Jan Freitag hat sich durch den Mediendschungel der Woche gekämpft und hat den Verdacht – Qualität lohnt sich nicht.
Mit dem Andy, keine Frage, wäre das nicht passiert. Der Andy hatte Schwung, der Andy hat geschunkelt, der Andy war „Musikantenstadl“ pur, von dem sich der Alex und die Franci besser mal ein Scheibchen mehr als das „Stadl“ vor der „Show“ abg‘schnitten hätten. So aber ist die „Stadlshow“ schon nach zwei Ausgaben mausetot und Volksschlager im Fernsehen nur noch Silbereisen und Fischer. Letztere kriegt übrigens bald einen Kanal namens HFK24, was nur oberflächlich ein Scherz der Satireplattform Postillon ist, darunter aber jene Abgründe des Mediums offenbart, in die es zusehends stürzt.
Verschwörungstheoretiker im TV-Abgrund
Zuletzt sind darin ja nicht nur arglose Gutmenschen, um es mal mit dem „Unwort des Jahres“ auszudrücken, wie Andy Borg gelandet, sondern der arg verwirrte wie Xavier Naidoo, dessen Nachfolger beim Vorentscheid zum ESC nun übrigens doch aus mehreren Kandidaten gecastet wird, statt wie zuvor vom zuständigen NDR dekretiert. Im TV-Abgrund landet abgesehen vom singenden Verschwörungstheoretiker aber auch anspruchsvolles Zeugs. „Die Stadt und die Macht“ zum Beispiel, eine Politserie im Ersten, deren Güte vorige Woche kurz nach „Deutschland 83“ mit dem nächsten Quotendesaster belohnt wurde. Das legt einen schrecklichen Verdacht nahe: Qualität lohnt sich gar nicht.
Das deutsche Publikum will nämlich partout unterfordert, sediert, belogen und betrogen werden. Erfolgreiche Ausreißer nach oben, von denen Mittwoch nach einjähriger Pause einige den Deutschen Fernsehpreis erhielten, „Club der roten Bänder“ vom Überraschungskanal Vox zum Beispiel oder das gelungene ARD-Remake von „Nackt unter Wölfen“, lenken davon nur ab; das Gros der Zuschauer lässt sich nach Feierabend oder Arbeitsamt lieber mit dem ewig gleichen Mix aus Schnulze, Krimi, Rateshow belämmern, als wirklich kreativ unterhalten zu werden.
Selbst wenn‘s mal wehtut.
Von daher wird die Fortsetzung von „Operation Zucker“ am Mittwoch ein Vielfaches jener Quote erzielen als, sagen wir, Michel Abdollahis fernsehpreisprämierte Reportage „Im Nazidorf“. Das hat drei Gründe. Erstens läuft sie zur Primetime im Ersten statt nachts im Dritten. Zweitens ist es ein Krimi um sexuelle Gewalt gegen Minderjährige, was unverhältnismäßig viel öfter verfilmt wird als die Realität erlaubt. Und drittens: „Operation Zucker“ ist trotz all der Grausamkeit fabelhaft. Wie im ersten Teil von 2013 (wird tags zuvor um 22.45 Uhr im Ersten wiederholt) geht es um machtgeile (nicht pädophile!) Kinderficker aus Brandenburgs Oberschicht, die Nadja Uhl so glaubhaft zwischen Zynismus und Hingabe verfolgt, dass ihre Ernüchterung angesichts des erfolgreichen Schweige- und Vertuschungskartells fast körperlich spürbar ist.
Ach ja, liebe AfD, es geht hier übrigens um ein System sexualisierter Männergewalt, das keine Ausländer, sondern deutsche Spießbürger wie du und du betreiben. Im Anschluss diskutiert dann die ebenfalls eine Woche zuvor preisdekorierte Sandra Maischberger über Kinderprostitution derart bizarren Ausmaßes, das der Wirklichkeit näher ist als uns lieb ist. Artifizieller ist da schon der zweite Fall von Ulrich Noethen als Psychiater Jens Jessen, der der Hamburger Polizei am Montag im ZDF wieder „Neben der Spur“ auf die Sprünge hilft, diesmal in einem berückenden Krimimosaik um Schuld und Amnesie.
Treudoof & stinksauer
Fast schon irreal ist verglichen damit hingegen die Krimi-Groteske „Wenn du wüsstest, wie schön es hier ist“ am Freitag um 20.15 Uhr auf Arte (also parallel zum Rückrundenauftakt der Bayern beim HSV im Ersten, was höchst irreal enden könnte), eine Art „Twin Peaks“ in Kärntens dunkeldüsterem Hinterwald, wo der Provinzbulle Muck (Gerhard Liebmann) einen mysteriösen Frauenmord nachgeht. David Lynch trifft Manfred Deix. Noch Fragen?
Eine ganz anderer Natur kann die „Wiederholung der Woche“ beantworten: Verfügt Til Schweiger, rein anatomisch, wirklich nur über die Gesichtsausdrücke treudoof und stinksauer? „Der große Bagarozy“ klärt am Samstag, 22.25 Uhr auf 3sat insofern auf, als die seinerzeit erste (und für lange Zeit letzte) echt ernst zu nehmende Rolle um einen mysteriösen Zauberer tatsächlich noch eine dritte Mimik aufweist: verschlagen. Ach ja, und lüstern, was bei ihm aber auch irgendwie treudoof aussieht. Weit stärker über die Mimik kommen da naturgemäß Filme der frühen Kintopp-Ära wie Marcel Pagnols berühmte „Marseiller Trilogie“ um die Liebe in Zeiten ihrer Liberalsierung von 1931, dem schwarzweißen Hinweis der Woche. Arte zeigt Montag ab 20.15 Uhr die ersten zwei Folgen und am Mittwoch das Finale, gefolgt vom Doku-Tipp Dantes Inferno, einem Film übers Hauptwerk des mittelalterlichen Dichterfürsten und dessen Einfluss auf die Kultur seiner italienischen Heimat.
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