Marvin Mertens regt sich oft auf. Oft und gerne. Manchmal unnötig, ab und zu künstlich, hin und wieder zu Recht – und an dieser Stelle regelmäßig in der Öffentlichtkeit. Heute: Olé, Olé, Olympia!
Kein Thema bewegt die Hamburger so sehr wie die drohende Olympia-Bewerbung für die Spiele im Jahr 2024. Das DOSB-Präsidium sprach sich in seiner Empfehlung am Montag offiziell für Hamburg als deutschen Kandidaten für die Bewerbung aus. Bei einer Umfrage, die der Deutsche Olympische Sportbund, dafür steht nämlich DOSB, in der vergangenen Woche veröffentlichte, sprachen sich immerhin 64 Prozent der 1500 befragten Hamburger für eine Olympia-Bewerbung aus.
Ich war nicht dabei und auch niemand, den ich kenne. Kein Wunder, denn 1500 Menschen sind nur ein winziger Bruchteil der Hamburger Bevölkerung. Schon nach der Umfrage überschlugen sich die Medien mit Lobeshymnen und Sensationsmeldungen. Mit der Bekanntgabe der Empfehlung des DOSB-Präsidiums steigerte sich die mediale Olympia-Hysterie in nie dagewesene Dimensionen. Sport- und Polizeistaatssenator Neumann hatte laut „Hamburger Abendblatt“ Tränen in den Augen und überall ist davon zu lesen, dass die ganze Stadt „Feuer und Flamme für die Spiele in Hamburg“ sei. Das Resultat der medialen Lobbyarbeit für die Spiele: Hamburg also offizieller deutscher Bewerber für 2024 werden.
Nachteile bereits aufgezeigt
Andreas Grieß kommentiert die Empfehlung am Montag auf dem Lokalblog „Elbmelancholie“ unter dem Titel „Danke, Berlin„. Sein Ansatz: Durch den Wettstreit mit der Hauptstadt habe Hamburg frühzeitig ein Olympiakonzept erarbeiten müssen. So hätten bereits die Kritikpunkte und Schwächen des Konzepts ausgemacht werden können und nun bleibe genügend Zeit, dort nachzubessern. Soweit so gut.
In einer Sache muss ich dem Kollegen Grieß zustimmen: Die Kritikpunkte und Schwächen des Konzeptes wurden ausgemacht. Da wären zum Beispiel die durch die Spiele vermutlich (noch weiter) steigenden Mieten, die Verdrängung von Obdachlosen und sozialschwachen Menschen im Zuge der Aufwertung attraktiver Stadtteile oder die vermutlich enorm hohen Kosten für den Bau aller Wettkampfanlagen. Nicht zu vergessen die akute vier- bis sechswöchige Übervölkerung der Hamburger Innenstadtbereiche durch unzählige Touristen und Besucher, die Ausgaben für die Innere Sicherheit, also für das Unterbinden von Protestaktionen, Demonstrationen, Prostitution und dem Schwarzmarkthandel mit Fanartikeln, oder die Millionen für die Putzkolonnen, die hinter den alkoholbedingt lautlärmenden Besucherhorden herwischen.
Was waren noch gleich die Vorteile?
Konkrete Vorteile, die die Olympischen Spiele für Hamburg bringen, benennt Grieß nicht und auch mir bleiben diese weiterhin völlig schleierhaft. Mich erinnert das Projekt „Olympia 2024“ an die Seilbahn, die die Firma Stage Entertainment der Stadt „schenken“ wollte. Ein Vorhaben, dass von Wirtschaftsunternehmen und Profiteuren in den höchsten Tönen gelobt wurde, auf das die Hamburger aber so gar keine Lust hatten. In einem Bürgerentscheid im August 2014 stimmten 63,4 Prozent der Stimmberechtigten im Bezirk Mitte gegen die Seilbahn.
Ich schließe daraus, dass viele Menschen in Hamburg vernünftig und logisch denken. Sie beantworteten die Frage „Braucht Hamburg das?“ richtigerweise mit „Nein“. Deshalb kann ich wohl darauf hoffen, dass die Mehrheit der Hamburger auch im Falle Olympia gegen eine drohende Bewerbung stimmen. Denn bevor Olaf Scholz eigenhändig mit dem Bau des neuen und natürlich dringend benötigten Olympiastadions beginnen darf, müssen bei einer Abstimmung im September mehr als 50 Prozent für eine Olympia-Bewerbung stimmen. Die Münchner haben es vorgemacht und mit mehr als 53 Prozent gegen eine Bewerbung der bayerischen Landeshauptstadt für die Spiele 2022 gestimmt.
