Jan Freitag hat sich durch den Mediendschungel dieser Woche gekämpft und echtes Mitgefühl und eine entwaffnende Doku über Hamburgs teuerste Baustelle gefunden.
Nachrichten sind ein knallhartes Geschäft. Gerade in Krisenzeiten wie diesen bedarf es einer gehörigen Portion Distanz, um im Wellenbad katastrophaler Neuigkeiten nicht Schaden zu nehmen an der Nachrichtensprecherseele. Umso rührender war es vorige Woche, Klaus Kleber zu beobachten, wie ihm angesichts einer seltenen Nachricht über echte Willkommenskultur für Flüchtlinge in Deutschland die Stimme brach. Langsam, aber hörbar, vor allem: spürbar. So viel Mitgefühl ist selten, im knorrigen Metier täglicher News.
Das Klebers ebenso empathische ZDF-Kollegin Dunja Hayali übrigens zeitgleich vom Spätabend zurück ins nette, aber belanglose Frühstücksfernsehen schickt. Vier Wochen lang bot ihr „Donnerstalk“ eine frische Abwechslung zum Gesprächseinerlei von Jauch bis Illner, jetzt dürfen die Platzhirsche wieder ran. Hoffentlich kommt die sympathischste Stimme des Informationswesens bald zurück ins Rampenlicht.
Ganz neue Gehaltsdimensionen
Aus dem die geistig schlichten, aber bestens verdienenden Auto-Reporter um den britischen TV-Star Jeremy Clarkson fast verschwunden waren. Hofften zumindest alle Menschen mit höherem IQ als ein Kleinwagen PS hat. Nun aber kehrt der gefeuerte Moderator des Automagazins „Top Gear“ auf den Bildschirm zurück. Angeblich bietet ihm Amazon Prime für 36 Folgen einer Online-Show umgerechnet 250 Millionen Euro, also gut sechs Millionen pro Folge. Das sind Dimensionen weit jenseits denen des Fernsehens und belegen irritierend, auf welche Konkurrenz es sich künftig einzustellen hat.
Bleibt abzuwarten, wie die Platzhirsche darauf reagieren. RTL2 zum Beispiel zerrt ab Montag nach drei schönen Jahren Pause das Pro7-Produkt „Popstars“ aus der Grube, die vor 15 Jahren unterm Regiment von Detlef D. Soost eine Band namens No Angels hervorgebracht hatte. Ob die „Mutter aller Castingshows“ nach dem Ende des Genre-Booms noch funktioniert? Na ja…
Schluss mit Sommerpause
Da schauen wir uns doch lieber an, was wirklich ernst zu nehmendes Fernsehen so im Angebot hat. Vorweg: Gar nicht wenig. Wenngleich natürlich wie so oft fern der Wahrnehmbarkeit. Das ZDF etwa versteckt sein preisgekröntes bulgarisches Drama „Die Lektion“ nach realen Begebenheiten um eine kriminelle Lehrerin, die ihre Schüler gleichzeitig vorm Verbrechen warnt, heute eine knappe halbe Stunde nach Mitternacht. Nochmals 20 Minuten später läuft am Mittwoch „Die Elbphilharmonie“, eine entwaffnende Doku über Hamburgs teuerste Baustelle, die ihre Kosten auf fast eine Milliarde vervielfacht hat. Tags zuvor kriegt Stefanie Schoeneborns und Christiane Hoffmanns äußerst aktuelle Doku „Der Buchhalter von Auschwitz“ über den grad beendeten Prozess gegen SS-Mann Oscar Gröning zwar eine akzeptable Sendezeit (19 Uhr), aber einen abseitigen Sendeort (ZDFinfo).
Und dreieinhalb Stunden später bleibt für Steven Soderberghs hochgelobte Serie „The Nick“ mit Clive Owen als drogensüchtiger Arzt eines New Yorker Krankenhauses Rassismus, Hygienedesaster, Ärztepfusch und Hierarchie-Irrsinn im Jahr 1900 der Schwesterkanal Neo. Wo im Übrigen auch Jan Böhmermanns grandioser Satire-Talk „Magazin Royale“ am Donnerstag (22.15 Uhr) aus der Sommerpause zurückkehrt.
Danke ARD, Danke Arte!
Etwas besser hat es „Nachspielzeit“: Das leichtfüßige, aber authentische Drama vom Brennpunkt Neukölln, übers Scheitern der Integration zwischen Besitzstandsdenken und Gentrifikation im Fußballmilieu zeigt Arte am Freitag um 20.15 Uhr. Bemerkenswert: Mehmet Atesci als Türke, der sich mit Nazis und Investoren anlegt. Apropos Investoren: Am Montag läuft die nächste Runde im öffentlich-rechtlichen Dauersponsoring vom FC Bayern, dessen Benefizspiel gegen Dresden ab 17.40 Uhr übertragen wird. Danke ARD.
Danke Arte! Für die Wiederholung der Woche: „Die durch die Hölle gehen“, Michael Ciminos Meisterwerk von 1978 über zwei Jäger (Christopher Walken, Robert de Niro) im Vietnamkrieg (Sonntag, 20.15 Uhr). Und in schwarzweiß, Montag um 20.15 Uhr: der Defa-Klassiker „Das Beil von Wandsbek“ von 1951 über einen Hamburger Schlachter, der aus Geldnot zum SS-Henker wird. Keine Anklageschrift, sondern einfühlsames Psychogramm.
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