Jan Freitag hat sich durch den Mediendschungel der Woche gekämpft und dabei auf Halde produzierte Nachrufe und überraschend erfolgreiches, sperriges Fernsehen gefunden.
Der Tod kommt oft unsagbar überraschend, wie am vorigen Freitag, wo das Sammelbecken gottloser Loser namens IS ihren unheiligen Krieg gegen die Intelligenz erstmals nach Europa getragen hat, der seither ganztägig die Nachrichten dominiert. Der Tod kommt allerdings selbst dann oft unvermittelt, wenn es sich so lang ankündigt, wie im Falle Helmut Schmidts. Mit 96 Jahren ist der ewige Altkanzler vorigen Dienstag gestorben und hat dennoch das halbe Land und fast seine ganze Stadt in Schockstarre versetzt. Nur die Medien, die schockstarrten nicht, sie feuerten aus allen Rohren, was längst Teil der Berichtskultur ist: Nekrologe in Echtzeit, auf Halde produziert, im Giftschrank gelagert, bei Gelegenheit abrufbar. Keine pietätvolle Praxis, aber eine praktikable im verzugsfreien Internetzeitalter.
Kritiklose Hochachtung
Doch was da vorige Woche an sorgsam geplantem Spontangedenken aufs Publikum niederging, war schon von grundlegend neuer Qualität. Zig Seiten lang waren die Nachrufe selbst außerhalb von Schmidts Heimathafen, riesige Bilderstrecken inklusive, nicht alle distanzlos lobhudelnd wie Hamburgs „Bild“ und die baugleiche „MoPo“, aber nahezu durchweg von kritikloser Hochachtung durchdrungen, die sogar den „Brennpunkt“ der „Tagesschau“ ergriff, dessen gewohnter Umfang kurzerhand verdreifacht wurde, als käme das Ableben eines Kettenrauchers im methusalemischen Alter irgendwie unerwartet. Aber das sind Windmühlenkämpfe im Informationszeitalter.
Denn der Medienrepublik ist ein polarisierender, gleichwohl brillanter Gesellschaftsanalyst von selten gewordener Schärfe abhanden gekommen, der seinem Metier – der Publizistik, der Politik – fehlen wird. Das wird man eines Tages von Donald Trump eher nicht sagen müssen. Seine Moderation der legendären NBC-Show Saturday Night Live jedenfalls war zwar ungewöhnlich, aber alles andere als witzig, weshalb die Chance, US-Präsident zu werden immerhin nicht noch größer geworden ist.
Sperriges Fernsehen wagen
Die Chance, ein seriöser Sender zu werden hat hingegen der Kabelkanal Vox ergriffen. Sein erstes eigenes Serienprodukt „Club der roten Bänder“ war nicht nur qualitativ hochwertiger als vieles, das ernstzunehmendere Sender seriell zuwege bringen, sondern mit 2,5 Millionen Zuschauern auch verhältnismäßig erfolgreich. Sollte die Zahl bei den heutigen Folgen 2 und 3 auch nur annähernd bestätigt werden, könnte die Konkurrenz jeder Couleur vielleicht wirklich mal begreifen, dass man dem Publikum ruhig sperriges Fernsehen vorsetzen darf… Dinge, die bislang aus anderen Ländern kommen und online laufen.
Das Hacker-Epos „Mr. Robot“ zum Beispiel, dessen Nerds so glaubhaft sind, dass ihnen sogar Edward Snowden Respekt zollt. Oder die pseudohistorische Dystopie „The Man in the High Castle“, in der die Nazis doch gesiegt haben und Mitte der Sechziger Amerika regieren. Beides läuft ab Donnerstag bei Amazon Prime, das mit solchen Formaten (und einer gigantischen Vertriebskampagne) den Streaming-Markt überrannt hat. Ebenso ungewöhnlich und auch noch umsonst ist die Arte-Serie „Occupied“, in der Norwegen am gleichen Tag um 20.15 Uhr von Russland besetzt wird, weil es seine Ölproduktion herunterfährt. Witzig, wie undenkbar dieses Szenario noch vor ein, zwei Jahren geklungen hätte…
Zwischen Größenwahn und Kleinbürgertum
Ähnlich undenkbar übrigens wie Motorsport beim sonst so ansehnlichen ZDFinfo, das am gleichen Tag ab 15.30 Uhr allen Ernstes das sprithungrige, testosteronsatte „Race of Champions“ überträgt. Ähnlich undenkbar auch wie ein „Tatort“ mit Til Schweiger, der am Sonntag zum dritten Mal unverwundbar um sich schießen darf. Da ist es beruhigend, dass Mario Barth Mittwoch letztmals so tut, als decke er irgendwas auf. Weil die leibhaftige Lachnummer seinem Sender mit diesem Datenmüll allenfalls seinen Kontostand aufdeckt, damit RLT ihn hebe und hebe, kann man getrost umschalten zu Tobias Moretti, der dem ARD-Mittwochsfilm einen Louis Trenker von grandioser Ambivalenz zwischen Größenwahn und Kleinbürgertum verpasst.
Blieben noch ein paar nette Nischentipps. Im RBB liefern zehn Nachwuchsregisseure am Dienstag (22.30 Uhr) „Zehn kurze Filme über ein Gefühl“ namens Heimat. Im WDR gedenken Christine Westermann und Götz Alsmann am Totensonntag um 22.15 Uhr der verstorbenen Gäste ihrer Sendung „Zimmer frei!“ von Dieter Krebs bis Hans Meiser. In der farbigen „Wiederholung der Woche“ rast Flash Gordon sodann bei 1Plus (Mittwoch, 22.15 Uhr) zum Titellied von Queen (1980) über den Bildschirm. Arte zeigt am Montag (0.45 Uhr) Josef von Sternbergs 90 Jahre altes Spielfilmdebüt „The Salvation Hunters“ über die Suche nach dem amerikanischen Traum. Und auf gleichem Kanal treffen sich „Hitchcock – Truffaut“ um 20.15 Uhr und diskutieren anno 1962 über den Zustand ihres Gewerbes.
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