Die Bayern als Vorbild
Ein einziges Mal könnten die Bayern also ein Vorbild für uns Nordlichter sein. Obwohl die Herrschaft von König Olaf und seiner SPD der Regenschaft von Horst Seehofer und seinen Christsozialen von der CSU gleicht wie ein Ei dem anderen. Eventuell hat sich Scholz da bei den Stammtischpolitikern des Freistaates doch etwas abgeschaut. Beide Parteien haben es schließlich geschafft, sich gänzlich von den in ihren Namen festgeschriebenen Werten zu entfernen. Allerdings greifen Scholzis Sozen mittlerweile wahrscheinlich deutlich mehr Wähler im rechstkonservativen Lager ab als die religionspolitiker von der Union in Bayern.
Doch obwohl die CSU in Bayern die einzige politische Organisation zu sein scheint (ich glaube, irgendwas war da mal mit einem Herrn Ode) und für die Olympia-Bewerbung natürlich kräftig die Werbetrommel rührte, konnten sie die Mehrheit der Münchner nicht überzeugen. Bei mir hat es das Hamburger Olympia-Konzept auch nicht so richtig geschafft, das mit dem Überzeugen. Hamburg braucht die Spiele so sehr wie die Elbphilharmonie, den Hafengeburtstag oder die Alternative für Deutschland. Die Hamburger Wirtschaft und nicht zuletzt auch die Hamburger Politik wollen die Spiele so sehr wie die Elbvertiefung, den bereits genannten Prunkbau an der Elbe und die Musical-Seilbahn über ebendiese. Ich hoffe, die Hamburger Bürger wollen die Olympischen Spiele so sehr wie sie alle, der gerade genannten Projekte wollten!
Andreas
17. März 2015 at 11:36
Hallo,
dann will ich vom „Lokalblog“ doch gerne mal antworten. Steigende Mieten gibt es bereits jetzt. Olympische Spiele werden das verstärken?! Jein. OS erhöhen vermutlich die Spekulation und die Nachfrage. Aber auch das Angebot. Weil eben von mehr Nachfrage ausgegangen werden kann. Das Olympische Dorf soll später Wohnraum werden. Ein Stadtteil zwischen Innenstadt und südelbischen Gebieten, quasi eine Art „missing link“, den es sonst nicht geben wird. Zudem beschleunigt die Bewerbung den Ausbau der Infrastruktur: U-Bahn, S-Bahn, ggf. weitere Verkehrsmittel. Damit werden weitere Stadtteile „aufgewertet?“ – ja, man kann das sagen, aber das ist nicht zwingend schlecht. Wenn Stadtteile ans Netz angeschlossen werden, werden sie für einige überhaupt erst erschlossen. Von Steilshoop derzeit zur Uni zu kommen ist z.B. kein Vergnügen. Mit U-Bahn schaut es bereits anders aus. Womöglich bietet sich „sozialschwachen Menschen“ so auch neue Perspektive für Jobs. (Und btw. sollte man nicht Obdachlosen Bestandsschutz geben sondern sollte es das Ziel sein, dass sie verschwinden, weil sie nicht mehr Obdachlos sind. Aber das ist eine andre Geschichte).
Man kann natürlich die immer gleiche Leier aufmachen von wegen von dem geld könnte man Sozialwohnungen bauen etc. Das ist aber realitätsfremd. Es wird NIE für 6 Mrd Sozialwohnbau betrieben. Es ist nicht so, dass dieses Geld für Olympia oder etwas anderes ausgegeben würde. Es wird für Olympia oder gar nicht ausgegeben. Das ist Wirtschafts- das ist Finanzpolitik. Einige Mittel gibt es nur zweckgebunden.
Die „Übervölkerte Stadt“ ist sicher nicht jedermanns Sache. Fair Point. Aber genau sie ist ein wichtiger Punkt des olympischen Gedankens. Und ich kann jedem nur empfehlen, ihn einmal zu erleben. Wenn zu einem Ereignis Menschen aus der ganzen Welt zusammen kommen (nicht einfach so über das Jahr verteilt, sondern gleichzeitig aus einem gemeinsamen zeitlich und räumlich begrenzten Ereignis) entsteht ein wunderbarer Austausch. Leute aus verschiedenen kulturellen, politischen, ideologischen Hintergründen, die gemeinsam über den 100m-Lauf (z.B.) debattieren, danach feiern und ihre Erinnerungen und Freundschaften wieder in die Welt tragen. Auch das ist Olympia. Und über die Aspekte für den Sport und für Sportler habe ich noch gar nicht gesprochen. Leute, die zum Teil sogar ganz die Abschaffung der Spiele fordern, haben noch nicht erlebt, wie sich Jugendliche (weltweit) Tag für Tag zum teil durchs Training quälen für diesen Traum, der nur bei sehr wenigen in Erfüllung geht, während ihre Schulkollegen sonst was machen (nicht zwingend produktives).
Ein letztes Wort noch zu Münchens Ablehnung. München war Topfavorit und musste seine Bewerbung zurücknehmen. München hat vieles falsch gemacht, weit mehr als Hamburg, wenn man mich fragt. Die Winterspiele 2022 werden nun in Kasachstan oder China stattfinden. Weil uns die Spiele nicht demokratisch und transparent genug waren. Wenn Spiele nur noch in solchen orten möglich sind, muss man sich nicht wundern, dass das IOC undemokratisch ist. Und man muss sich nicht wundern, wenn der Olympische geist zum Dämon wird.
