Jan Freitag hat sich durch den Mediendschungel dieser Woche gekämpft und unermüdliche Autoschredder und versuchte Publikumsverjüngung gefunden.
Die Nachrichten richtiger Fernsehsender sind, was sie bekanntlich im Vergleich mit ein paar weniger richtigen auszeichnet, vorwiegend durch Sachlichkeit geprägt, Distanz, Objektivität, solche Sachen. Und das ist meist auch gut so, seltener hingegen leicht anrüchig. Am Dienstag zum Beispiel konnte man nicht nur in der „Tagesschau“ erleben, wie das Gebot objektiv distanzierter Sachlichkeit zu subjektiv anbiedernder Unsachlichkeit führt. Der bräunliche Fußball- und Wirtschaftsfunktionär Gerhard Mayer-Vorfelder nämlich wurde da posthum von Hans Filbingers völkisch-nationalistischem Ziehkind auf „sehr konservativ“ herabgestuft, was in etwa so objektiv, distanziert und sachlich ist, als würde man die NPD „sehr rechts“ nennen und schnell über das Geschenk unserer Autobahnen reden.
Traumberuf Autobahnpolizist
Auf denen, das ist die private Top-News der Vorwoche, wird das nächste Mitglied von „Cobra 11“ für Raserei sorgen. RTL vermeldet, dass der unermüdliche Autoschredderer Semir Gerkhan (Erdoğan Atalay) ab 2016 mit Daniel Roesner einen neuen Beifahrer kriegt. Wobei dessen künftige Parallelpersönlichkeit mit dem sprechenden Namen Renner allen Ernstes folgende Biografie mit in die Explosionsserie nimmt: Paul, heißt es im Pressetext, „hatte nie ein anderes Berufsziel, als Autobahnpolizist zu werden“. Gäbe es solche Wünsche tatsächlich, hätte die Verblödungsstrategie kommerzieller TV-Sender Früchte getragen. Menschen des Stammpublikums strebten dann allen Ernstes nach dem neuen Mädchentraumjob Topmodel echte Lehrberufe an wie Tanzshowjuror, Raabschläger, Duellkoch oder Bachelorette.
Die nimmt Mittwoch nach acht Folgen ihren Ausbildungsleiter mit nach Hause und wartet sodann auf ihre Nachfolgerin, die angesichts akzeptabler Quoten höchstens eine RTL-Saison auf sich warten lassen dürfte. Was mal wieder einiges aussagt übers Land, das man eigentlich gar nicht wissen möchte. Ganz im Gegensatz zu dem, was uns Wladimir Kaminer darüber zu erzählen hat. Seit mehr als zwei Jahrzehnten ist der Mann aus Moskau als humorvoller Chronist deutscher Befindlichkeiten tätig, nun begibt er sich montags ab 19.30 Uhr fünf Wochen lang für 3sat auf die Reise in provinzielle „Kulturlandschaften“ seiner Wahlheimat. Den Auftakt macht der Schwarzwald, wo sein distanzlos-subjektiver Blick ins Unbekannte auf Dinge trifft, die Eingeborenen womöglich verborgen blieben.
Ländlich, grotesk, ulkig
Blicke, die auch weit über das hinausgehen, was der WDR eine Dreiviertelstunde später zeigt. Als Referenzobjekt einer Programmoffensive zur Publikumsverjüngung startet um 20.15 Uhr „Meuchelbeck“, in dem ein Berliner samt Teeny-Tochter ins niederrheinische Titeldorf seiner Jugend zurückkehrt, das alles bietet, was in den Hirnen hiesiger Drehbuchautoren als ländlich, skurril, grotesk, ulkig und natürlich kriminalistisch gilt. Viel lustiger droht es auch im Anschluss nicht zu werden, aber immerhin abwechslungsreich, wenn nach der „Politiker-WG“ in Duisburg-Marxloh, wo sich sieben Parlamentarier zur Brennpunkterkundung einquartieren, eine Comedy namens „Das Lachen der anderen“ startet, dicht gefolgt von einer zweiteiligen „Abzocker“-Reportage und dem Alltagstalk „Die runde Ecke“ (23.30 Uhr) mit ganz gewöhnlichen Menschen statt des üblichen Jauch-Inventars.
Aber wie heißt es so schön: Wer’s nicht versucht, hat schon verloren. Wenn Thomas Thieme am Donnerstag die Affäre um Uli Hoeneß als „Der Patriarch“ darstellt, versucht das ZDF nämlich nicht mal dem Anschein nach, irgendwen unter 30 für dieses gut recherchierte, bieder inszenierte Fernsehspiel vom Tablet wegzulocken. Falls überhaupt blickt die Zielgruppe allenfalls zwölf Tage später mal kurz davon hoch. Dann karikiert Uwe Ochsenknecht den gestürzten Bayern-Boss zum Knast-Chef „Udo Honig“, was überdreht, aber heiter ist. Meiden werden Jüngere indes weiterhin Arte, wo Mittwoch „Die andere Heimat“ läuft, das vierstündige Prequel von Edgar Reitz‘ Hunsrück-Saga, die donnerstags ab 22.15 Uhr wiederholt wird.
Wiederholungen der Woche
Wobei: mit derart originellem Programm kein junges Publikum zu erreichen, liegt ja weniger am Publikum als am Programm; das Mittwoch auf 3sat noch ein ansehnliches, aber unsichtbares Stück bereithält. Ab 23.30 Uhr erzählen sechs Holocaust-Überlebende im Wiener Burgtheater vom Guten und Bösen in trauriger Zeit und fordern: „Vergesst uns nicht!“ In Vergessenheit geraten, könnten die Wiederholungen der Woche, weshalb wir hiermit empfehlen: „The Big Easy“ von 1987 mit Dennis Quaid als zwielichtiger Cop im bruttigen New Orleans (Dienstag, 0.25 Uhr, BR). Im bruttigen Casablanca hingegen spielt, genau, ebendies, worüber man ja nun wirklich nicht mehr Worte verlieren braucht als jene, wo es auch jetzt noch gesehen werden sollte: Auf Arte natürlich, am Sonntag um acht. Ebenso wie der wöchentliche Dokutipp, allerdings schon heute um 21.30 Uhr im Ersten: „Schäuble. Macht und Ohnmacht“ von Stephan Lamby, der seit Jahren als Seismograph politischer Untiefen firmiert
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