Jan Freitag hat sich durch den Fernsehdschungel dieser Woche gekämpft und dabei klischeehafte, aber spannende Rotblauschwarzlichtabgründe auf St. Pauli gefunden.
Schweigen ist nicht unbedingt eine Kernkompetenz zeitgenössischer Medien, vom Fernsehen – hüstel – ganz zu schweigen. Entsprechend grandios fühlte sich jener Moment der Stille an, den ein aufrichtig entrüsteter Menschenretter dem aufgesetzt emphatischen Günther Jauch vor ein paar Tagen in dessen Talkshow abgerungen hat. Wenngleich die Magie der Schweigeminute gleich doppelt getrübt wurde. Zum einen kürzte sie der unruhige Moderator auf 40 Sekunden. Zum anderen wäre angesichts des halbherzig verbrämten Fremdenhasses, den Jauchs geladene Gäste von ziemlich weit bis ganz hart rechts in den knapp 60 Minuten zuvor von sich gegeben hatten, eine Schweigestunde die einzig humanistische Alternative gewesen.
Noch humanistischer gewesen wäre es hingegen, einen elitären Geistes-Nazi wie den Schweizer Publizisten und Politiker Roger Köppel gar nicht erst einzuladen. Oder wahlweise jemanden auf ihn anzusetzen, der seinem Salonfaschismus gewachsen ist. Zum Beispiel Ulrich Deppendorf, ein Reporter, der anders als sein – hüstel – Kollege Jauch Fragen nicht nur stellt, um Zielgruppenwünsche zu befriedigen, sondern etwas herauszufinden. Dummerweise hat das journalistische Urgestein und langjährige Leiter des ARD-Hauptstadtstudios grad seinen Abschied eingereicht. Der Ruhestand ist dem Juristen im Alter von 65 Jahren allemal zu gönnen, aber wer seinen beruhigenden Schnauzbart künftig nicht nur optisch, sondern inhaltlich, atmosphärisch ersetzen soll, bleibt ein Rätsel. In Berlin ersetzt ihn Tina Hassel, was zumindest aus geschlechterparitätischer Sicht schon mal sehr lobenswert ist.
Irre Ausstellung ohne Schwertthron
Parallel zu seiner offiziellen Verabschiedung steht die Hauptstadt dann aber doch aus anderen Gründen Kopf: Am 13. Mai eröffnet Sky eine mächtig aufgeblasene Ausstellung namens „Game of Thrones“ mit, Achtung: 70 Requisiten. 70 aus diversen Staffeln einer reinen Ausstattungsserie. Irre. Allerdings, so scheint es, ohne den berühmten Schwertthron. Aber unter uns: Der ist auch gar nicht echt, alles bloß Kulisse.
Als solche dient Lars Becker am Montag bei der aktuellen Episode der nach wie vor ansehnlichen ZDF-Reihe „Nachtschicht“ das eigentlich ganz reale St. Pauli nebst weiteren Brennpunktvierteln. Wie so oft sind die Rotblauschwarzlichtabgründe zwar leicht klischeehaft inszeniert; dank des Regisseurs und seines famosen Hauptdarstellers Armin Rohde als ebenfalls abgründigem Bullen aber auch unterhaltsam und spannend. Zudem mit Katrin Bauerfeind als Radiomoderatorin, die mit ihrem Plädoyer zur Trennung von ätzenden Lovern für Aufruhr im Kiez sorgt, und das lohnt sich eigentlich immer – sei es auch nur zum Angucken.
Reportage mit anbiederndem Hashtag
Lohnt sich zumindest öfter als gemeinhin vermutet, kann man hingegen über Reinhold Beckmann sagen, der zeitgleich im Ersten wieder zu seiner Namensreportage mit # davor lädt, was sich ein bisschen arg offensichtlich an junge Zuschauer anbiedert, die dann doch wieder nicht einschalten, aber auch das Thema Wohnungseinbrüche wird vom emotionalen „Presenterreporter“ gut dargestellt. Optisch etwas aufdringlich, logo, anders kriegt man die Jugend nie vor den alten Fernseher, aber meistens stichhaltig und durchdacht.
Wer allerdings wirklich nachhaltiges Dokumentarfilmfernsehen will, sollte die nächsten zwei Abende im Griff des DFB-Pokals überspringen und Freitag erneut ZDF einschalten. Um 23.15 Uhr – früher ist Sachprogramm öffentlich-rechtlich nur mit Promis à la Beckmann zu haben – porträtiert der österreichische Filmemacher Stefan Ruzowitzky „Das radikal Böse“. Und richtig – dabei geht es mal wieder um uns, die Deutschen, bekanntlich das Volk mit dem fatalsten Hang zu bürokratisch durchorganisierten Menschheitsverbrechen. Als Nachbericht der berühmten Wehrmachtssausstellung gewissermaßen geht es darum, wie gewöhnliche Bürger auch ohne SS-Wappen zu NS-Mördern werden konnten.
Bei derlei dokumentarischem Gewicht ist es statthaft, sich mit dem „Tatort“ namens „Schwerelos“ zu entspannen, der unter Dortmunds Base-Jumpern ermittelt, die mit Fallschirmen von vergleichsweise niedrigen Bauwerken springen, was mal wieder exzellent erzählt wird. Nicht so entspannend ist hingegen die schwarzweiße Wiederholung der Woche am Freitag um 14.15 Uhr im NDR. „Quax, der Bruchpilot“ mag ja ein harmloses Fliegerfilmchen sein, sedierte aber mithilfe des Nazi-Günstlings Heinz Rühmann die vermeintliche Herrenrasse für den Endsieg. Schon entspannender hingegen ist der Farbtipp, ebenfalls im NDR, (Donnerstag, 23.30 Uhr: „Wir können auch anders“, von Buck mit Król plus Krause also zeitlos originell.
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