Die alte Presse-Hauptstadt verfällt zur Gossip-Kapitale: Während seriöse Medien zusehends abwandern, bleibt Hamburg das sexistische Herzschmerzgeblubber debiler Frauenmagazine.
Vielleicht muss man als anspruchsvoller Mediennutzer die frühere Pressehauptstadt Hamburg mal hinter sich lassen, um ihr ins Gehirn zu blicken. Schließlich sind Ferien, Auszeit. Es geht also mit der Fähre nach Schweden, zwei Wochen fort vom Alltag, Smartphone offline, Badesachen statt Büro, ohne die geliebte Tageszeitung aus München oder Frischware vom Speersort. Es ist kein medienfreier Urlaub, aber ein medienreduzierter. Bis man an Bord auf einen Stapel Papierprodukte stößt und instinktiv tut, was Frauen reicher Villenbesitzer in Film und Fernsehen vormittags vorm Peeling-Termin notorisch tun: nicht lesend, bloß blätternd. Freizeitgestaltung der seichtesten Art, unterfordernde Entspannung. Doch davon keine Spur.
Denn ich bin entsetzt!
Was drei liegengebliebene, noch aktuelle Ausgaben dreier Verlage verbreiten, ist nämlich mit rückständig noch defensiv umschrieben. Illustriert meist mit zahnarztlächelnd dürrgekotzten Models unter 25, bedient jede dieser Hochglanzbeleidigungen des weiblichen Intellekts von Für Sie bis Brigitte (zugegeben, die bayerische freundin war noch etwas dämlicher als die norddeutschen Flaggschiffe) sämtliche Klischees von der vermeintlich modernen Frau im Rollenmuster der frühen Fünfzigerjahre.
Drei Ausgaben, fast 500 Seiten Papier, aber keine, wirklich nicht eine einzige Story, die den Kundenkreis mit Doppel-X-Chromosom irgendwelche Interessen diesseits der vier großen „K“ femininer Informationsversorgung zubilligt: Konsum, Kosmetik, Küche, Kerle, ergänzt zuweilen (sofern danach die Kleiderschrankbefüllung Größe 36 noch passt) ums Kinderkriegen. Frauenmagazine anno 2015 – das ist sogar schlimmer als 50 Jahre zuvor, da der Zielgruppe damals anders als heute wenigstens nicht vorgegaukelt wurde, im Würgegriff von Haushalt, Mode, Göttergatte sonderlich emanzipiert zu sein.
Ausgerechnet in Hamburg
Fast ebenso schlimm ist aus hanseatischer Sicht allerdings, dass dieser entwürdigende PR-Journalismus für die lukrative Reduktion der heutigen Frau auf eine wohlgefällige Schaufensterpuppe mit Modelmaßen, Geld wie Heu und unersättlicher Libido seine Zentrale ausgerechnet in Hamburg hat, der ehedem so stolzen Pressehauptstadt im publizistisch erwachenden Nachkriegsdeutschland. Doch die alte Kapitale verödet zusehends – qualitativ wie quantitativ.
Die Zeit, das letzte Flaggschiff seriösen und lesbaren Journalismus‘, mag selbst in Zeitungskrisenzeiten Quartal für Quartal Auflagenrekorde feiern und sein Lokalerweiterung Zeit:HH weiter ausweiten: Ebenso wie der unverwüstliche Spiegel entsteht das Wochenblatt längst zu gewichtigen Teilen in Berlin. Der Stern ist nur noch ein Schatten seiner selbst, das einst beherzte Boulevardblatt Morgenpost von herzzerreißender Schlichtheit, die wunderbare Woche seit 13 Jahren Geschichte, alles was den Zeitungsverlagsstandort seit Gründung vom Hamburger Abendblatt (das jetzt in Essen herausgegeben wird) bedeutsam gemacht hat, verlässt ihn so zügig, dass man (fast) geneigt ist, den populistisch-debilen Brachialreportern der Bild nachzutrauern, die sich endlich Richtung Reichshauptstadt verabschiedet haben.
Schund für den Holzofen
Was jedoch unverdrossen floriert zwischen Alster und Elbe, ist Gossip-Geblubber der eingangs erwähnten Art. Allein Jahreszeiten-Verlag, Bauer Media Group und Gruner + Jahr beliefern die Frau von gestern gleich dutzendweise mit geistig armen Ratgebern fürs konservative Rollenbild im digitalen Zeitalter. InTouch und Petra, Tina und Gala, Brigitte und Joy, Cosmopolitan samt all der königstreuen Mimikanalysten von das neue bis Neue Post repräsentieren dabei einen Journalismus, dessen Urheber(innen) oft allenfalls den zugehörigen Ausweis ernstzunehmenden Kollegen teilen. Und im skandinavischen Ferienhaus zeigt sich dann auch noch regelmäßig: Mit solchem Schund kann mal den Holzofen anschmeißen. Kalte Pressehauptstadt Hamburg.
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