Marvin Mertens
17. März 2015 at 12:48
Lieber Andreas,
Dass Olympia als gigantisches Stadtentwicklungsprogramm missbraucht wird, ist wohl mehr als offensichtlich. Und zur ewigen Debatte, ob Aufwertung nicht eigentlich positiv ist, lässt sich nur sagen: Ob hier eine sinnvolle, sozial verträgliche Stadtentwicklung in Gang gebracht werden kann, ist höchst spekulativ, solange nicht eine gewisse staatliche Regulierung wie Mietpreisdeckel, Milieuschutz etc. eingeführt wird. Und daran hapert es ja gerade. Sportbegeisterung und Spaß am kulturellen Austausch sind toll, keine Frage. Aber es geht hier doch um eine ganz andere. Nämlich um das wie. Würde das olympische Dorf aus privaten Mitteln finanziert, wäre das eventuell noch eine andere Sache. Nur wird es das nicht.
Andreas
17. März 2015 at 13:18
Ob Olympia nun als Stadtentwicklungsprogramm missbraucht oder vielleicht doch eher gebraucht (im Sinne von genutzt) wird, ist vielleicht auch noch einmal eine entscheidende Frage. Ich glaube, dass es eben immer Hand in Hand gehen sollte. (Ich war in Beijing, was in der Hinsicht sowohl das beste Negativ- wie auch Positiv-Beispiel ist).
Mietpreisdeckel, etc. sind politische Entscheidungen, die bis 2017/24/28 auf dem Weg gebracht werden können. Ein zaghafter Anfang wird ja gerade gemacht. Wenn man es geschickt anpackt, ist womöglich mit dem Argument Olympia da sogar etwas machbar, vll im Modell zunächst auf Landesebene (wo die Mehrheitsverhältnisse in der Politik ja auch andere sind). Gleichsam – ich bin selbst gegen hohe Mieten, beschwere mich was das angeht und bin in Teilen „Opfer“, darf man auch nicht zu viel regulieren. Ich halte es z.B. für schwierig einerseits das olympische Dorf privat finanzieren zu wollen, andererseits dann aber die Nachnutzung den Investoren vorzuschreiben. Ich denke: Mehr privat bedeutet auch mehr kommerziell und somit eher mehr Gewinnmaximierung.
Du sagst ganz richtig, es geht um das wie. der IOC hat dahingehend ja eine Reformagenda auf dem Weg gebracht. Das ist noch alles sehr träge und fragwürdig. Aber wenn sich etwas ändern soll, dann wird es nur mit Städten wie Hamburg (inkl. Transparenzgesetz und Bürgerbegehren) gehen, nicht mit Beijing oder Doha und auch bei Boston habe ich dahingehend noch Zweifel.
Heidi
17. März 2015 at 21:40
„Es ist nicht so, dass dieses Geld für Olympia oder etwas anderes ausgegeben würde. Es wird für Olympia oder gar nicht ausgegeben.“
Geld das man nicht hat, kann man auch nicht ausgeben. Also läuft das über Kredite und die Kosten Zinsen. Auch bei aktuell niedriger Verzinsung wären das bei 6 Milliarden so hohe jährliche Belastungen, dass dann an anderen Stellen doch wieder gespart werden muss. Und das für paar Tage Sport und ein bisschen Prestige.
Ich bin froh dass es einen Volksentscheid gibt, wenn Olympia dann doch kommt ist es wenigstens mehrheitlich selbst verschuldet.
Peer
18. März 2015 at 23:47
>> Hamburg braucht die Spiele so sehr wie die Elbphilharmonie, den Hafengeburtstag oder die Alternative für Deutschland.
Damit ist ja alles gesagt: Hamburg kann also die Spiele 2024 sehr gut gebrauchen.
Philipp Anz
24. März 2015 at 17:38
ich sehe Olympia auch kritisch, – erstmal in wirtschaftlicher Sicht, – Die Außenalster soll für den Trithlon herhalten, das bedeutet, das über Wochen und nicht über ein kurzes Wochenende, die gesamte Innenstadt, abgeriegelt sein wird – dies wiederum, bedeutet immense Umsatzeinbußen für den Einzelhandel und Gastronomie, auch für die Geschäfte im Hauptbahnhof! – Wenn man konstruktiv ist, sollten für Sportveranstaltungen, eher Billbrook, mit seinen Billebecken, genutzt werden, evtl. käme für Triathlon auch Rothenburgsort/Billwerder Bucht in Frage! – Hamburg ist zu klein für Olympia! – Berlin hat ein Olympiastadion, das modernisiert ist, Berlin hat den nötigen Platz in der Innenstadt, nicht wir! –
HH Mitte
30. März 2015 at 03:28
Olympiade in Hamburg? So unnötig wie die aus der Mode gekommenen, verstaubten Bürgervereine!