Jan Freitag hat sich durch den Mediendschungel der Woche gekämpft und eine todernste, saulustige Studie eines akuten Notstands gefunden.
Die gute alte, angeblich goldene Zeit des Fernsehens – ob sie so gut wie alt, geschweige denn golden war, wird man erst mit mehr Abstand zur angeblich unguten neuen, also blechernen Zeit beurteilen können. Tatsache ist, dass die ältere Zeit mit jedem Abschied einer prägenden Figur von früher tatsächlich alt, aber eben auch ein bisschen goldener erscheint. Wer sich heute zum Beispiel auf Youtube „Am laufenden Band“ ansieht, überdenkt womöglich ein paar Hymnen auf den guten alten Rudi Carrell. Aber verglichen mit JBK? Platin! Nun aber ist einer abgetreten, der die goldenste Zeit des Fernsehens nicht geprägt, sondern regiert hat.
Wolfang Rademann.
Seit den analogen 60ern begeistert er sein Volk mit polyglotten Stars (Catarina Valente), volkstümlichen Shows (Peter Alexander), verrückten Paaren (Juhnke/Boettcher), großen Pötten (Traumschiff) und natürlich der Urmutter erfolgreicher Niveauvernichtung des dualen Zeitalters: Die Schwarzwaldklinik. Dafür gab es zweimal die Goldene Kamera, jene Trophäe ohne künstlerische, dafür reichlich symbolische Bedeutung, die auch am Samstag in Hamburg wieder Dinge ausgezeichnet hat, deren Schein weit größer ist als jedes Sein oder wie Gerald Butler und Julianne Moore grad mal Zeit hatten, aus Hollywood anzureisen.
Unter Rademanns Führung wurde selbst unsere digitale Gegenwart mit derart harmloser Unterhaltung entertaint, dass es Abermillionen Zuschauer bis zuletzt nicht störte, wenn Kreuzfahrtschiffe im ewigen Sonnenschein plötzlich von einem ungelernten Ex-Steward gelenkt werden. Jetzt ist Wolfgang Rademann mit 81 Jahren gestorben und die gute alte Zeit langsam lange genug her, um sie durch die schlechte neue Zeit zumindest mal so mittel erscheinen zu lassen.
Schlau, witzig, gelungen
Und was wäre da geeigneter als das Internet, wo noch ein Wagemut existiert, dem die Rademanns schon ewig abgeschworen haben. Online hat das ZDF eine Serie getestet, die am Freitag ins reguläre Nachtprogramm wechselt: „Familie Braun“. Klingt nach dicker Soße mit Sättigungsbeilage, ist aber eine Kurzfilmreihe um zwei Neonazis, denen das sechsjährige Ergebnis eines besoffenen One-Night-Stands vor die Tür gestellt wird. „Ich werd nach Eritrea abgeschoben“, gibt die Mutter der NS-WG mit in die Vaterschaft, lacht „Ausländer raus“ hinterher und zack, haben zwei rechte Reifeverweigerer ein dunkelhäutiges Problem.
Es könnte nun in zweierlei ausarten: strunzblöden Politslapstick oder peinliches Belehrungsfernsehen. Das Ergebnis jedoch liegt so elegant in der Mitte beider Pole, dass achtmal fünf Minuten viel zu kurz sind für die hochpräzise, todernste, saulustige Studie eines akuten Notstands, ohne das Personal bloßzustellen. Nicht Papa Thomas (Edin Hasanovic), der zum Fasching ein Maikäferkostüm aus seiner Hakenkreuzfahne bastelt; nicht sein Mitbewohner (Vincent Krüger), der bei aller Situationskomik aus Frust doch irgendwann wen zusammentritt, und schon gar nicht Lara (Nomie Lana Tucker), die den Faschos mit kindlicher Arglosigkeit das eigene Gedankengut um die Ohren haut. Das ist so schlau, so witzig, so gelungen – kein Wunder, dass es das Zweite erst um 23 Uhr versendet.
Kluges Spiel mit Klischees
Vorher läuft schließlich weiter Programm aus der Rademann-Ära. „Versteckte Kamera“ etwa, ein Abklatsch von „Verstehen Sie Spaß“ mit Promis als Regisseure, in dem das ZDF Samstag zur besten Sendezeit seinen Showmaster-Einkauf Steven Gätjen ins Rennen schickt. Für kreatives Fernsehen muss man daher zu Sky wechseln, wo tags drauf die Martin Scorcese wunderbar nostalgische Schilderung der New Yorker Musikszene anno 1973 „Vinyl“ freigeschaltet wird. Oder zu RTL, das ab Mittwoch (20.15 Uhr) die bizarre Jetset-Exzision „Altes Geld“ von David Schalko zeigt, der schon in „Braunschlag“ gezeigt hat, wie man klug mit Klischees spielt. Eher packend als lustig dürfte Staffel 3 der skandinavischen Krimi-Reihe „Die Brücke“ am Sonntag, 22 Uhr, im ZDF werden. Gut abgehangen, aber bestens in Schuss sind Fox Mulder und Dana Scully, die heute (21.10 Uhr) auf Pro7 nach 14 Jahren Pause die X-Akten aus dem Archiv holen und dabei auf eine menschengemachte Alien-Verschwörung stoßen.
Und damit ab in die Hochkultur. Erst zur Berlinale, deren Eröffnung 3sat am Donnerstag ab 19.20 Uhr volle fünf Stunden wert ist. Dicht gefolgt von 170 Minuten Kurzfilmen, die Arte am Freitag (23.30) vorm zugehörigen Festival in Chermand-Ferrand zeigt. Bisschen länger, aber ebenso sehenswert ist die schwarzweiße „Wiederholung der Woche“ von 1953, „Der Mann aus Alamo“ mit Glenn Ford als Rächer, Kategorie B-Western mit Anspruch (Samstag, 1.30, ZDF). Und in Farbe: „Die durch die Hölle gehen“ von 1978 (Samstag, 22 Uhr, BR), nicht nur wegen Christopher Walken und Robert De Niro der vielleicht beste Vietnam-Film aller Zeiten. Der Doku-Tipp der Woche namens Viva Dada (Sonntag, 17.35 Uhr, Arte) widmet sich hingegen, wie der Titel schon sagt, einem Irrsinn anderer Art: der anarchistischen Kunstbewegung der Weimarer Republik.
Facebook
Twitter
Flattr
Google+
YouTube
Soundcloud
Paypal
Anmelden