Hamburg hat gewählt. Die Stadt wird sich nicht um die Olympischen Spiele 2024 bewerben. 51,6 Prozent der Wähler stimmten mit „Nein“. Für die Olympia-Befürworter ist dies eine herbe Enttäuschung, für Marvin Mertens ein Grund zur Freude. Warum es trotzdem etwas zu motzen gibt:
Ein Nein. Ein knappes, ein leises zwar, aber immerhin ein Nein. Die Hamburger haben wie im Fall der hanebüchenen Seilbahn-Idee und auch im Fall des Netzerückkaufes bewiesen, dass sie im richtigen Moment die richtigen Entscheidungen treffen. Deshalb gibt es eigentlich auch gar keinen Grund, zu motzen. Eigentlich.
Wenn da nicht die horrenden Kosten wären: Allein die Werbekampagne vor dem Referendum hat die Stadt fünf Millionen Euro gekostet. Das Referendum noch einmal so viel. Wie eine Anfrage der Linksfraktion ergab, kommt allein die Stadt für diese Kosten auf. Sponsorengeld? Fehlanzeige. Sicher, die Hamburger Unternehmen hätten sich die Spiele gewünscht. Bei jeder Werbeveranstaltung waren die kleinen Dollar-Zeichen in den Augen der Wirtschaftsbosse zu sehen. Aber bezahlen? Später, später.
Sicher, auch der Hamburger Senat hätte sich die Spiele gewünscht. Womit, wenn nicht mit Olympia hätte Hamburgs Ruf als weltoffene Stadt, als moderne Metropole, als Tor zur Welt gefestigt werden können? Und natürlich sind Politik und Wirtschaft, so ganz nebenbei, auch recht gute Freunde.
Fünf Millionen Euro für die Bewerbung
In den vergangen Wochen und Monaten war ich ein „Miesmacher“, ein „Spielverderber“, „aus Prinzip dagegen“ oder einfach „ein Egoist“. Warum? Weil ich nicht in prä-olympische Euphorie verfallen bin. Weil mich Argumente wie „Weil Hamburg nur gewinnen kann“ oder „Das gibt’s nur einmal“ einfach nicht überzeugten. Warum nicht? Weil es keine Argumente sind. Es sind Worte, in mehr oder minder sinnvoller Weise aneinander gereiht.
Worte, die die Stadt mal eben ein paar Millionen Euro gekostet haben. Ok, im Vergleich zu dem, was der IOC an den Spielen verdient hätte, sind das nur Peanuts. Trotzdem ist es Geld, das nun an anderer Stelle fehlt. Zum Beispiel in Harburg, wo gerade Kinder- und Jugendprojekte eingestampft werden, für die im Jahr nur 90.000 Euro benötigt werden. Oder am Hauptbahnhof, wo sich zahlreiche ehrenamtliche Flüchtlingshelfer aus Zelten heraus jeden Tag um Tausende Neuankömmlinge kümmern. Oder bei den Behörden, wo es an Sachbearbeitern mangelt, die all die Asylanträge abarbeiten könnten. Oder in der Obdachlosenhilfe – damit der Run auf das Winternotprorgamm in Zukunft vielleicht etwas kleiner ausfällt.
Die lieben Hamburger Medien
Ich weiß, fünf Millionen Euro sind nicht so viel für eine Stadt wie Hamburg. Aber elf Milliarden Euro sind es. So viel Geld war für Olympia 2024 nämlich in etwa vorgesehen. Bis zum Referendum hatte der Bund allerdings noch keine finanzielle Unterstützung zugesagt. Mit jenen elf Milliarden Euro könnte man eine ganze Menge anfangen: den sozialen Wohnungsbau fördern, Flüchtlingsunterkünfte bauen, die Kinder- und Jugendarbeit verbessern, die Inklusion fördern, Sportstätten und Schulen in den Stadtteilen sanieren – kurz: man könnte dieses Geld nutzen, um etwas für die Menschen in dieser Stadt zu tun.
