Jan Freitag hat sich durch den Fernsehdschungel dieser Woche gekämpft und dabei ein neues Nischenprodukt und einen kanadischen Wunderregisseur gefunden.
Um Medien zu füllen, lernen Journalisten schon zu Beginn ihrer Ausbildung, gibt es grundsätzlich genügend Inhalt. Egal, was also in der Welt Aufregendes vor sich geht: Blättern, Sendern, Blogs und Foren ist es herzlich egal, welche Relevanz Nachrichten haben; berichtet wird immer, unablässig, mit allen Mitteln. Nun war auch die vorige Woche nicht grad arm an Breaking News, wie wirklich relevante Neuigkeiten genannt werden. NSA, Bahnstreik, Britenwahl, Kita-Ausstand, alles Dinge von weitreichender Konsequenz.
Für viele Medien aber waren die durchbrechenden Neuigkeiten folgende: Englischer Thronfolger wird wieder Vater! Christian und Bettina Wulff sind wieder ein Paar!! Bayern hat verloren!!! Und dann auch noch das: Es gibt eine Fischer-App, aber nicht zum Thema Fangquoten oder Joschka, sondern Helene, die mit der Dauerwerbesendung im Ersten Programm. Sonst noch was? Ach ja: „Big Brother“ läuft künftig bei Sixx und die artverwandte Axel Springer AG bringt allen Ernstes ein frisches Kunstmagazin raus.
Es heißt „Blau“, was explizit kein Verweis darauf sein soll, dass der Verlagsmulti besoffen ist, mit einem derartigen Nischenprodukt auf den Markt zu gehen. Es zeigt allerdings, wie man den Rausch des Erfolgs in Ideen umsetzt, statt in duckmäuserische Krisenverwaltung. So gesehen muss man Konzern-Chef Döpfner glatt mal dankbar sein. Dafür zum Beispiel, ausnahmsweise nichts Populistisches mit Blut, Schweiß und Tränen in die Welt zu entlassen, sondern Anspruch und Niveau.
Abgründe einer gnadenlosen Branche
Dass beides auch gemeinsam funktioniert, ist dieser Tage öffentlich-rechtlich sichtbar. Zum Auftakt seiner erotischen Reihe „hautnah“ zeigt das ZDF Montag zur jugendfreien Zeit um 22.15 Uhr „Linda Lovelace“, ein Biopic, in dem Rob Epsteins das Leben des wohl berühmtesten Pornostars ausleuchtet – und somit die Abgründe einer gnadenlosen Branche. Und auf dem Feld sexueller Missstände geht es tags drauf bei Arte weiter. Ein Themenabend stellt die Frage, „wie homo-feindlich ist Europa?“ und gibt wenig verblüffende, aber entlarvende Antworten, die meist auf „sehr“ rauslaufen. Mit spielerischer Leichtigkeit dagegen geht Xavier Dolan an Sexualität heran. Gerade mal 26, hat der kanadische Wunderregisseur bereits sechs Filme gedreht (und verfasst), die wie „Mommy“ 2014 in Cannes, regelmäßig für Furore sorgen. Mittwoch zeigt Arte nun sein preisgekröntes, nun ja, Frühwerk „Laurence Anyways“ um einen Mann und die Geschichte seiner Geschlechtsumwandlung – ohne Pathos geschildert, ohne falsche Empathie, einfach so, wie’s ist. Brillant.
Das gilt auch für das, was Dolans Genialitätsgenosse Orson Welles 1938 zustande gebracht hat. Den nationalen Ausstand mit einfachsten Mitteln nämlich, als sein Hörspiel „War of the Worlds“ Millionen Radiozuhörer in den Glauben versetzte, Amerika werde von Aliens angegriffen. Eine fabelhafte Arte-Doku zeigt Dienstag um 23.10 Uhr, wie viel Dichtung darin lag und wie viel Wahrheit. Diese zwei Pole sind es übrigens auch, die eine reale Bedrohung seit mehr als 100 Jahren verkompliziert: Zum 50. Jahrestag der deutsch-israelischen Freundschaft skizziert 3sat bis Mittwoch den Nahostkonflikt in all seinen Facetten. Etwa mit der Doku „5 Broken Cameras“ (Dienstag, 23 Uhr) über einen Palästinenser, der seinen Sohn beim Aufwachsen filmen wollte, das Objektiv dann aber doch auf jene Mauer richtete, die Israel mitten durch sein Dorf hochzog.
Beef! – Vom Kiosk auf die Mattscheibe
Bei soviel Ernst kann man getrost mal die Leichtigkeit des Seins ausloten. RTL tut das auf Nitro ab Donnerstag (19.50 Uhr) gewohnt ignorant, wenn das ästhetisierende Fleischfressermagazin Beef! vom Kiosk auf den Flatscreen expandiert. Andernorts wird eine Ecke beleuchtet, die unter der schlichten Fassade von großer Vielschichtigkeit. Es geht um den spät entdeckten Laienschauspieler Peter Heinrich Brix, dem der NDR zum 60. den ganzen Donnerstagabend widmet. Auf den neuen Frankfurter „Tatort“ zu verweisen, der mit Wolfram Koch und Margarita Broich (die sich am gleichen Tag um 22.30 Uhr im WDR um einen WG-Platz bei Götz Alsmann bewirbt) endlich mal wieder ein Team ohne Star-Appeal einführt, ist da kaum noch der Rede wert.
Anders als die „Wiederholungen der Woche“, passend zum 70. Jahrestag des Kriegsendes. In Schwarzweiß (Montag, 23.40 Uhr, MDR) zeigt der tschechische Film „Das höhere Prinzip“ über den Nazi-Terror in Prag nach dem Attentat auf Reinhard Heydrich, wie revanchistisch die BRD 1960 war: Der Film durfte wegen „Deutschfeindlichkeit“ erst fünf Jahre später gezeigt werden. Ohne Zensur kam 1980 „István Szabós“ Farbdrama „Mephisto“ ins Kino, das Klaus Maria Brandauer als genialischen NS-Mitläufer Gründgens (Sonntag, 22.55 Uhr, BR) feiert.
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