnahme. Vielmehr schwelgen die Hamburger ebenso wie Bass und Gitarren in dem effektvollen Sound, den Deafheaven auf der Bühne zelebrieren. Drummer Daniel Tracy arbeitet derweil hochkonzentriert an der Schießbude und lässt sich ebenfalls durch nichts aus der Ruhe bringen.
Wenn da nur nicht das Herumgehampel des Frontmannes wäre! Ja, man muss es sagen, das nimmt der kunstvollen Musik von Deafheaven einiges von ihrem Zauber. Vielleicht erschließt sich die Performance all jenen, die sich in den Texten der Amerikaner auskennen? Zu verstehen ist davon aufgrund des eigenwilligen Gefauches von George Clarke kein einziges Wort, nicht mal als geübter Extreme-Metal-Hörer. Schade, das gefällt auf Platte doch ein Stück besser.
So bleiben Myrkur an diesem Abend die Gewinner, denn ihnen gelingt es weit besser, ein Gesamtkunstwerk auf die Bühne zu bringen. Deafheaven, zweifellos eine bemerkenswerte Band, die zurecht Hörer weit jenseits der Black-Metal-Szene erschlossen haben, könnten ihre Musik mit einem anderen Darbietungsansatz vielleicht noch besser in Szene setzen.
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