Besonders war auch die Rolle der Hamburger Lokalmedien im Vorfeld des Volksentscheids, die, man muss es einmal so sagen: Werbung für die Spiele machten. Thomas Hahn schrieb in der Süddeutschen Zeitung: „In Hamburg hat man bisweilen den Eindruck, als seien diese olympischen Schulterschlüsse als eine Art Rekordversuch des abhängigen Journalismus angelegt.“ Er spricht von einer „Olympia-Besoffenheit“ – eine treffende Einschätzung. Einer der ersten Leitsätze, die ich gelernt habe, war der Ausspruch von Hanns Joachim Friedrich: „Ein guter Journalist macht sich nicht mit einer Sache gemein, auch nicht mit einer guten.“ Hat in Hamburg nicht so wirklich funktioniert.
Argumente haben gesiegt
Übrigens: Ein großer Teil der Sicherheitskosten, die für die Spiele 2024 auf die Stadt zugekommen wären, waren in dem Finanzierungsplan nicht einmal enthalten. Das finde ich klasse. Das ist ungefähr so wie mit RyanAir-Flügen: „Für 19 Euro nach Rom“. Da steht dann zwar 19 Euro drauf, am Ende dürfte es aber wohl das Zehnfache sein. Versteckte Kosten. Verkäuferlogik.
Kollege Andreas Grieß von Elbmelancholie fordert in einem Kommentar: „Wer Sonntag dagegen war, muss ab sofort für etwas sein“. Grieß will, dass die Olympia-Gegner nun Verantwortung übernehmen. Die „Wahlsieger“, schreibt er, müssten nun Vorschläge für die Förderung von Breitensport, die Stadtentwicklung gen Süden ohne Bundesmittel und für die Rolle, die Hamburg ohne Olympia im internationalen Vergleich spielen soll, erarbeiten. Das ist – mit Verlaub – Unsinn. Die Aufgaben sind doch klar verteilt. Die Sportverbände, Parteien, Politiker und Wirtschaftsunternehmen müssen auch in Zukunft ihre Arbeit machen. Sie können nicht mit Schmollmund und verschränkten Armen in der Ecke stehen. Es ist nicht Aufgabe der Bürger, politische Konzepte zu entwickeln. Die Bürger geben ein Stimmungsbild ab.
Und dieses Stimmungsbild ist deutlich: Hamburg hat mit „Nein“ gestimmt. Die Bürger haben den großen Versprechungen der Politik nicht geglaubt. Es sollten nachhaltige Spiele werden, man wollte von London lernen, alles besser machen. Nur das ‚wie‘ blieb irgendwie offen. Allein mit Emotionen, der Aussicht auf eine rauschende Party und schönen Bildern sind die Hamburger nicht zu überzeugen. Was zählt sind am Ende eben doch: Argumente.
Andreas
30. November 2015 at 15:57
„Die Sportverbände, Parteien, Politiker und Wirtschaftsunternehmen müssen auch in Zukunft ihre Arbeit machen. Sie können nicht mit Schmollmund und verschränkten Armen in der Ecke stehen.“
Natürlich können Sie das. Es war ein Klares Misstrauensvotum gegen ihre Arbeit und ihre Wahlempfehlung. Ich finde jeder Ehrenamtler im Sport hat das gute Recht sich nun zu überlegen, ob er nicht lieber woanders seine Energie investiert. Viele deutsche Trainer in meinem Sport tun das übrigens bereits. Und jedes Wirtschaftsunternehmen kann sich natürlich fragen, ob Investitionen in diesem Land realistisch sind oder man es nicht doch lieber in einem anderen Staat versucht. Und auch Nachwuchspolitiker werden sich überlegen, ob sie wirklich Chancen haben, Großprojekte in Deutschland umzusetzen. Und ich finde schon, dass diejenigen, die mit Nein Stimmen oder dafür werben diesen Leuten Antworten geben sollten. Sind sie erwünscht oder nicht? Was mich führt zu:
„Es ist nicht Aufgabe der Bürger, politische Konzepte zu entwickeln. Die Bürger geben ein Stimmungsbild ab.“
Natürlich sind sie nicht dazu verpflichtet. Aber bedingt eine stärkere Einbindung der Bürger durch direkte Demokratie nicht auch einen intensiveren Diskurs. Soll unsere Demokratie wirklich darauf beschränkt werden, dass Politiker Konzepte entwickeln und diese dann angenommen – oder meist abgelehnt werden? Scholz zB wurde Mehrheitlich gewählt. Sein Olympia-Vorschlag wurde mehrheitlich abgelehnt. Muss man nicht von ihm verlangen, dass es fragt: „Was wollt ihr dann?“ Und ergibt diese Frage nicht nur Sinn, wenn er Antworten bekommt? Ist es nicht für die Nein-Sager sogar praktischer und sinnvoller zu sagen, was sie wollen anstatt zu hoffen, dass der nächste Vorschlag ihre Vorstellungen deckt und nicht wieder erst etwas abgelehnt werden muss?
