Gleiche Rechte für alle bedeutet auch gleiches Recht zu scheitern: Jan Freitag über die Insolvenz von Öger Tours und Rassismus in Hamburg.
Und es begab sich vor langer, langer Zeit, dass Immigranten „Gastarbeiter“ waren und deren Kinder dank des vererbten Hintergrundes arbeitslos, unterbezahlt, chancenlos. Auch an Elbe und Alster schufteten Ausländer genannte Inländer fremden Ursprungs vornehmlich in Fabriken oder Putzkolonnen, um den Wohlstand mit kleinem Lohn zu mehren, also vor allem den der Deutschen, hiesigen Ursprungs. Bis besonders Türken langsam Hamburgs Mittelschicht durchdrangen, duldeten die Pfeffersäcke nur eine Ausnahme mit prominentem Klang: Vural Öger.
Jahrzehntelang wurde dieser Deutsche aus Ankara vor jede Kamera gezerrt, um der Mehrheitsgesellschaft sein Beispiel gelungener Integration im Hochpreissegment zu erklären. Dieser Türke aus Hamburg hatte es ja vom Reisebürobesitzer zum Unternehmer des Jahres gebracht, dessen Firma die Welt umspannte. Nun jedoch hat die Öger Tours GmbH Insolvenz angemeldet, was auf etwas hindeutet, das Einwanderern noch immer weit weniger zugebilligt wird als Eingeborenen: zu scheitern.
Mitglieder des Lebens – mit allen Konsequenzen
Vordergründig hat der Niedergang von Ögers Konzern daher nur insofern mit der aktuellen Flüchtlingskrise zu tun, als auch der Geschäftsführer einst aus einem fernen Land kam, um hierzulande sein Glück zu suchen, was gerade im Schmelztiegel Hamburg Ergebnis fast jeder Ahnenforschung sein dürfte. Und doch ist da mehr. Denn die drohende Insolvenz deutet darauf hin, dass endlich auch Menschen ohne „deutsches“ Blut peu à peu normale Mitglieder des Lebens werden – mit allen Konsequenzen, positive wie negative, mit Pflichten also, aber auch Rechten, etwa dem zu stürzen und wieder aufzustehen.
Genau das wirft ein hoffnungsfrohes Bild der Normalität auf vieles, was diese Stadt künftig erlebt. In Zeiten zeugungsunwilliger Menschen ohne Migrationshintergrund (in den letzten, sagen wir, vier Generationen) und zuziehender Menschen mit demselben (wovon in, sagen wir, zwei Generationen hoffentlich keiner mehr spricht), wird die alte Mehrheitsgesellschaft an Bedeutung verlieren. Das ist ein Fakt, der – um es mit den Grünen zu sagen – besser gut so sein sollte, um weder den gebotenen Ernst noch den nötigen Spaß am Leben zu verlieren.
Wenn das Ego alle Empathie besiegt
Zurzeit gibt es allerdings von beidem viel zu wenig, wenn saturierte Bewohner wohlhabender Viertel kurz vor Weihnachten per Eilantrag verhindern können, dass Kriegsflüchtlinge über die Festtage nicht weiter in Zelten hausen, sondern ein Dach überm Kopf kriegen. Wenn ausgerechnet all die elitären Ellbogengesellschaftsgewinnler und Erbschaftsgünstlinge von Blankenese über Poppenbüttel bis tief in die materiell (nicht menschlich) noblen Alsterquartiere lieber zwei ihrer SUVs verschrotten würden, als auch nur einen Syrer auf die Immobilienpreise drücken zu lassen. Wenn der eigene Kontostand demnach wichtiger ist als das Leben bedrohter Menschen. Wenn das Ego alle Empathie besiegt und der laue Winter selbst mit Temperaturen überm Gefrierpunkt noch um einiges wärmer ist als die Herzen eiskalter Besitzstandswahrer.
Da dürfte sich ein Vural Öger also erinnert fühlen an die Zeit seiner Ankunft in Berlin anno 1960, als er – kaum volljährig – bestenfalls hochnäsige Duldung erfuhr, meist aber offene Verachtung für angeblich schmarotzende, knoblauchfressende, eselfickende Ausländer wie ihn. Er hat sich da durchgebissen. Manchmal mit der Methode, deutscher zu sein als die Deutschen, nicht selten dank der Mentalität seiner großbürgerlich-türkischen Herkunft, stets im Hinterkopf, es viel besser machen zu dürfen, um nicht viel schlechter dazustehen. Dass sein vorläufiges Scheitern nun eines unter vielen ist, haben wir auch ihm zu verdanken. Sorgen wir dafür, dass die oft rassistischen, öfter einfach nur ängstlichen Kleingeister der reichen Viertel und/oder rechten Denkweisen nicht wieder die Oberhand gewinnen wie 1960, in einer Zeit, als Immigranten noch Gastarbeiter hießen.
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