Ich kann ja verstehen, dass man ggf mit nein stimmt. Aber ich verstehe nicht, warum es etwas schlimmes sein soll, aufgefordert zu werden, aus einem „nein“ nun auch en aktives Gestalten werden zu lassen.
Sven
30. November 2015 at 18:34
@Andreas (zum Teil)
Es wird nun gerne von vielen derer, die für eine Bewerbung waren so dargestellt, als wenn die Gegner alle pauschale Nein-Sager sein, die eigentlich gegen alles wettern, was vorgeschlagen wird. Man kann (auf Seiten der Befürworter) wohl einfach nicht gut mit der Niederlage umgehen. Denn man muss sich gar nicht weit nach Forderungen/Konzepten für andere Projekte umschauen. Seien es mehr Sporthallen, Ausweitung des ÖPNV, menschenwürdige Unterkünfte für Obdachlose und Flüchtlinge, günstiger Wohnraum, ein verbessertes Fahrradkonzept, mehr erneuerbare Energien in Hamburg, Erschließung/Erweiterung neuer Wohngebiete etc. Dies alles sind Forderungen, die immer wieder von verschiedenen Gruppen geäußert werden, von der Politik aber nicht, bis unzureichend aufgegriffen werden. Ein kommerzielles Event wie die Olympiade als Aufhänger zu nehmen, um gegen Nein-Sager zu wettern und als inkonsequent zu bezeichnen (wer Scholz sagt muss auch Olympia sagen, [hier beachte man aber auch das Ergebnis vom Sonntag und die Positionen der anderen Parteien und deren Abschneiden bei der letzten Wahl]) ist ziemlich anmaßend.
Viel eher gibt es (folgt man deiner Argumentation) offenbar eine Diskrepanz zwischen einer Bevölkerung, die soziale Aspekte beachtet wissen möchte, während eine Politik kommerzielle Ziele verfolgt. Wobei hier aber auch ganz klar anzumerken ist, dass es sich bei der Olympiabewerbung mit seiner stark kommerziellen Ausrichtung und dem dazugehörigen Referendum um ein einzelnes Ereignis handelte, welches nicht per se mit anderen Referenden/Abstimmungen/Befragungen, wie etwa zur Schulreform, oder zur Straßenbahn verglichen werden darf.
Hört man von hochrangigen Befürwortern nun auch noch, dass die vorerst nicht stattfinden werdende Entwicklung der Stadt, v.a. der Veddel den Gegnern der Olympiabewerbung in die Schuhe geschoben wird, muss man sich schon fragen, ob so ein Ton angemessen ist, bzw. ob diese Personen nicht noch von ihrer fanatische Befürwortung des Events so benebelt sind, dass ihnen die Fähigkeit rationale Kritik zu äußern abhandengekommen ist. Viel eher sollte man sich fragen, warum eine Stadt wie Hamburg sich nur durch eine Olympiade in der Position sieht wichtige Entwicklungen in der Stadt umzusetzen. Eine Olympiade in die Stadt zu holen verspricht (kurzzeitig) natürlich mehr Prestige als eine langwierige Entwicklung eines vernachlässigten Stadtteils anzustoßen.
Frank
30. November 2015 at 18:36
Klar, es sind gerade die „Ehrenamtler im Sport“, die sich nun beleidigt geben, nicht etwa ein Hörmann und die anderen Eminenzen, die man lieber heute als morgen los wäre. Die Nummer mit den Wirtschaftsunternehmen, die nun lieber woanders investieren, das ist schon von aberwitziger Qualiät. Chapeau! Kein Olympia? Da macht Mac Donaldy sicher gleich alle Filialen dicht, das habt ihr nun davon.
Ich verrate dir etwas: Es ist der, schon seit Jahren gewachsene, intensivere Diskurs, der zu den Ergebnissen bei Netzrückkauf, Seilbahn, Moorburgtrasse und eben Olympia geführt haben. Und da haben sich viele ( ehrenamtliche ) Fachkompetenzen entwickelt, der oft bspw. die städteplanerischen Kompetenzen der Parteien in einem sehr ungünstigen Licht zeigen. Sprung über die Elbe? So eben nicht. Wir brauchen keine weitere Hafencity, die eine ist schon eine Entäuschung. Wir brauchen auch keinen Drittelmix mit 10 Jahren Sozialbindung, der nicht verhindert, dass bei 2000 neuen Sozialwohnungen 3000 aus der Bindung fallen, faktisch also 1000 geförderte Wohnungen weniger da sind. Und wir brauchen auch keine weiteren Mega Events in der Innenstadt, die schon jetzt unter den 20 Millionen Übernachtungen ächzt und stöhnt. Wir brauchen Hilfe für Schwache und Obdachlose, kein Sicherheitskonzept mit Verdrängung und Flak Geschützen auf Hausdächern.
Reisende soll man nicht aufhalten, aber leider kann man in Hamburg viel zu „geil“ absahnen, da geht doch kein Schwein freiwillig.
Andreas
1. Dezember 2015 at 12:06
@Sven: Ganz ehrlich: Es regt mich schon wieder sehr auf, dass du Olympiade schreibst. Das ist nämlich der Zeitraum von vier Jahren zwischen zwei Spielen. Warum regt es mich so auf? Weil es zeigt, dass du diese vermeintliche Kleinigkeit nicht einmal weißt, aber meine Position als anmaßend bezeichnest. Natürlich sind nicht alle nein-Sager Leute, die sich in keiner Weise engagieren oder ähnliches. Aber es scheint das Verständnis zu fehlen, dass sich viele für die Spiele eingesetzt haben, die eben nicht McDonalds oder IOC heißen und die nicht finanzielle Gewinne gemacht hätten. Ihnen wurde ein Nein um die Ohren gehauen und es wird gesagt, dass man ja „nur“ dem IOC und der Politik eines auswischen wollte. Tut man aber nicht. Schau dir die Reaktionen vieler Sportler an. Das hat nichts mit „mit der Niederlage nicht umgehen können“ zu tun, dass ist eine ganz natürliche Reaktion. Es ist, wie wenn dir deine Freundin sagt: „Ich bin weg, aber es lag nicht an dir.“ Hilft dir das? Nein, du bist verletzt. Und du fragst dich, wie es weiter gehen kann. Die Frage ist doch nun: Können wir Freunde bleiben, oder gehen wir uns besser aus dem Weg?
Frank
1. Dezember 2015 at 18:43
@Andreas: Und es haben sich viele gegen die Spiele engagiert, die sich schon seit Jahrzehnten für diese Stadt einsetzen und für die Bewohner. Schäuble hat nun schon durchsickern lassen, dass die gewünschten 6,2 Mrd nicht geflossen wären, sondern weniger. 8000 neue Wohnungen im Drittelmix? Das heisst in Hamburg ~2600 Wohnungen die eine Sozialbindung für gerade mal 10 Jahre haben. Danach fällt diese weg. Deshalb haben wir derzeit pro Jahr ein Minus von 1000 Sozialwohnungen.
Was bei den Planungen zu erwarten war, sind doch keine schwarzen Hirngespinste der Gegner: Wir sehen die Fakten doch jeden Tag und Jahr für Jahr bei neuen Horrormeldungen in punkto Mietenspiegel. Diese „Aufwertung“ kann uns gestohlen bleiben.
Jeder Sportler entscheidet sich eigenverantwortlich für oder gegen seine Karriere. Ich schulde ihm überhaupt nichts. DIeses ganze patriotische National Blabla geht mir eh achtern vorbei.